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Videotherapie im Scheinwerferlicht

Interview mit Thomas Pielmeier
Ich habe mich spezialisiert, denn etwa 85 Prozent meiner Patienten leiden an Skoliose oder Skapula Alata. Videotherapie wende ich seit Herbst 2019 auf Privatverordnung an. Es gab teilweise große Skepsis bei den Patienten. Etwa 60 Prozent waren sofort begeistert, weitere 20 Prozent kamen hinzu, als der Lockdown länger anhielt.
© Thomas Pielmann

Welche Bedenken hatten Sie?

Ich fürchtete den Aufwand, um alles GKV-konform umzusetzen. An dieser Stelle Dank an Herrn Buchner für seine hilfreichen Webinare. Ich hatte Zweifel, ob das DSL-Netz die Videotherapie zusätzlich zu Homeoffice und –schooling verkraftet.

Was hat Sie überrascht – positiv und negativ?

Positiv: Die GKV hat alles unbürokratisch ermöglicht. Dafür ein dickes Lob! Dazu die geringere Ausfallquote. Patienten mit langem Anfahrtsweg waren online deutlich zuverlässiger, auch nach dem Lockdown.

Negativ: Trotz meines Angebotes, sie zu unterstützen, lehnten die meisten Kollegen ab, Videotherapie einzusetzen. Ich fürchte aus Bequemlichkeit. Damit wurde leider eine für alle Beteiligten schützende Maßnahme ignoriert und dazu das falsche Signal an die GKV gesendet.

Welche Vorteile sehen Sie?

Für Patienten fallen Fahrzeiten weg. Auch bei vierwöchigem Turnus in der Praxis könnte der Verlauf überwacht werden. Das wäre gut für die Compliance bei den Teenagern, da weniger Zeitaufwand die Therapieakzeptanz erhöht. Der Therapeut könnte online motivieren und Tipps geben. Termine könnten trotz kleinerer Infekte, Quarantäne oder Kinderbetreuung stattfinden. Das reduziert Ausfallzeiten und -gebühren für Therapeuten bzw. Patienten. Vergessene Termine wären kein Problem, da sie kurzfristig online stattfinden können.

Sehen Sie Grenzen?

Therapien, die ein Hands-on erfordern oder Therapien bei Patienten mit Sturzgefahr sind online nicht durchführbar.

Eine instabile DSL-Leitung kann zum Problem werden. Und als Dauerlösung wäre Videotherapie als einzige Therapieform nicht geeignet, da Therapieverläufe oft nur durch Messungen und Palpation gut zu beurteilen sind. Es leidet die Qualität der Dokumentation.

Was mussten Sie bei der Organisation beachten?

Sowohl Datenschutz (ein separater Raum ist nötig) als auch die Anwenderfreundlichkeit des Programmes sind Voraussetzung, und der Patient muss zustimmen. Wichtig ist die richtige Kommunikation. Anfangs sagte ich, dass ein Endgerät mit Kamera und Mikrofon notwendig sei. Dabei dachten nur wenige an ein Smartphone. Hilfreich ist mitunter eine zweite Person für die Kameraführung.

Wie lief eine Videotherapie bei Ihnen ab?

Der Hauptunterschied zur klassischen Therapie war, dass Korrekturen und Übungen verbal angeleitet oder gezeigt werden mussten. Das Quittieren der Leistung erfolgte auf dem vorher übersandten Vordruck, der Patient unterschrieb und schickte mir davon ein Foto.

Ihr Fazit?

Die ideale Ergänzung bei bestimmten Diagnosen! Beide Seiten können viel Zeit sparen, die Regelmäßigkeit der Termine wird erhöht.  Vor allem Patienten, für die ein Coaching wichtig ist, profitieren davon. Allerdings sehe ich eine reine Videotherapieversorgung wegen der sinkenden Qualität der Verlaufskontrolle kritisch.

Würden Sie Videotherapie in die Regelversorgung aufnehmen?

Sofort! Bei ergänzender Verordnung wäre eine gute Dokumentation des Behandlungsverlaufs zu sichern. Die Digitalisierung hätte einen echten Mehrwert, auch für den Patienten.

Für eine telefonische Beratung sehe ich allerdings derzeit wenig Bedarf. Vorher müsste uns Therapeuten erlaubt werden, gegen Honorar zu beraten.

 

Thomas Pielmeier | Physiotherapeut, Nürnberg

Ein Onlineinterview mit Herrn Pielmeier finden Sie hier…

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