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Kommentar

Potemkinsche Dörfer des Bundesgesundheitsministeriums

Als potemkinsche Dörfer wird Vorgetäuschtes bzw. die „Vorspiegelung falscher Tatsachen“ bezeichnet. Deswegen verdient das in der vergangenen Woche verabschiedete Gesetz zur digitalen Modernisierung von Versorgung und Pflege (DVPMG) jedenfalls aus Sicht der Logopäden, Ergotherapeuten und Podologen dieses Etikett.
© iStock: kali9

Denn im DVPMG wird ganz neu geregelt, dass jetzt nicht nur Physiotherapeuten Zugriff auf die elektronische Patientenakte ihrer Patienten freiwillig erhalten können, sondern auch alle anderen Heilmittelerbringer. Und zwar ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes, also „Mitte 2021“. Dumm nur, dass man als Heilmittelerbringer dafür an die sogenannte Telematik-Infrastruktur (TI) angeschlossen sein muss. Ohne Anbindung an die TI klappt es auch nicht mit dem Zugriff auf die elektronische Patientenakte.

Damit man sich an die TI anbinden kann, braucht man viel neue Technik im Wert von mindestens 3.000 Euro Startinvestition, sowie regelmäßige monatliche Beträge zwischen 60 und 80 Euro. Außerdem benötigt man als Therapeut einen elektronischen Heilberufsausweis sowie irgendetwas, mit dem man seine Praxis in der TI authentifizieren kann, beides kostenpflichtig.

Bis hierher scheint alles klar, aber nun muss man wissen, was im Bundesgesundheitsministerium mal kurz ausgeblendet wurde:

  1. Die elektronischen Heilberufsausweise gibt es noch gar nicht für Heilmittelerbringer. Fakt ist, dass die ausgebende Stelle, das elektronische Gesundheitsberuferegister, noch gar nicht gegründet ist. Frühestens ab dem 1. Januar 2022 sollten Heilmittelerbringer ihre Heilberufsausweise beantragen können, wenn alles klappt.
  2. Die Finanzierung des Anschlusses der Heilmittelpraxen wird durch Verträge zwischen Heilmittelverbänden und GKV-Spitzenverband geregelt, bzw. hätte gem. § 380 Abs. 2 SGB V für die Physiotherapeuten bis zum 1. März 2021 vereinbart sein sollen. Ist aber noch nicht vereinbart.
  3. Für alle anderen Heilmittelberufe (Ergo, Logo, Podo, Ernährung) steht im neuen Gesetz, dass solche Finanzierungsvereinbarungen mit den Kassen zum 1. Juli 2024 erledigt sein sollen. Ab diesem Zeitpunkt – und wirklich erst ab Juli 2024 dürfen diese Praxen sich dann die Kosten für die Anbindung an die TI von der GKV erstatten lassen.

Mit diesen Zusatzinformationen relativiert sich die großartige Einbindung der Heilmittelerbringer in die Nutzung der elektronischen Patientenakte. Therapeuten dürfen offiziell mitmachen, aber Finanzierung und Zugriffssteuerung erfolgen einfach Jahre später.

Hat hier jemand nicht aufgepasst, hat sich hier ein bedauernswerter Fehler in das umfangreiche Gesetzespacket eingeschlichen? Leider nein. Den Autoren des Gesetzes ist vollkommen klar, dass es sich bei der Einbindung der Heilmittelerbringer auf die Zugriffsberechtigung der elektronischen Patientenakte um ein potemkinsches Dorf handelt: „Es ist Ziel der Bundesregierung, dass alle Heilmittelerbringer möglichst zeitnah Zugriff auf die elektronische Patientenakte erhalten … Eine Erstattung der mit dem Anschluss an die Telematikinfrastruktur im Zusammenhang stehenden Ausstattungs- und Betriebskosten erhalten die weiteren Heilmittelerbringer gemäß der im Gesetzentwurf vorgesehenen Regelung … jedoch erst ab dem 1. Juli 2024. Die Bundesregierung geht davon aus, dass sich vor diesem Zeitpunkt allenfalls einzelne Heilmittelerbringer auf eigene Kosten an die Telematikinfrastruktur anschließen werden,“ so der Beschlusstextes für das Gesetz auf Seite 171.

Wenn Sie noch andere, erfreulichere Aspekte des DVPMG kennenlernen wollen, dann lade ich Sie herzlich ein zum up_Nachrichten Webcast am kommenden Mittwoch, den 19.5.2021 um 18:00 Uhr auf up-aktuell.de. Dann beschäftigen wir uns ausführlich mit den kommenden Änderungen im Hinblick auf die Digitalisierung des Gesundheitswesens und klären offene Fragen.

Ich freue mich auf Ihre Teilnahme am Mittwoch und hoffe, dass ich bis dahin nicht erfroren bin. Wir müssen uns hier oben im Norden mit Temperaturen im einstelligen Bereich abfinden, und das Mitte Mai. Die Jahreszeiten entpuppen sich auch immer mal wieder als potemkinsche Dörfer.

Ihr

Ralf Buchner

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