up|unternehmen praxis

Videotherapie im Scheinwerferlicht

Interview mit Christina Radusch
Bereits seit einigen Jahren durfte Christina Radusch Erfahrungen in der Videotherapie sammeln. So war die Umstellung keine große Herausforderung. Patienten und Angehörige reagierten überwiegend positiv, nachdem sie die Vorteile und zusätzlichen Möglichkeiten aufgezeigt hatte. Die Liste mit den Argumenten dafür sei um Weiten länger als die mit den Gegenpositionen.
© Uwe Werner

Welche Bedenken hatten Sie?

Bislang kam ich nur selten an Grenzen. Manchmal fehlt eine stabile Internetverbindung, und es kommt durchaus vor, dass sich ein Kind partout nicht auf die Videotherapie einlassen möchte. In diesem Fall gibt es für den Therapeuten wenig Spielraum. Das wäre in der Praxis aber nicht anders. Kann hier auch ein Elternteil nichts bewirken, bin ich zum Beispiel auf Elterngespräche ausgewichen.

Was überrascht Sie positiv?

Nur wenige Eltern sind skeptisch, weil ihnen die Vorstellung fehlt, eine Therapie in Form einer Videokonferenz abbilden zu können. Oft reicht eine anschauliche Erklärung aus, und meinem Vorschlag, „Wir können es einfach mal ausprobieren!“, konnte bisher niemand etwas entgegensetzen. Je reibungsloser die technischen Vorgänge verlaufen, desto zufriedener und überraschter sind sie beispielsweise darüber, wie konzentriert ihr Kind vor dem Laptop sitzt. Andere wiederum können nun die Therapie-Inhalte viel besser nachvollziehen. Ein Vater sagte: „Jetzt weiß ich erst, was in der Logo wirklich gemacht wird. Ist ja gar nicht nur Spielen.“

Welche Vorteile sehen Sie?

Aus therapeutischer Sicht bietet die Videotherapie eine neue Perspektive: Die Familien sind in ihrem häuslichen Umfeld, fühlen sich sicher. Wobei es nicht nur das Kinderzimmer sein muss, in dem sie voller Freude sämtliche Spielsachen vor der Kamera präsentieren oder, wie meine ältere Patientin, ihren neuen Hund vor dem Laptop hochhalten. Sie geben uns Therapeuten persönliche Sachen preis und sind zusätzlich viel flexibler.

Transparenz ist einer der größten Vorteile der Videotherapie, weil das Umfeld intensiver in die Behandlung einbezogen werden kann. Eltern agieren als Co-Therapeuten und sind in der Lage, durch die therapeutische Anleitung konkrete Förderungsmaßnahmen umzusetzen und in den Alltag zu integrieren. Eltern berichten häufig stolz, wie gut es auch allein funktioniert hat. Sie schenken der kindlichen Sprachförderung im Umgang mit ihren Kindern mehr Aufmerksamkeit.

Ihr Fazit zur Videotherapie?

Die Angst, es könnte mit Videotherapie keine Beziehung aufgebaut werden, ist meiner Meinung nach unbegründet. Viele Patienten lassen uns noch näher an sich heran und geben einen Einblick in ihren privaten Bereich, was ihrer Realität – im Gegensatz zum therapeutischen Setting – viel mehr entspricht. Ich bin davon überzeugt, dass Videotherapie eine Fernbehandlung ganz nah am Patienten ist.

Es müssen zwar Alltagsgegenstände und Materialien regelmäßig für die Behandlung adaptiert werden, doch es ist verblüffend, wie kreativ die Kinder und auch Eltern werden. So wurde ein Familienvater zum eifrigsten Bastler, oder Mamas Küchenutensilien wurden zu „Instrumenten“ entfremdet. In der Videotherapie gibt es keine Grenzen.

Nun überprüft der G-BA die Heilmittel-Richtlinie. Was meinen Sie, gehört Videotherapie in die Regelversorgung?

Ich bin davon überzeugt, dass sie mehr als nur eine Notlösung ist. Sie sollte als weitere Therapiemethode in die Regelversorgung aufgenommen werden, um eine alltagsnahe und breit gefächerte Behandlung möglich werden zu lassen.

 

Christina Radusch | B. Sc. Logopädin bei Theraphysia, Berlin

 

Bieten Sie auch Videotherapie an?

Kürzlich wurden viele der Sonderregelungen für den Heilmittelbereich aufgrund der Covid-19-Pandemie verlängert. Das gilt auch für die Videotherapie, die zunächst bis Ende Juni 2020 möglich war, dann vorübergehend pausierte und seit November wieder erlaubt ist. Seit dem 08. April 2021 steht fest: Zunächst bis zum 30. September 2021 ist Videotherapie weiterhin möglich.

Für Heilmittelerbringer bietet sich daher immer noch eine wunderbare Gelegenheit, Videotherapie zu testen und sich darüber eine Meinung zu bilden. Insbesondere weil der G-BA beschlossen hat, die Heilmittel-Richtlinie dahingehend zu überprüfen, ob und in welchen Fällen Videotherapie in die Regelversorgung aufgenommen wird. Im Oktober 2021 soll die Beschlussfassung dazu erfolgen. Nutzen Sie die Chance, probieren Sie es aus und finden Sie heraus, welche Vorteile Videotherapie für Ihre Praxis mit sich bringt und wie sie Ihr bestehendes Therapie-Angebot ergänzt – oder auch nicht.

Ihre Meinung zählt: Wir bieten Ihnen an dieser Stelle das Forum für Austausch und Diskussion. Viele Ihrer Kollegen sind unserem Aufruf gefolgt und haben in den letzten Monaten von ihren Erfahrungen berichtet. Wenn auch Sie sich äußern möchten, schreiben Sie uns eine Mail an redaktion@up-aktuell.de. Denn wir möchten hören, was Sie zu sagen haben!

Außerdem interessant:

Videotherapie im Scheinwerferlicht – Interview mit Jan Hollnecker

Videotherapie im Scheinwerferlicht – Interview mit Mona Nieß

 

0 Kommentare
Inline Feedbacks
View all Kommentare
0
Wir würden gerne erfahren, was Sie meinen. Schreiben Sie einen Kommentar.x