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Behandeln lassen - Themenschwerpunkt im Magazin 10 2019

„Wir haben mit gut qualifizierten Therapeuten die Möglichkeit, verstopfte Arztzimmer zu entleeren.“

Interview mit Dr. Roy Kühne, MdB, CDU
Roy Kühne ist Mitglied im Ausschuss für Gesundheit und selbst Physiotherapeut. Wir haben ihn gefragt, wo es in der Heilmittelbranche noch hakt und an welchen Stellschrauben gedreht werden muss, damit sich die Situation der Therapeuten zum Positiven verändert.
© Dr. Roy Kühne

Herr Kühne, was behindert Therapeuten in ihrer Praxis bei der Erbringung von Therapieleistungen?

KÜHNE: Ich glaube, das größte Problem ist, dass wir die Therapeuten in starre Rahmen reinpressen. Sie erlernen sehr viel und haben eine hohe Flexibilität. Dennoch werden Vorgaben gemacht, die teilweise in der Realität sehr am Praxisbedarf vorbeigehen.

Der zweite Punkt ist der ausufernde Bürokratismus. Therapeuten müssen oft etwas korrigieren, was an anderer Stelle verursacht wurde. Das halte ich für ziemlich problematisch. Ein weiteres Problem ist das kleinteilige Abkassieren von Zuzahlungen, die Patienten leisten müssen. Das raubt Zeit und hält im Praxisalltag unnötig auf. In anderen Bereichen wurde das längst abgeschafft, da ist die Lobby entsprechend stark gewesen.

Dann ist da noch die relativ große Abhängigkeit, insbesondere bei der Verschreibung. Wer legt denn fest, dass Rückenbeschwerden nach beispielsweise sechs Behandlungen behoben sind? Therapeuten können aufgrund ihres breiten Fachwissens längst selbst beurteilen, ob der Patient sechs oder auch nur drei Behandlungen benötigt. Und da sollten wir ihnen einfach mehr Spielraum lassen. Im Alltag sieht man eine Tendenz dorthin, viele Patienten leben das bereits. Sie gehen direkt zu dem Therapeuten, den sie kennen und dem sie vertrauen. Das müssen wir legalisieren.

Gibt es Therapeuten, die ihre GKV-Zulassung zurückgegeben haben, um in Zukunft nur noch Privatpatienten zu behandeln?

KÜHNE: Ja. Es gibt Therapeuten, die nichts mehr mit Kassenpatienten zu tun haben möchten. Das hat nichts mit den Patienten zu tun, sondern mit dem Verwaltungsaufwand. Da sagen viele: Ich möchte einen guten Lohn zahlen und brauche Respekt für meine Arbeit. Und der wird im Rahmen der Billigvergütung nicht gewährleistet.

Ist eine gute Therapie im 20-Minuten-Takt möglich?

KÜHNE: Ich würde gar kein Zeitfenster definieren. In einem bestimmten Zeitraum, den der Therapeut für angemessen hält, leistet er mit dem Patienten eine wertvolle Arbeit – dass können auch mal zehn Minuten sein. Lassen wir doch bitte einfach die Therapeuten ihren Job machen.

Ist die ärztliche Diagnose „Rückenschmerz“ eine echte Diagnose?

KÜHNE: Das Problem diskutieren wir immer wieder hoch und runter. Wirbelsäulensyndrom ist keine Diagnose und deshalb erwarte ich, dass wenn vom Arzt eine Diagnose gestellt wird, der Patient erstens darüber Bescheid weiß, was er genau hat, und zweitens, der Therapeut auch mit der Diagnose arbeiten kann. Oftmals wissen die Patienten selbst nicht genau, was sie haben – irgendetwas mit dem Rücken. Dann werden sie von ihrem Arzt zum Physiotherapeuten geschickt, mit einer Diagnose, die keine ist, dem Wirbelsäulensyndrom. In solchen Fällen stellen Physiotherapeuten doch eh nochmal eine differenzierte Diagnose. Hier muss die Zusammenarbeit zwischen Arzt und Therapeut einfach verbessert werden.

Wie verfahre ich, wenn ich als manueller Therapeut eine Überweisung für eine einfache Krankengymnastik bekomme?

KÜHNE: Das Obscurum, das typischerweise in der Praxis genutzt wird, ist, dass Ärzte genau wissen, dass Therapeuten immer den Mercedes anwenden, obwohl sie vom Arzt nur den Trabant verschrieben bekommen haben. Der Arzt begründet das mit seinem Budget. Natürlich kann er so mehr verschreiben. Aber das ist ja nicht im Sinne des Erfinders. Nun können sich Therapeuten hinstellen und wirklich nur die verschriebene Krankengymnastik durchführen anstelle beispielsweise der manuellen Therapie. Aber das wird er nicht machen, weil es nicht seinen ethischen Ansprüchen entspricht, nicht das Beste für den Patienten zu tun.

Wäre es dann vernünftiger, für alle Blankoverordnungen auszustellen?

KÜHNE: Ja, das ist der Punkt, wo wir hinmüssen. Wir lassen den Therapeuten die Behandlung durchführen, die er für sinnvoll hält und die dem Patienten guttut. Lassen sie den Therapeuten die Diagnosen korrigieren und anpassen – so wie Ärzte das bei weiterführenden Behandlungen auch tun – und dann sind wir bei der Blankoverordnung. Dafür haben wir gute Therapeuten in Deutschland.

Wann kommt endlich der Direktzugang?

KÜHNE: Ich hoffe, so bald wie möglich. Machen wir uns nichts vor, er wird bereits praktiziert. Im sektoralen Heilpraktiker wird er gelebt, bei den Privatpatienten wird der Direktzugang genehmigt. Und dann haben wir 80 Prozent der Menschen, bei denen geht das auf einmal nicht mehr? Diese Brücke verstehe ich nicht und über diese gehe ich auch nicht.

Kommt es ohne Direktzugang zu einer Diskriminierung der Kassenpatienten?

KÜHNE: Sie werden meiner Meinung nach schlechter behandelt, ja. Die Krankenkassen müssen den nächsten Schritt machen. Wir haben mit vielen gut qualifizierte Therapeuten die Möglichkeit, verstopfte Arztzimmer zu entleeren.

Herr Kühne, vielen Dank für dieses Gespräch.

[Das Gespräch mit Herrn Kühne führte Ralf Buchner]

 

Hier finden Sie das Video des Interviews mit Herrn Kühne.

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