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Behandeln lassen - Themenschwerpunkt im Magazin 10 2019

Das behindert den Therapieerfolg

Therapeuten berichten aus ihrem Alltag
Das Terminservice- und Versorgungsgesetz wirbelt die Heilmittelbranche ordentlich durcheinander. Besonders die Verbände sind nun in der Pflicht, das beste für die Therapeuten herauszuholen – bei den Rahmenverträgen, der Vergütung, den Zulassungsbestimmungen,… Also haben wir beim Therapiegipfel in Berlin bei Teilnehmern einmal nachgefragt, was Therapeuten daran hindert, großartige Therapie zu erbringen.

Beate Eickmann, Podologin
Bei unserer Arbeit behindern uns die Sechser-Verordnungen und die entsetzlich langen Auszahlungszeiten von einem Jahr, bis wir unser Geld haben. Wir finanzieren ein Jahr vor, sind die Bank für die Krankenkassen. Zinsen bekommen wir aber leider nicht erstattet.
Andrea Rädlein, Physiotherapeutin
Solange die Ärzte verordnen und das Heilmittel auswählen, sind uns die Hände gebunden. Wir können tatsächlich nicht mehr und nicht weniger machen. Auch wenn ich eine Manuelle Therapie-Ausbildung gemacht habe, darf ich tatsächlich nur Krankengymnastik zur Anwendung bringen. Nun sind aber Therapeuten ja Spezialisten auf ihrem Gebiet, und jeder, der manuelle Therapie gemacht hat und die Qualifikation dazu hat, wird auch manuelle Therapie anbringen. […] Ebenso bei den neurologischen Fällen: Wenn der Arzt aus Budgetgründen Krankengymnastik verordnet, wird jeder, der eine neurologische Weiterbildung hat, auch seine Kenntnisse an den Patienten anbringen.
Dieter Förster, Physiotherapeut
Die Prüfpflicht nervt und nimmt wahnsinnig viel Zeit in Anspruch, weil wir die älteren Herrschaften, die mit ihrem Rezept vor uns stehen, nicht wieder zurück zu ihrem Arzt schicken, der zehn oder 20 Kilometer weit entfernt ist, sondern sagen, wir übernehmen die Korrektur. Damit geht der Ärger los. Wir schicken die Korrektur dann per Fax, es kommt keine Antwort. Dann müssen wir hinterher telefonieren. Dann gibt es Ärzte, die sagen: Es tut mir leid, ich ändere an diesem Rezept nix. Der Patient wartet auf seine Behandlung. Wir sind aber angehalten, ohne ein gültiges Rezept die Behandlung nicht zu beginnen. […] Der schlimmsten ist derzeit die IKK, die im Moment Verordnungen prüft, die schon drei, vier Jahre alt sind, und Absetzungen vornimmt.
Nadine Dressler, Physiotherapeutin (Studentin)
Ich muss mehrmals auf das Rezept schauen, ob es korrekt ausgefüllt ist, ich muss die Zeit einhalten, in straffer Taktung, um effektiv zu wirtschaften, usw. Meine Idealvorstellung ist, dass ich davon meine Ruhe habe und mich komplett auf die Bedürfnisse des Patienten einlassen kann.
Bastian Priegelmeir, Podologe
Wir haben Verordnungen, die einfach falsch sind. […] Ich muss faxen, telefonieren oder meine Helferin, die ich extra dafür bezahlen muss, kümmert sich darum. Und das soll ich alles von dieser 30-prozentigen Erhöhung finanzieren. Da verpufft die sofort. […] Im Extremfall sagt der Arzt, der Patient kommt nur alle sechs Wochen. Wenn Sie dann eine Sechser-Verordnung haben, behandeln Sie sieben Monate und erst dann bekommen Sie Geld. Als Berufsanfänger müssen Sie das in Ihre Finanzierung einrechnen. Sie arbeiten sieben Monate für lau. […] Keine Zinsen, keine Extras, nix!
Marlies Pantaleo, Physiotherapeutin
Die gravierende Bürokratisierung behindert uns bei der Arbeit, besonders, dass die Patienten die Rezeptgebühren bei uns zahlen. Dafür mussten wir Rezeptionskräfte einstellen, die alle zusammengenommen monatlich im Schnitt etwa 6.000 Euro brutto kosten. Die Kasse erstattet nichts davon. […] Sämtliche Fortbildungen, die wir schon letztes Jahr im Oktober angemeldet haben, wurden wegen Teilnehmermangel abgesagt. Das heißt, diese ganzen Präventionssachen können wir gar nicht mehr gewährleisten. Was ist mit der Zentralen Prüfstelle? Die sollte den Anbietern mal auf die Füße treten, damit Veranstaltungen auch mit vier oder fünf Teilnehmern stattfinden.
Constanze Rike-Schöning, Physiotherapeutin
In der letzten Woche hat am meisten der bürokratische Aufwand genervt: Rezept-Kontrolle, Rezepte wieder zurückschicken, Korrektur, Einordnung in den Therapieplan, Besprechung mit den Therapeuten, dass die Korrekturen gemacht werden müssen, Erklärungen, etc. pp. Das frustriert! Mindestens drei Stunden pro Woche dauert allein die Rezeptkontrolle. Die schlimmsten Fehler auf Verordnungen: verkehrte Indikationsschlüssel, verkehrte Diagnosen, etwa wenn Schulter draufsteht und der Patient hat ein LWS-Syndrom – das ist schon ein gravierender Fehler.
Andrea Leiherr Logopädin
Wenn ich nach den Leitlinien therapieren möchte, dann kann ich das zum Beispiel bei einem Stotterpatienten gar nicht tun, weil mir der Heilmittelkatalog nicht erlaubt, 90 Minuten In-vivo-Training mit dem Patienten zu machen.
Sarah Strahl, Logopädin
Ich habe gestern vor dem Therapiegipfel noch meine ganze Bürokratie erledigt und 51 Zuzahlungsrechnungen geschrieben. Das war der blanke Horror. Und es ärgert mich.
Walburga Kemper, Physiotherapeutin
Wir brauchen immer mehr Mitarbeiter, die außerhalb der aktiven Therapie arbeiten – allein zwei bis drei Rezeptionskräfte, weil wir uns in der Therapie auf die Behandlung konzentrieren möchten. […] Wir sind rein rechnerisch nicht mehr in der Lage, Hausbesuche anzunehmen.
Tamara Sontheimer, Ergotherapeutin
Bei der täglichen Arbeit behindert mich die Arztsoftware, bei der wieder alles komplett falsch ist, sobald es eine Neuerung gibt. Und wenn ich dann bei der Prüfung einmal etwas übersehe, wird das gleich ganze Rezept nicht bezahlt. Dabei liegt der Fehler eigentlich beim Arzt. Ich muss aber dafür geradestehen.
Olav Gerlach, Physiotherapeut
Letzte Woche hatte ich einen männlichen Patienten mit einer ausschließlich weiblichen Diagnose auf der Verordnung. Da fragt man sich, wer kontrolliert das, wer füllt das aus? Wir sind die Leidtragenden, wir müssen das Ganze nacharbeiten. Das kostet uns Zeit und Geld. […] Wenn ein Orthopäde den Patienten drei Minuten sieht, gar nicht weiter untersucht und ihn dann mit der Diagnose Rückenschmerzen zur Physiotherapie schickt, hätte man sich diese Diagnose auch schenken können.
Jens Ulhorn, Physiotherapeut
Was mich massiv stört ist die gewaltige Bürokratie. Wir können nicht mehr richtig mit den Patienten arbeiten, sondern müssen viel mehr dafür aufwenden, dass wir überhaupt unseren Betrieb aufrechterhalten können. Wir haben einen enormen Aufwand mit den Ärzten. Manche Rezepte müssen so sehr geändert werden, dass wir eine halbe Stunde damit zubringen. Da sind dreißig Minuten weg bevor der Patient auch nur eine Minute Therapie bekommen hat.
Christine Alwins, Lehrerin für Physiotherapie
Für uns besteht die Schwierigkeit darin, dass wir den Schülern etwas beibringen, was so in der Praxis aufgrund der Regularien, der zeitlichen Vorgaben und der vorgegebenen Behandlungsweisen durch die Verordnungen der Ärzte nur eingeschränkt oder gar nicht umgesetzt werden kann. Wir sagen, sie sollen eine Eingangsuntersuchung machen, sie sollen dokumentieren, aber in der Praxis haben sie gar nicht die Zeit dazu – und sie sehen, dass es in der Praxis auch gar nicht umgesetzt wird.
Karin Pfersich, Podologin
In den Heilmittelverordnungen finden sich viele Fehler, zum Beispiel falsche ICD-10-Codes. Wenn wir die nicht korrigieren, bekommen wir Absetzungen. Außerdem müssen wir sehr lange auf unser Geld warten. Wir haben in der Regel Sechser-Verordnungen. Das heißt es dauert acht bis neun Monate bis wir zum ersten Mal Geld bekommen.
Uwe Eisner, Physiotherapeut
Das nervigste Thema – und das taucht jede Woche wieder auf – sind fehlerhafte Verordnungen. Die versucht man telefonisch korrigieren zu lassen, der Arzt besteht aber auf einer schriftlichen Korrektur. Dann schickt man es per Fax, schickt es ein zweites Mal per Fax und erfährt dann, dass man es bitte im Original per Post hinschicken soll.
Beate Schnoor, Physiotherapeutin
Ein Beispiel: Ein Patient soll zur Reha, ist aber noch gar nicht reha-fähig. Der Arzt hätte ihn eigentlich auf seine Leistungsfähigkeit überprüfen müssen. Hat er nicht getan und ihn vorzeitig in die Reha geschickt, dabei ist er noch gar nicht belastungsfähig. Was soll der Patient in der Reha?
Uwe Zeglin, Physiotherapeut
Wir werden daran gehindert, Akutpatienten effektiv zu behandeln, weil es wenigstens drei bis vier Wochen dauert, bis die Patienten einen Termin beim Orthopäden bekommen. Würden die Patienten direkt zu uns kommen, könnten wir das akute Problem direkt lösen bzw. entscheiden, ob er zum Arzt muss oder nicht. […] Der Direktzugang wäre der beste Weg.
Severin Günther-Blasi, Podologin
Die Bürokratie nervt am meisten, konkret die Zuzahlungspflicht und dass wir den Zuzahlungen hinterherrennen müssen. Aber auch den Ärzten müssen wir hinterherrennen, wenn sie die Verordnungen nicht richtig ausstellen, zum Beispiel Menge oder Indikation falsch angeben.
Anne Zöllner, Logopädin
Ich musste einen Patienten mit akuter Aphasie ohne Therapie nach Hause schicken, weil die Hausärztin keine Verordnung ausstellen wollte und der Neurologe Sommerferien hatte, obwohl die Therapie nach der Reha ohne Unterbrechung hätte weiter stattfinden müssen.
Katja Möller, Ergotherapeutin
In meiner täglichen Arbeit behindert mich die Unfähigkeit der Ärzte, eine Verordnung richtig auszustellen und das mangelnde Wissen über Budgetierung und extrabudgetäre Leistungen. Zum Beispiel wissen sie nicht, welche Ziffern etwa bei Schlaganfallpatienten extrabudgetär sind. Dann müssen wir uns kümmern, mit den Ärzten verhandeln, besprechen, etc.
Jens Mahrenholz, Physiotherapeut
Was uns sehr stört, ist die Knebelung der wöchentlichen Wiederholungszahlen der Behandlung. Denn die Entscheidung, wie oft ein Patient zur Therapie kommen sollte, kann eigentlich nur der Therapeut aufgrund seiner Fachkenntnisse treffen.
Hans Ortmann, Physiotherapeut
Die IKK kontrolliert in Bayern und Baden-Württemberg nachträglich vier Jahre alte Verordnungen und nimmt rückwirkend Absetzungen vor. Nach unserer Ansicht gibt es dafür rechtlich keine Handhabe. So etwas muss aufhören.
Diethild Remmert, Logopädin
Am meisten behindern mich die zahnärztlichen Verordnungen, die keine Unterbrechungen zulassen, die wir bräuchten, um bei myofunktioneller Therapie therapeutische Kontrollen in bestimmten Abständen durchführen zu können. […] Es ist nicht möglich, auf einer laufenden Verordnung einen Kontrolltermin nach sechs bis acht Wochen zu vereinbaren. Dafür benötigt man eine neue Verordnung. Das nervt.
Bettina Gärtner, Podologin
Der Patient versteht nicht, was auf der Verordnung verkehrt ist und der Arzt will es nicht verstehen. Arzt: Wieso wollen Sie Diagnosen stellen? Dann hat man den Clinch wieder mit dem Arzt.
Sylke Liesegang, Physiotherapeutin
Es ist sehr lästig, dass es keine ordentlichen Diagnosen gibt, sondern nur Eventualitäten. Ohne den Hintergrund zu kennen, verordnen Ärzte Heilmittel. Aber woher weiß der Arzt, welches Heilmittel indiziert ist?
Matthias Zöpke, Diätassistent
Die Leitlinien besagen, der Patient muss wegen Mangelernährung Therapie bekommen. Die Leitlinien sind aber nicht bindend. Der Patient muss in Vorkasse treten. Jede Kasse regelt das anders. Es werden in der Regel nur fünf Behandlungen genehmigt. In der Ärzteschaft herrscht Gleichgültigkeit, was Ernährung angeht.
Anke Hösel, Physiotherapeutin
Die Arztsoftware haut irgendwie ganz selten richtig hin. Da weiß ein Arzt vom anderen nicht.
Katja Köhn, Ergotherapeutin
Wegen der festgelegten Verknüpfung von Indikationen und Behandlungszeiten werde ich in der zeitlichen Gestaltung meiner Therapien behindert. So kann ich mich nicht an dem orientieren, was für meine Patienten sinnvoll ist.
Elke Laudan, Podologin
Beim Erstkontakt nimmt die Anamnese viel Zeit in Anspruch. Außerdem entsteht viel Papierkram und es muss viel erklärt werden. All das können wir nicht abrechnen.
Jenny Peters, Physiotherapeutin
Immer wieder ärgerlich ist, dass die Ärzte die Patienten gar nicht weiter anschauen; durch die Hose weg diagnostizieren und dann auch noch Diagnosen erstellen, die unspezifisch sind, z. B. Wirbelsäulensyndrom, nichts weiter.
Fritz Butke, Ergotherapeut
Es gibt viele Stolpersteine, etwa Erstverordnung kontrollieren: Hat der Arzt die Unterschrift vergessen? Stimmt das Heilmittel mit dem Indikationsschlüssel überein? Da muss man nachschlagen. Die Kontrolle kostet zusätzlich Zeit, außerhalb der Therapiezeit. Denn viele machen das nicht innerhalb der Therapiezeit, einfach aus moralischen Gründen, wahrscheinlich, weil die Zeit dem Patienten gehört.
Marianne Koch, Physiotherapeutin
Ich bin jetzt 45 Jahre im Geschäft und im Laufe der Zeit ist sicher ein Jahresumsatz durch fehlende Genehmigungen verloren gegangen – auch wenn viele Krankenkassen mittlerweile auf Genehmigungsverfahren verzichten.
Monique Rüter, Physiotherapeutin
Patienten gehen für Verordnungen zu verschiedenen Ärzten. Dann weiß ich ja nicht unbedingt, dass der Patient schon eine Verordnung vom Orthopäden oder Hausarzt hatte und dann beim zweiten Mal erst zu mir gekommen ist.
Uta Köpcke, Diätassistentin
Ärzte wissen nicht, dass Ernährungstherapie nicht zu Lasten ihres Budgets geht. Denn sie verordnen keine Therapie, sondern sie bestätigen nur ihre Diagnose und den Bedarf einer Therapie. Da ist die Unwissenheit der Ärzte oft katastrophal. Ärzte sind völlig uninformiert.
Britta Schilly, Logopädin
Was mich richtig nervt, ist, dass die Ärzte mit ihrem Budget bei Kindern ganz vorsichtig sind, sodass Kinder erst kurz vor oder nach Einschulung mit Logopädie anfangen und wir ganz große Probleme haben, überhaupt an Verordnungen heranzukommen.
Anna Zwerenz, Physiotherapeutin
Was mich stört, ist, dass ich erstmal mit der Prüfung der Verordnung beschäftigt bin: Passt die Verordnung? Kann ich damit überhaupt arbeiten? Kann ich die jetzt anfangen oder muss ich erstmal irgendwas abändern lassen? Es hält sehr auf, wenn ich mich erstmal mit diesem bürokratischen Aufwand beschäftigen muss, anstatt mir Gedanken machen zu können, was ich denn mit meinem Patienten in der Therapie mache.

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