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Videotherapie im Scheinwerferlicht

Interview mit Ramón Schumann
Ich habe damit im ersten Lockdown begonnen, um Patienten zu betreuen, die sich nicht mehr zur Therapie getraut haben.
© Ramon Schumann

Welchen Patienten bieten Sie Videotherapie an?

Eigentlich gibt es keine Einschränkung. Grundsätzlich kann immer beratend gearbeitet werden. Natürlich stehen aber Patienten im Vordergrund, denen mit aktiver Therapie geholfen werden kann.

Wie reagieren Ihre Patienten darauf?

Sehr unterschiedlich. Bei vielen Patienten, egal welchen Alters, ist häufig im Kopf, dass bei Physiotherapie „Hand angelegt“ werden sollte. Aber gerade Reha-Patienten nehmen dieses Angebot gerne an.

Wie organisieren Sie Videotherapie und wie läuft sie bei Ihnen ab?

Die Anfragen kommen meistens über die Homepage. Die Rezeption übernimmt die Terminvergabe und versendet eine E-Mail mit allen Infos über das Programm, mit dem wir arbeiten. Zum vereinbarten Termin findet dann über Physitrack die Videotherapie statt – mit Anamnese, Befund, Aufklärung.

Welche Vorteile sehen Sie?

Patienten können die Therapie wahrnehmen, wo auch immer sie gerade sind – ohne Zeitverluste für An- und Abfahrt. Wir hatten schon Patienten aus Berlin, obwohl wir ja in Augsburg sitzen. Außerdem kann per Videotherapie optimal beraten werden.

Welche Herausforderungen und Grenzen gibt es?

Teils schlechte Internetverbindungen, und natürlich fallen taktile Reize komplett weg, die meiner Meinung nach bei Patienten mit sehr schlechtem Körpergefühl nötig sind. Auch die Befundung kann durch Videokonsultation nicht zu 100 Prozent ersetzt werden.

Wie sehen Ihre ganz persönlichen Erfolge mit Videotherapie aus?

Einigen Patienten, denen wegen des Lockdowns von heute auf morgen die Reha gestrichen wurde, konnte super geholfen werden, ebenso denen mit guter Compliance. Grundsätzlich sind noch viele Patienten skeptisch, wenn ich sehe, wie wenige prozentual betrachtet Videotherapie nutzen.

Ihr Fazit?

Videotherapie ist ein brauchbares Tool, das in Kombination mit der herkömmlichen Vorgehensweise definitiv Zukunft hat.

Nun überprüft der G-BA die Heilmittel-Richtlinie. Was meinen Sie, gehört Videotherapie in die Regelversorgung?

Ehrlich gesagt, für mich gibt es aktuell Wichtigeres: Zertifikatsabschaffung, Modernisierung der Ausbildung und eine bessere Vergütung der Heilmittelerbringer sollten vorrangig diskutiert werden. Wenn es die Videotherapie in die Regelversorgung schafft, wäre das schön, aber Luftsprünge macht deshalb mit Sicherheit keiner von uns.

Wann, bei welchen Indikationen eignet sich aus Ihrer Sicht Videotherapie?

Beinahe bei allen Indikationen. Optimal wäre die Möglichkeit, je nach Bedarf switchen zu können. Wir haben bisher überwiegend orthopädische Patienten per Videotherapie betreut. Aber warum sollte nicht auch ein neurologischer Patient damit beraten oder therapiert werden? Und für Kontrollsitzungen eignet sie sich, um zu sehen, wie beispielsweise ein Übungsprogramm umgesetzt wird.

Wie steht es mit der telefonischen Beratung? Sollte sie in Zukunft auch abgerechnet werden dürfen?

Definitiv. Häufig bestehen Sitzungen doch gerade daraus. Wenn Patienten mehr über ihren Zustand wissen, kommen sie auch besser damit klar und gehen positiver damit um. Dafür muss niemand zwingend in eine Praxis. Insbesondere Neupatienten rufe ich einige Tage nach der ersten Sitzung an, um zu hören, wie die Therapie angeschlagen hat und um das weitere Vorgehen abzusprechen.

Ramón Schumann | Leitender Physiotherapeut & Praxisinhaber, Augsburg

Bieten Sie auch Videotherapie an?

Kürzlich wurden viele der Sonderregelungen für den Heilmittelbereich aufgrund der Covid-19-Pandemie verlängert. Das gilt auch für die Videotherapie, die zunächst bis Ende Juni 2020 möglich war, dann vorübergehend pausierte und seit November wieder erlaubt ist. Seit dem 16. September 2021 steht fest: Zunächst bis zum 31. Dezember 2021 ist Videotherapie weiterhin möglich.

Für Heilmittelerbringer bietet sich daher immer noch eine wunderbare Gelegenheit, Videotherapie zu testen und sich darüber eine Meinung zu bilden. Insbesondere weil der G-BA beschlossen hat, die Heilmittel-Richtlinie dahingehend zu überprüfen, ob und in welchen Fällen Videotherapie in die Regelversorgung aufgenommen wird. Im Oktober 2021 soll die Beschlussfassung dazu erfolgen. Nutzen Sie die Chance, probieren Sie es aus und finden Sie heraus, welche Vorteile Videotherapie für Ihre Praxis mit sich bringt und wie sie Ihr bestehendes Therapie-Angebot ergänzt – oder auch nicht.

Ihre Meinung zählt: Wir bieten Ihnen an dieser Stelle das Forum für Austausch und Diskussion. Viele Ihrer Kollegen sind unserem Aufruf gefolgt und haben in den letzten Monaten von ihren Erfahrungen berichtet. Wenn auch Sie sich äußern möchten, schreiben Sie uns eine Mail an redaktion@up-aktuell.de. Denn wir möchten hören, was Sie zu sagen haben!

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