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Videotherapie im Scheinwerferlicht

Interview mit Lucas Rohwedder
Die Reaktionen sind durchweg positiv. Gerade für Risikopatienten und ihre Angehörigen ist Videotherapie die einzige Möglichkeit, die notwendige Krankengymnastik wahrzunehmen. Besonders überrascht mich die niedrige Hemmschwelle der älteren Patienten.
© Lucas Rohwedder

Welche Bedenken hatten Sie?

Die Hauptfrage, die mich vorab beschäftigte, war, ob die Belastungssteuerung und Kontrolle der Bewegungsausführung auch örtlich getrennt für den Patienten qualitativ hochwertig umzusetzen ist. Die Bedenken verflogen aber mit der sich einstellenden Routine. Mit Geduld und der richtigen Anleitung gelingt es spielend, die nötigen Bewegungsabläufe zu vermitteln.

Was überrascht Sie positiv?

Die Compliance der Patienten ist überraschend gut. Gerade die ältere Generation hat kaum Berührungsängste vor den neuen Kommunikationswegen. Immerhin kam die erste Anfrage von einer 80 Jahre alten Dame, die durch die Videotelefonie mit ihren Enkeln bereits gute Erfahrungen gemacht hatte.

Wie organisieren Sie Videotherapie und wie läuft sie bei Ihnen ab?

Organisatorisch ist der Aufwand recht überschaubar. Dank unserer Therapeuten-Tablets können die Termine frei geplant werden, und bis auf kleinere Softwareprobleme ist die Therapie störungsfrei durchführbar.

Im Rahmen einer Videotherapie spielt die Befundung eine noch wichtigere Rolle für den Therapieerfolg als ohnehin schon. Am Anfang jeder Therapieeinheit versuche ich, mittels Fragen Veränderungen, Ängste und Besonderheiten genau abschätzen zu können, um die passenden Eigenübungen zusammenzustellen. Außerdem sind Edukation und Beratung wichtig. Ziel ist die Selbstermächtigung des Patienten, deshalb ist auch die Kontrolle der bereits angeleiteten Übungen so wichtig.

Welche Vorteile sehen Sie?

Vor allem die örtliche Unabhängigkeit. Der Risikopatient sowie die Eltern im Homeoffice kommen so zu ihrer Therapieeinheit. Außerdem steigt der Eigenanteil am Lerneffekt, und das Körpergefühl der Patienten wird geschult.

Auch für Therapeuten ist örtliche Unabhängigkeit von Vorteil. Ein Therapeut im Homeoffice ist doch eine interessante Vorstellung.

Welche Herausforderungen und Grenzen gibt es?

Generell fällt es bewegungserfahrenen Menschen leichter, die geforderten Übungen umzusetzen. Schwierig wird es, wenn man beispielsweise Grundlagen erst erarbeiten muss oder bei großer Unsicherheit seitens des Patienten. Vermutlich gibt es Patienten, die rein aus Sicherheitsgründen nicht an der Videotherapie teilnehmen können.

Ihr Fazit?

Als Therapiealternative für Menschen, die keine Möglichkeit haben, persönlich in der Praxis behandelt zu werden, ist Videotherapie ein gutes Angebot. Aufgrund der Rahmenbedingungen stellt sie jedoch eine große Herausforderung für die Behandelnden dar.

Nun überprüft der G-BA die Heilmittel-Richtlinie. Was meinen Sie, gehört Videotherapie in die Regelversorgung?

In Zeiten der schwindenden Therapiekapazitäten sehe ich die Videotherapie als starkes Mittel, um die Therapie barrierefrei zu ermöglichen. Auch Patienten in ländlichen Gebieten könnten sehr profitieren. Passen die Indikationen und Rahmenbedingungen, sehe ich keine Gründe, die gegen eine Videotherapie als Regelversorgung sprechen.

Wie steht es mit der telefonischen Beratung? Sollte sie zukünftig auch abgerechnet werden dürfen?

Die Entlohnung für die ohnehin täglich anfallenden Telefonberatungen wäre ein Zeichen der Wertschätzung für die wichtige therapeutische Arbeit abseits der Therapiebank.

Lucas Rohwedder | Physiotherapeut bei physio4me, Erfurt

Bieten Sie auch Videotherapie an?

Kurz vor Jahresende wurden viele der Sonderregelungen für den Heilmittelbereich aufgrund der Covid-19-Pandemie verlängert. Das gilt auch für die Videotherapie, die zunächst bis Ende Juni 2020 möglich war, dann vorübergehend pausierte und seit November wieder erlaubt ist. Lange war nicht klar, ob die Kameras nach dem 31. Januar 2021 wirklich wieder ausgeschaltet werden müssen. Seit dem 16. September 2021 steht fest: Zunächst bis zum 31. Dezember 2021 ist Videotherapie weiterhin möglich.

Für Heilmittelerbringer bietet sich daher immer noch eine wunderbare Gelegenheit, Videotherapie zu testen und sich darüber eine Meinung zu bilden. Insbesondere weil der G-BA beschlossen hat, die Heilmittel-Richtlinie dahingehend zu überprüfen, ob und in welchen Fällen Videotherapie in die Regelversorgung aufgenommen wird. Im Oktober 2021 soll die Beschlussfassung dazu erfolgen. Nutzen Sie die Chance, probieren Sie es aus und finden Sie heraus, welche Vorteile Videotherapie für Ihre Praxis mit sich bringt und wie sie Ihr bestehendes Therapie-Angebot ergänzt – oder auch nicht.

Ihre Meinung zählt: Wir bieten Ihnen an dieser Stelle das Forum für Austausch und Diskussion. Viele Ihrer Kollegen sind unserem Aufruf gefolgt und haben in den letzten Monaten von ihren Erfahrungen berichtet. Wenn auch Sie sich äußern möchten, schreiben Sie uns eine Mail an redaktion@up-aktuell.de. Denn wir möchten hören, was Sie zu sagen haben!

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