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Videotherapie im Scheinwerferlicht

Interview mit Anne B. Zimmermann
Ein klarer Vorteil sind die örtliche Unabhängigkeit des Kunden und seine Zeitersparnis, da der Weg in die Praxis entfällt. In Corona-Zeiten wird so die Gefahr einer Ansteckung reduziert.
© Anne B. Zimmermann

Hatten Sie selbst Zweifel?

Mein erster Gedanke: Da werden sicherlich viele Patienten nicht teilnehmen können und wollen. Und der zweite Gedanke: Kann ich meinen Qualitätsansprüchen gerecht werden? Der Patient ist für funktionelle Tests (Befundung) weder optimal sichtbar noch körperlich verfügbar. Haptische Reize zur Korrektur und Förderung der Körperwahrnehmung fehlen, und auch die mangelnde soziale Interaktion ist ein essenzielles Probleme für eine in meinen Augen optimale Behandlung. Zusätzlich standen Fragen im Raum wie: Bleibt das Netzwerk stabil? Welche Plattform ist überhaupt geeignet? Wie hoch ist der organisatorische Aufwand?

Wie reagieren Ihre Patienten darauf?

Es gibt Ablehnung wegen schlechter technischer Voraussetzungen, aber auch weil der soziale Kontakt wegfällt und manche Patienten das Gefühl haben, einer stressigen Herausforderung gegenüberzustehen. Andere reagieren abwartend, mit dem Mut zum Probieren. Und dann gibt es die Begeisterten, die sofort die Flexibilität von Ort und Hardware erkennen, um zeitsparend im Home-Office aktiv werden zu können.

Wie organisieren Sie Videotherapie und wie läuft sie bei Ihnen ab?

Zunächst müssen eine schriftliche Einverständniserklärung meines Patienten und eine gültige Verordnung vorliegen. Dann werden die Räumlichkeiten vorbereitet, dazu gehören passende Lichtverhältnisse sowie eine optimale Position von Monitor und meiner Person, damit ich während der Übungen gut erkennbar bin.

Nach einleitender Anamnese bzw. Erkundigung nach dem Befinden meines Patienten und Formulierung des Behandlungszieles (mit entsprechender Dokumentation) beginnt die eigentliche Therapie mit akustischer Erklärung, visueller Darstellung und Kontrolle. Ein abschließender Ausblick oder die weitere Vorgehensweise werden gemeinsam besprochen.

Was empfinden Sie als herausfordernd? Welche Grenzen gibt es?

Fehlender Blickkontakt und eingeschränkte Sicht auf die Körpersprache hemmen die soziale Interaktion. Die allgemeine Befundung ist bei Videotherapie schwierig (palpatorische und spezifische Tests entfallen), ebenso die Kontrolle der Ausführung und damit eine eventuell notwendige Korrektur. Einige Therapiemittel bleiben auf der Strecke. Generell sind nur aktive krankengymnastische Übungen möglich. Manuelle Therapie, manuelle Lymphdrainage oder anbahnende Krankengymnastik können nicht umgesetzt werden.

Nun überprüft der G-BA die Heilmittel-Richtlinie. Was meinen Sie, gehört Videotherapie in die Regelversorgung?

Ja, in der Zukunft schon! Generell ist Videotherapie eine Alternative, die würdig ist, aufgenommen zu werden. Allerdings sollte sie nicht zum Regelfall werden: Die Sicherung einer hochwertigen Therapie ist in meinen Augen nicht gewährleistet. Videotherapie sollte daher nur im Notfall oder als Erhaltungstherapie eine Option sein und – zumindest in der Physiotherapie – eine klar definierte Ausnahme bilden. Ein „Videocoaching“ als Prävention kann ich mir ebenso als zukunftsweisend vorstellen.

Wie steht es mit der telefonischen Beratung?

Die telefonische Beratung finde ich wichtig. So kann ich meinen Patienten rasch etwas an die Hand geben, Informationen senden, To Dos anbieten, aber auch beruhigend einwirken.

Anne B. Zimmermann | Physiotherapeutin & Heilpraktikerin bei Athera, Dresden

Bieten Sie auch Videotherapie an?

Kurz vor Jahresende wurden viele der Sonderregelungen für den Heilmittelbereich aufgrund der Covid-19-Pandemie verlängert. Das gilt auch für die Videotherapie, die zunächst bis Ende Juni 2020 möglich war, dann vorübergehend pausierte und seit November wieder erlaubt ist. Lange war nicht klar, ob die Kameras nach dem 31. Januar 2021 wirklich wieder ausgeschaltet werden müssen. Seit dem 16. September 2021 steht fest: Zunächst bis zum 31. Dezember 2021 ist Videotherapie weiterhin möglich.

Für Heilmittelerbringer bietet sich daher immer noch eine wunderbare Gelegenheit, Videotherapie zu testen und sich darüber eine Meinung zu bilden. Insbesondere weil der G-BA beschlossen hat, die Heilmittel-Richtlinie dahingehend zu überprüfen, ob und in welchen Fällen Videotherapie in die Regelversorgung aufgenommen wird. Im Oktober 2021 soll die Beschlussfassung dazu erfolgen. Nutzen Sie die Chance, probieren Sie es aus und finden Sie heraus, welche Vorteile Videotherapie für Ihre Praxis mit sich bringt und wie sie Ihr bestehendes Therapie-Angebot ergänzt – oder auch nicht.

Ihre Meinung zählt: Wir bieten Ihnen an dieser Stelle das Forum für Austausch und Diskussion. Viele Ihrer Kollegen sind unserem Aufruf gefolgt und haben in den letzten Monaten von ihren Erfahrungen berichtet. Wenn auch Sie sich äußern möchten, schreiben Sie uns eine Mail an redaktion@up-aktuell.de. Denn wir möchten hören, was Sie zu sagen haben!

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