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Die Blankoverordnung – neues Denkmuster in der Heilmittelversorgung

Gastbeitrag von Dr. Rolf Jungbecker, Rechtsanwalt, Justitiar des Verbands Deutscher Podologen (VDP)
Ziel der Blankoverordnung ist Folgendes: Ein Vertragsarzt legt eine Diagnose und Indikation für eine Heilmittelbehandlung fest. Die Heilmittelerbringer sollen dann selbst über die Auswahl und die Dauer der Therapie sowie die Frequenz der Behandlungseinheiten bestimmen können (§ 125a Abs. 1 SGB V). Mit diesem Kompetenzzuwachs geht aber auch eine eigene und damit erhöhte Verantwortung vor allem auch für die Wirtschaftlichkeit dieser einher. Und die Gesetzesbegründung ist da eindeutig: „Die Wirtschaftlichkeit muss gewahrt bleiben“.
© Dr. Rolf Jungbecker

Wie das zu geschehen hat, ist jedoch noch nicht abschließend geklärt. So viel ist klar: Die Kriterien der Wirtschaftlichkeit, die für die vertragsärztliche Wirtschaftlichkeitsprüfung oder gemäß § 125 Abs. 2 Ziff. 8 SGB V für die Regelversorgung gelten, sind bei der Blankoverordnung nicht maßgebend. Der Gesetzgeber geht hier vielmehr einen neuen Weg, um dieser erhöhten Verantwortung für die Wirtschaftlichkeit Rechnung zu tragen.

Neu: Richtwerte, Orientierungshilfe und medizinische Begründetheit

Das Gesetz sieht unter präventiven Gesichtspunkten Richtwerte und dann sogenannte „Maßnahmen“ zur Vermeidung unverhältnismäßiger Mengenausweitung in der Anzahl der Behandlungseinheiten vor. Diese Parameter stehen, und das ist nicht nur ebenfalls neu, sondern wegweisend, unter dem „Vorbehalt“ der medizinischen Begründetheit.

Die medizinische Begründetheit hat Auswirkungen auf das Verständnis der anderen Parameter. Sie ist das letztentscheidende, maßgebliche Prüfkriterium für die Wirtschaftlichkeit. In der Regelversorgung (§ 12 SGB V) kann eine Maßnahme notwendig, also begründet, und dennoch unwirtschaftlich sein, in der Blankoversorgung hingegen schließt die medizinische Begründetheit – abweichend von § 12 SGB V – die Unwirtschaftlichkeit begrifflich aus.

Vor diesem Hintergrund ist zunächst der Richtwert zu verstehen, den die Partner des Vertrags zu § 125a SGB V zu vereinbaren haben. Der Gesetzgeber hat mit der Vorgabe von Richtwerten zur Versorgungsgestaltunggerade nicht an die Richtwertprüfung Heilmittel anknüpfen wollen, die eine der Methoden der Wirtschaftlichkeitsprüfung der Vertragsärzte zur Heilmittelverordnung nach § 106b SGB V ist. Denn das Ziel ist nicht, dass die Richtwerte Maßnahmen zur Bestimmung der Wirtschaftlichkeit darstellen. Sondern:

Heilmittelerbringer sollen ihre Behandlungen mit anderen Fällen vergleichen können

Die Richtwerte sollen allein als Orientierungshilfe dienen. Dem einzelnen Leistungserbringer soll eine Vergleichbarkeit seiner Behandlung mit anderen Fällen und anderen Heilmittelerbringern ermöglicht werden. Der Gesetzgeber sieht als Beispiel für einen Richtwert die Anzahl der Behandlungseinheiten in Abhängigkeit zur jeweiligen Diagnose.

Der Richtwert ist in engem Zusammenhang mit dem in die aktuelle Heilmittelrichtlinie (HMR) neu aufgenommenen Begriff der „orientierenden Behandlungsmenge“ gem. § 7 Abs.2 HMR zu sehen. Damit wird per Definition die Summe der Behandlungseinheiten bezeichnet, mit der das angestrebte Behandlungsziel in der Regel erreicht werden kann.

Diese Orientierung gilt aktuell, wie die gesamte Heilmittelrichtlinie, allein für den Heilmittel verordnenden Vertragsarzt, sie gilt nicht für den Heilmittelerbringer. Soweit dieser aber in der Blankoverordnung einen kleineren Ausschnitt der Behandlung, nämlich Dauer und Frequenz, selbst „verordnet“, spricht vieles dafür, dass die orientierende Behandlungsmenge auch für ihn der Orientierungswert sein wird.

Und dann liegt die Annahme nahe, dass sich die neuen Richtwerte in der Blankoverordnung nicht nennenswert von den für Ärzte geltenden orientierenden Behandlungsmengen unterscheiden werden.

Hinweis: Im Bereich der Podologie (wie auch in der Ernährungstherapie) verhält sich das anders. Dort gibt es diese „orientierende Behandlungsmenge“ nicht (§ 7 Abs. 2 S. 4 HMR). Das ist damit begründet, dass in der Podologie das Therapieziel regelmäßig nicht erreicht werden kann. Dem verordnenden Arzt wird hinsichtlich der podologischen Behandlungsmenge kein Richtwert vorgegeben. In der Podologie sind deshalb Zweifel angebracht, ob es für die Blankoverordnung einen orientierenden Richtwert dort überhaupt geben kann.

Es gilt als Zwischenfazit festzuhalten: Die Überschreitung eines Richtwertes als solche begründet (noch) keine Unwirtschaftlichkeit.

Maßnahmen zur Vermeidung einer unverhältnismäßigen Mengenausweitung – Vorbehalt der medizinischen Begründetheit

Wie der weitere, neue Begriff der „Unverhältnismäßigkeit“ einer Mengenausweitung zu verstehen ist, wird im Gesetz schon gar nicht näher definiert. Man weiß nur, dass der Gesetzgeber der Gefahr einer „medizinisch nicht begründeten, unwirtschaftlichen Mengenausweitung“ entgegenwirken will. Wo er hier diese Gefahr sieht, bleibt unklar.

Jedenfalls wird sich der Begriff der Menge zunächst einmal auf die Behandlungsmenge beziehen, sodass auch in diesem Zusammenhang die „orientierende Behandlungsmenge“ eine wichtige Rolle spielen dürfte.

Als „unverhältnismäßig“ wird man nicht schon jede Abweichung von dieser Orientierungsmenge anzusehen haben. Denn hier gilt als letzte Maßgeblichkeit die medizinische Begründetheit. Deshalb kommt die Beurteilung schon derjenigen im zivilrechtlichen Schadenersatzrecht ziemlich nahe, wo die Heilungskosten im Rahmen des medizinisch Gebotenen grundsätzlich unbeschränkt ersatzfähig sind.

Man kann vor diesem Hintergrund die Frage stellen, ob eine spezifische Definition der Unverhältnismäßigkeit einer Mengenausweitung überhaupt einen Erkenntnisgewinn bei der Frage nach der Wirtschaftlichkeit bringt.

„Deutliche Überschreitung“ versus „medizinische Begründetheit“

Und schließlich ist noch ein weiterer Begriff ins Gesetz aufgenommen, der ebenfalls nicht näher definiert ist: Im Falle einer „deutlichen Überschreitung“ der durchschnittlichen Anzahl an Behandlungseinheiten sollen zuvor zu vereinbarende „Vergütungsabschläge“ erfolgen.

Im Grunde gelten auch hier die vorgenannten Überlegungen. Dabei haben es die Vertragsparteien in der Hand, zum Beispiel eine „deutliche“ Überschreitung als Abweichen vom Durchschnittswert anderer Heilmittelpraxen um einen bestimmten Prozentsatz zu definieren. Aber auch hier ist zu bedenken, dass eine Definition des „deutlichen“ immer nur relativ zur vorrangigen medizinischen Begründetheit zu sehen ist.

Vorstufe zum Direktzugang

Man kann nicht übersehen, dass alle diese Überlegungen zum Verständnis dieser verschiedenen Parameter im Augenblick eher akademischen Charakter haben, solange sich die Blankoverordnung noch nicht „eingespielt“ hat.

Es ist keine Frage: Der Gesetzgeber hat mit der Blankoverordnung neue Denkmuster vorgegeben, sowohl zur erhöhten Verantwortung der Heilmittelerbringer in ihrer Kompetenz als auch in ihrer Verantwortung für die Wirtschaftlichkeit. Und auch wenn der Direktzugang noch in der Zukunft liegt: Die Blankoverordnung ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Denn der Direktzugang wird zwingend zu einer noch deutlicheren Zunahme an Kompetenz und an Verantwortung für die Wirtschaftlichkeit führen.

Fazit

Es wird für die Heilmittelerbringer kein „Selbstläufer“ werden, die Blankoverordnung in ihrer ganzen Dimension durchzusetzen. Aber die Heilmittelerbringer haben allen Grund, die neuen Vorgaben des Gesetzgebers, und damit die ihnen zuwachsende Verantwortung in den anstehenden Vertragsverhandlungen offensiv umzusetzen. Die Blankoverordnung ist somit auch eine Bewährungsprobe für die Heilmittelerbringer.

Dr. Rolf Jungbecker

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Monika Wolf
22.02.2022 9:30

Hallo und guten Tag, ich sehe das so, dass auf… Weiterlesen »

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