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Videotherapie im Scheinwerferlicht

Interview mit Jan Hollnecker: Ein Plädoyer für die Videotherapie
Die Theraphysia GmbH Berlin setzt bei der Heilmitteltherapie schon seit 2015 auf die sinnvolle Integration der neuen Medien und baut deren Anteil stetig aus. Theraphysia-Geschäftsführer Jan Hollnecker will sich dafür starkmachen, dass Videotherapie ein von den Kassen und dem G-BA anerkannter und fester Bestandteil des Angebots in deutschen Praxen von Physio- und Ergotherapeuten sowie Logopäden wird. Viele Patienten sind inzwischen auf seiner Seite, berichtet er im Interview mit up_therapiemanagement.
© Jan Hollnecker

Herr Hollnecker, was hat sich getan, seit im Mai VT vorübergehend für Therapeuten zwischen Flensburg und Garmisch-Patenkirchen ein probates Mittel der Wahl zur Behandlung ihrer Patienten wurde?

Zwischenzeitlich lange nichts. Seit Ende Juni war die Möglichkeit zu VT wieder eingefroren. Die Argumentation war, vor allem bei den Kassen, dass der Rettungsschirm in der Heilmittelbranche erfolgreich gewesen sei und damit VT wegfallen könne. Die erneut steigenden Infektionszahlen haben jetzt zu einem Umdenken geführt, was ich persönlich sehr begrüße.

Haben Sie bei Theraphysia dennoch weiter VT angeboten?

Das war leider ein frommer Wunsch. Viele Therapeuten haben Videotherapie als sinnvolle Zusatzleistung erkannt und gern genutzt. In der Reflexion haben wir Super-Beispiele dafür, wie gut die Therapieergebnisse mittels VT waren – und das in allen Bereichen, besonders bei der Behandlung von Kindern in der Logopädie und Ergotherapie. Bei Theraphysia konnten wir außerdem sehr gute Behandlungserfolge mit älteren Patienten in der Ergo- und Physiotherapie erreichen.

Und wie soll es Ihrer Meinung nach nun weitergehen?

Wir Therapeuten dürfen auf keinen Fall den Kopf in den Sand stecken und müssen in breiter Front weiter gemeinsam kämpfen. Das haben wir bei Theraphysia in der jüngsten Vergangenheit für jeden einzelnen Patienten getan, bei dem wir der Meinung waren, dass VT angebracht ist. Und wir haben so manche Einzelfallgenehmigung durchdrücken können. Ein wichtiges Argument ist dabei, dass viele unserer Patienten zur Corona-Risikogruppe gehören und ihnen die Gefahren eines Praxisbesuchs erspart bleiben. Zudem haben wir beobachtet, dass ein Großteil dieser Patienten vor einer Behandlung in der Praxis zurückschreckt und daher viele aus therapeutischer Sicht dringend nötige Termine storniert oder absagt. Das sollte für die Verantwortlichen Anlass sein, VT in die Regelversorgung aufzunehmen.

Läuft bei Ihnen die VT schon optimal?

Wir untersuchen gerade intern, wie wir das Ganze gemeinsam mit unseren Patienten noch verbessern können. Dazu gehört zum Beispiel, dass wir Therapiematerialien und deren Anwendung am PC reflektieren. Und uns interessieren natürlich Meinungen von Eltern, wie sie sich in die Therapie ihrer Kinder einbezogen gefühlt haben, aber auch, welche technischen Hürden für die Patienten noch umschifft werden müssen.

Mit welchen Medien arbeiten Sie bei der VT?

Als Klassiker hat sich der Laptop oder PC zuhause herauskristallisiert. Günstig ist ebenfalls, dass das Handy als starke (besser: letzte) Option infrage kommt, denn darüber verfügen die meisten Leute.

Was ist Ihrer Meinung nach die größte Herausforderung für den Therapeuten bei der VT?

An erster Stelle wohl die Kommunikation: Die Therapeuten müssen allein mit Sprache anleiten, motivieren und bei Übungen korrigieren. Das erfordert hohe Konzentration und vor allem ein Umdenken, denn sonst ist bei der Behandlung der enge Kontakt zum Patienten (auch körperlich) maßgebend.

Außerdem nimmt die akkurate Vor- und Nachbereitung der VT-Sitzungen mehr Zeit in Anspruch, damit der angestrebte therapeutische Erfolg am Ende auch erreicht werden kann. Zum Zeitaufwand für die eigentliche Therapie muss also zusätzliche Zeit einkalkuliert werden.

Womit erklären Sie sich, dass Sie bei Theraphysia einen so großen Zulauf bei der VT erreichen konnten?

Als es während des ersten Lockdowns möglich wurde, VT anzubieten, haben wir unseren Internet-Auftritt angepasst. Und das hat uns tatsächlich deutschlandweit nicht nur großes Interesse, sondern viele zusätzliche Patienten eingebracht. Das sollte die Verantwortlichen bei den Kassen und im G-BA doch bitte zum Nachdenken anregen! Das Allerwichtigste, was Gesundheitspolitikern und Therapeuten gleichermaßen klar werden sollte, ist die deutliche und sehr zu begrüßende Zunahme der Eigenverantwortung des Patienten in Bezug auf seine Verordnung und seine Therapie.

Nun überprüft der G-BA die Heilmittel-Richtlinie. Was meinen Sie, gehört Videotherapie in die Regelversorgung?

Ein erster Teilerfolg war für uns, dass wir zwischenzeitlich wenige Einzelfallgenehmigungen durchsetzen konnten.
Videotherapie wird niemals die klassische Therapie in den Praxen vollständig ersetzen können. Dennoch sehen wir enorme Chancen in einer Symbiose beider Behandlungsformen – und zwar sowohl für Therapeuten als auch für Patienten. Es müssen dringend Lösungen gefunden werden, damit eine Kostenübernahme für VT zur Normalität wird.

Bei Theraphysia bleibt dieses Thema auf jeden Fall ganz oben auf der Agenda. In diesem Zusammenhang können sich Interessierte gerne unseren Podcast „Praxen der Zukunft“ (apple, spotify oder podcast.de) anhören.

Herr Hollnecker, vielen Dank für das Gespräch.

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