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Videotherapie im Scheinwerferlicht

Interview mit Hannah Becker
Unsere Klienten reagieren auf die Videotherapie meistens positiv. Viele sind froh, nicht in die Praxis kommen zu müssen und ihre physischen Kontakte eingrenzen zu können. Für viele Eltern ist es einfacher, die Termine ihrer Kinder zu organisieren, wenn die Bring- und Abholzeiten wegfallen.
© Hannah Becker

Welche Bedenken hatten Sie?

Ich war unsicher, ob ich die Inhalte aus der Praxis anwenden kann oder ob ich sie komplett überdenken muss. Nach ersten Versuchen und dem Austausch mit Kollegen habe ich allerdings schnell gemerkt, dass das nicht der Fall ist und ich viele Inhalte ohne Probleme in der Videotherapie anwenden kann.

Was hat Sie positiv überrascht?

Mich hat positiv überrascht, wie gut die Klienten auf die Videotherapie reagiert haben und wie einfach sich die Inhalte aus der Praxis anwenden lassen.

Welche Vorteile sehen Sie?

Neben dem Vorteil, dass das Ansteckungsrisiko reduziert wird, sehe ich als Ergotherapeutin den größten Vorteil darin, dass ich einen Einblick in die Lebenswelt der Klienten erhalte. Das ermöglicht beispielsweise eine Arbeitsplatzanpassung im Homeoffice oder das Schaffen einer reizarmen Umgebung am Hausaufgabenplatz von Kindern.

Welche Grenzen gibt es?

Therapien, die physischen Kontakt erfordern, sind nicht möglich – es sei denn, ich finde eine Möglichkeit, die Klienten oder ihre Angehörigen anzuleiten. Eine Durchführung per Smartphone ist wegen des kleinen Bildschirmes nur sehr eingeschränkt möglich. Deshalb sind Tablet oder PC zu bevorzugen.

Was müssen Sie bei der Organisation beachten?

Das Anlegen der Termine im Online-Tool dauert stets einen kurzen Moment, diesen muss ich also mit einplanen. Viele Klienten besitzen keinen eigenen Drucker. Daher muss ich organisieren, dass ihnen eventuell benötigte Arbeitsblätter rechtzeitig vorliegen. Oft konnten wir das bisher einfach mit Nutzung der Bildschirmfreigabe-Funktion lösen – das spart gleichzeitig eine Menge Papier.

Wie läuft eine Videotherapie bei Ihnen ab?

Nach dem Einloggen verläuft die Videotherapie in den meisten Fällen nicht anders als die Therapie in der Praxis. Wir achten lediglich darauf, mehr bewegte Pausen einzubauen.

Ihr Fazit zur Videotherapie?

Die anfänglichen Zweifel konnten schnell aus der Welt geräumt werden, und die Videotherapie stellt sowohl für uns Therapeuten als auch für viele Klienten während der Corona-Pandemie eine sehr gute Alternative dar.

Nun überprüft der G-BA die Heilmittel-Richtlinie. Gehört Videotherapie für Sie in die Regelversorgung?

Definitiv ja! Die Videotherapie ist eine tolle Ergänzung zur „üblichen“ Therapie. Viele Therapie-Inhalte lassen sich ohne Probleme auf die Videotherapie übertragen. Vor allem für die Klienten ist Videotherapie häufig einfacher zu organisieren. Außerdem bietet sie den großen Vorteil, in der Lebenswelt der Klienten therapieren zu können.

Wie steht es mit der telefonischen Beratung? Sollte sie in Zukunft auch abgerechnet werden dürfen?

Aus meiner Sicht ja. Viele Klienten verfügen nicht über eine ausreichende Internetverbindung oder ihnen fehlen die technischen Geräte zur Durchführung einer Videotherapie. Bei einer Beratung ist es nicht zwingend nötig, sein Gegenüber sehen zu können. Daher sollte die telefonische Beratung ebenfalls ermöglicht werden.

Hannah Becker | Ergotherapeutin bei Athera, Hamburg-Barmbek

Bieten Sie auch Videotherapie an?

Kürzlich wurden viele der Sonderregelungen für den Heilmittelbereich aufgrund der Covid-19-Pandemie verlängert. Das gilt auch für die Videotherapie, die zunächst bis Ende Juni 2020 möglich war, dann vorübergehend pausierte und seit November wieder erlaubt ist. Seit dem 16. September 2021 steht fest: Zunächst bis zum 31. Dezember 2021 ist Videotherapie weiterhin möglich.

Für Heilmittelerbringer bietet sich daher immer noch eine wunderbare Gelegenheit, Videotherapie zu testen und sich darüber eine Meinung zu bilden. Insbesondere weil der G-BA beschlossen hat, die Heilmittel-Richtlinie dahingehend zu überprüfen, ob und in welchen Fällen Videotherapie in die Regelversorgung aufgenommen wird. Im Oktober 2021 soll die Beschlussfassung dazu erfolgen. Nutzen Sie die Chance, probieren Sie es aus und finden Sie heraus, welche Vorteile Videotherapie für Ihre Praxis mit sich bringt und wie sie Ihr bestehendes Therapie-Angebot ergänzt – oder auch nicht.

Ihre Meinung zählt: Wir bieten Ihnen an dieser Stelle das Forum für Austausch und Diskussion. Viele Ihrer Kollegen sind unserem Aufruf gefolgt und haben in den letzten Monaten von ihren Erfahrungen berichtet. Wenn auch Sie sich äußern möchten, schreiben Sie uns eine Mail an redaktion@up-aktuell.de. Denn wir möchten hören, was Sie zu sagen haben!

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