up|unternehmen praxis

Videotherapie im Scheinwerferlicht

Interview mit Mona Nieß
Frau Mona Nieß berichtet uns, dass ihre Patienten ganz unterschiedlich auf die Möglichkeit der Videotherapie reagiert haben. "Die Vorsichtigen hatten Bedenken wegen des Datenschutzes. Andere hatten Lust, es auszuprobieren. Gerade unsere Teenager, die MFT- oder Stottertherapien bekommen, fanden es großartig, nun die heimatliche Couch nicht mehr verlassen zu müssen", so die Logopädin.
© MonaNiess

Welche Bedenken hatten Sie?

Eigentlich keine. Es war für mich ein Experiment. Knifflig war es, die Mütter als Co-Therapeuten zu nutzen, was bei Kindern im Vorschulalter nötig ist. Für einige Mütter war es schwer, sich für 45 Minuten ganz auf ihr Kind und die Therapie einzulassen. Und für die Kinder war es schwer, das zu tun, was ihre Mutter sagt.

Was hat Sie positiv überrascht?

Wie schnell sich alles eingespielt hat. Da die Mütter intensiver in die Therapie eingebunden waren, fühlten sich manche auch mehr verantwortlich und haben in den Pausen zwischen den Therapien mehr geübt als sonst. Bei einigen Kindern kam der Therapieerfolg schneller als in der ambulanten Therapie.

Welche Vorteile sehen Sie?

Angesichts von Corona ist für mich nicht nachvollziehbar, warum die Option zur Videotherapie zurückgenommen wurde. Unsere Patienten sollten das Recht haben zu wählen, ob sie für die Therapie das Haus verlassen wollen oder nicht.

Welche Grenzen gibt es?

Sehr kleine und geistig behinderte Kinder brauchen den Echt-Kontakt. Für sie ist eine Therapie über Video nicht effektiv. Allerdings kann eine Elternberatung per Video oder Telefon eine gute Alternative sein. Auch neurologische Patienten kommen häufig nicht mit diesem neuen Medium zurecht.

Was mussten Sie bei der Organisation beachten?

Videotherapie ist stimmlich viel belastender als die Therapie in der Praxis. Ich spreche lauter und artikuliere besonders deutlich. Der Aufwand ist auch erheblich größer: Ich suche Arbeitsblätter, scanne sie, maile sie den Eltern, rufe an, um Erklärungen dazu zu geben und zu besprechen, welche Spiele die Mutter bereitlegen soll. Die Vorbereitungszeit für eine Einheit beträgt mindestens 25 Minuten. Außerdem können kaum Gruppen therapiert werden. Zwei Patienten zu koordinieren, ist bei mir in der Praxis viel einfacher als online. Ich brauche zudem einen Raum ohne Störgeräusche, mit perfektem Internetempfang. Nicht zu viele Kolleginnen dürfen gleichzeitig online arbeiten. Und ich muss zwischen den Therapien mehr Pausen für die Vorbereitung und Erholung meiner Stimme planen.

Würden Sie Videotherapie in die Regelversorgung aufnehmen?

Ich halte Videotherapie für eine gute Option. Auch nach Corona wird es immer wieder erkrankte Kinder geben, die fit genug sind, 45 Minuten von zu Hause aus therapiert zu werden, aber zu krank, um sich auf den Weg in die Praxis zu machen und dann womöglich noch andere anstecken. Wichtig ist, dass die Videotherapie vom Therapeuten auf der Verordnung begründet wird und eine Ausnahme bleibt. Ansonsten befürchte ich, dass geschäftstüchtige Heilmittelerbringer hunderte Therapeuten anheuern, die von zu Hause aus auf Zuruf therapieren. Sie würden die Arbeit der niedergelassenen Kollegen übernehmen, Praxen müssten schließen, die örtliche Nahversorgung würde wegbrechen, und all jene, die nicht online therapiert werden können, blieben auf der Strecke.

Sollte die telefonische Beratung auch ermöglicht werden?

Telefonische Beratung ist längst ein Teil der therapeutischen Arbeit. Täglich rufen Eltern an, um ihre Termine zu verschieben oder Fragen zu stellen. Es wird höchste Zeit, dass dies abgerechnet werden kann.

Mona Nieß | Leitende Logopädin im Therapiezentrum Altenstadt

Außerdem interessant:

Videotherapie im Scheinwerferlicht: Interview mit Melanie Schweer | Leitende Logopädin im Therapiezentrum Altenstadt

Videotherapie im Scheinwerferlicht: Interview mit Roland Thielsen | Logopädische Praxis Roland Thielsen, Kiel

0 Kommentare
Inline Feedbacks
View all Kommentare
0
Wir würden gerne erfahren, was Sie meinen. Schreiben Sie einen Kommentar.x