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Videotherapie im Scheinwerferlicht

Interview mit Jessica Engelke
Wie reagieren Ihre Patienten auf das Angebot der Videotherapie? "Die Palette ist breit und reicht von Skepsis über Interesse und Zurückhaltung bis hin zu Zweifel, ob es wirklich klappt", so die Ergotherapeutin Jessica Engelke.
© Jessica Engelke

Welche Bedenken hatten Sie selbst?

Die wichtigsten Fragen waren: Oje, Ergotherapie über Video – wie soll das gehen? Wie kann ich den Inhalt eines Motorikraumes einbringen? Was sagen die Eltern meiner jungen Patienten dazu?

Was hat Sie am Ende positiv überrascht?

Vor allem, wie spontan sich einige Eltern auf die Art der Therapie einlassen. Ich bin erstaunt, wie kreativ ich im Laufe der Videotherapie wurde und wie gut sich die Mehrzahl meiner jungen Patienten motivieren lässt. Und auch die Arbeit mit den Eltern, die ich sonst nicht wöchentlich sehe, da die Therapie in einer Einrichtung (Kita, Schule) stattfindet, empfinde ich als Bereicherung.

Welche Vorteile sehen Sie?

Mit Videotherapie ist teilweise eine bessere Elternanleitung möglich. Die Eltern werden zu Co-Therapeuten und führen automatisch Therapie-Inhalte durch. Nicht zu vergessen, dass das Medium Tablet oder Laptop gerade bei den Schulkindern positiv ankommt. Wichtig scheint auch zu sein, dass sich die Eltern den Weg zur Praxis „sparen“ und zeitlich flexibler sind. Ich sehe in der Videotherapie die Chance, das Miteinander zwischen Eltern und Kindern im häuslichen Umfeld wahrzunehmen und alle an der Therapie Beteiligten kennenzulernen.

Welche Grenzen gibt es?

An Grenzen stoße ich bei den Eltern, die sich von Anfang an eher nur schwer mit der Videotherapie anfreunden können und sich vermehrt aus der Therapie rausnehmen. Es gibt aber auch Kinder, die sich für „heute mal keine Therapie“ entscheiden und Eltern, die es trotz Anleitung nicht schaffen, ihre Kinder zu motivieren.

Schlecht finde ich außerdem die Momente, in denen die Technik versagt oder die Leitung zusammenbricht. Und Videotherapie ist für den Therapeuten sehr anstrengend, da der Blick immer auf den Bildschirm gerichtet ist.

Was müssen Sie bei der Organisation beachten?

Organisatorisch ist es definitiv ein Mehraufwand. So müssen vorab Materialien eingescannt und bereitgelegt werden, um eine ständige Unterbrechung zu vermeiden. Und eine gewisse Behandlungsstruktur sollte vor der Sitzung individuell für jeden Patienten geplant werden.

Wie läuft eine Videotherapie bei Ihnen ab?

Nach der Begrüßung und einem kurzen Austausch mit den Eltern (Wochenrückblick, Durchführung von Hausaufgaben, Stimmung usw.) wird gemeinsam der Therapieablauf besprochen. Die Therapie findet entweder mit oder ohne Elternteil statt, je nach Inhalt. Zum Abschluss folgt ein Spiel, mit oder ohne Elternanleitung.

In der Nachbesprechung mit den Eltern geht es um den Therapieablauf, Auffälligkeiten, Verbesserungsmöglichkeiten und die Vergabe von „Hausaufgaben“ sowie die Vereinbarung neuer Termine.

Ihr Fazit zur Videotherapie?

Ich sehe darin eine tolle Alternative zur Therapie in der Praxis, die sich als sinnvoll für eine engmaschige Elternarbeit und -beratung erwiesen hat. Tipps für das Umsetzen im häuslichen Umfeld kann ich über Video viel besser geben, da ich quasi mit in der Wohnung bin.

Nun überprüft der G-BA die Heilmittel-Richtlinie. Was meinen Sie, gehört Videotherapie in die Regelversorgung?

Auf jeden Fall sollte sie ein fester Teil der Regelversorgung werden.

Wie steht es mit der telefonischen Beratung? Sollte sie in Zukunft auch abgerechnet werden dürfen?

Ja, auch die telefonische Beratung sehe ich als sehr hilfreich an.

Jessica Engelke | Ergotherapeutin bei Theraphysia, Berlin-Hellersdorf

Bieten Sie auch Videotherapie an?

Kürzlich wurden viele der Sonderregelungen für den Heilmittelbereich aufgrund der Covid-19-Pandemie verlängert. Das gilt auch für die Videotherapie, die zunächst bis Ende Juni 2020 möglich war, dann vorübergehend pausierte und seit November wieder erlaubt ist. Seit dem 16. September 2021 steht fest: Zunächst bis zum 31. Dezember 2021 ist Videotherapie weiterhin möglich.

Für Heilmittelerbringer bietet sich daher immer noch eine wunderbare Gelegenheit, Videotherapie zu testen und sich darüber eine Meinung zu bilden. Insbesondere weil der G-BA beschlossen hat, die Heilmittel-Richtlinie dahingehend zu überprüfen, ob und in welchen Fällen Videotherapie in die Regelversorgung aufgenommen wird. Im Oktober 2021 soll die Beschlussfassung dazu erfolgen. Nutzen Sie die Chance, probieren Sie es aus und finden Sie heraus, welche Vorteile Videotherapie für Ihre Praxis mit sich bringt und wie sie Ihr bestehendes Therapie-Angebot ergänzt – oder auch nicht.

Ihre Meinung zählt: Wir bieten Ihnen an dieser Stelle das Forum für Austausch und Diskussion. Viele Ihrer Kollegen sind unserem Aufruf gefolgt und haben in den letzten Monaten von ihren Erfahrungen berichtet. Wenn auch Sie sich äußern möchten, schreiben Sie uns eine Mail an redaktion@up-aktuell.de. Denn wir möchten hören, was Sie zu sagen haben!

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