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„Ausgebildete Physiotherapeuten wandern zunehmend ab in Krankenhäuser, die nach Tarif zahlen.“

Interview mit Dr. Roy Kühne, MdB, CDU
In der Pflege werden zunehmend Fachkräfte abgeworben – vom ambulanten in den stationären Bereich. Der Hauptgrund: die bessere Bezahlung. Auch im Bereich der Physiotherapie spielt Abwanderung von Fachkräften aus ambulanten Praxen in stationäre Krankenhäuser stärker als bisher eine Rolle. Es locken eine Vergütung nach Tarif und bessere Sozialleistungen als in vielen ambulanten Praxen. Wir haben über diese Problematik mit Dr. Roy Kühne gesprochen und gefragt: Was muss sich ändern, um diesen Trend zu stoppen?

Herr Kühne, der Bevollmächtigte der Bundesregierung für Pflege, Andreas Westerfellhaus, hat kürzlich ein Positionspapier „Refinanzierung und Nachweis Tariflöhne Pflege“ veröffentlicht. Darin wird gefordert, „dass man Pflegekräfte anständig bezahlen muss“. Dafür müsse die Refinanzierung durch Kranken- und Pflegekassen stimmen. Haben die ambulanten Pflegedienste ein Problem mit der Bezahlung ihrer Mitarbeiter?

KÜHNE: Ja, wir haben ein Problem und es ist gut, dass Andreas Westerfellhaus das offen anspricht. Die Schieflage in der ambulanten Pflege wird sich weiter ausweiten, wenn die stationären Pflegeeinrichtungen die Löhne refinanziert bekommen und die ambulante Versorgung ständig alles nachverhandeln muss. Wir erleben schon jetzt Abwerbeprämien bis zu 10.000 Euro. Da können Anbieter ambulanter Leistungen nicht mithalten. Besonders die Versorgung im ländlichen Raum droht daran zu scheitern.

Der Entgeltatlas der Bundesagentur für Arbeit weist für die „Altenpflege Fachkraft“ ein mittleres Entgelt (Median) in Deutschland von 2.877 Euro aus. Dieser Betrag reicht also nicht, um Mitarbeiter in der ambulanten Pflege dauerhaft zu halten?

KÜHNE: Solange in den stationären Einrichtungen deutlich besser gezahlt wird, ist das der Fall. Wir haben bis zu 900 Euro Preisunterschied zwischen dem ambulanten und dem stationären Bereich an einem Ort. Klar, dass bei den Unterschieden der stationäre Bereich deutlich beliebter ist. Zudem ist der bundesweite Median-Wert überhaupt nicht aussagefähig. In Mecklenburg-Vorpommern oder Thüringen liegt der Mittelwert teilweise deutlich unter 2.467 Euro, während in Bayern oder Baden-Württemberg bis zu 3.361 Euro gezahlt werden.

Für die Physiotherapie ist im Entgeltatlas der Bundesagentur für Arbeit ein mittleres Entgelt (Median) in Deutschland von 2.376 Euro angegeben. Sprich 500 Euro weniger als in der Altenpflege. Ist dann die Entlohnung der Physiotherapeuten nicht mindestens ein genauso großes Problem wie die in der ambulanten Pflege?

KÜHNE: Auf jeden Fall! In einigen Regionen sind die Unterschiede sogar noch deutlicher. In ganz Deutschland haben wir große Probleme, Fachkräfte im Gesundheitsbereich zu finden und zu halten.  Ausgebildete Physiotherapeuten wandern zunehmend ab in Krankenhäuser, die nach Tarif zahlen. Auch die Sozialleistungen sind dort oft attraktiver, etwa Betriebskindergärten, bezuschusstes Kantinenessen und Tarifverträge, die automatisch regelmäßige Gehaltserhöhungen garantieren. Kleine Praxis können diese in dem Umfang einfach nicht anbieten.

Hinzu kommt die massenhafte Abwanderung in andere Berufe außerhalb des Gesundheitswesens. Dort profitieren die Fachkräfte oftmals von flexibleren Arbeitszeiten und einer attraktiveren Bezahlung. Wenn sich nichts ändert, wird das Versorgungsproblem in der Heilmitteltherapie noch schneller auf uns zukommen als in der ambulanten Pflege.

Es gibt einen Pflegebeauftragten der Bundesregierung. Muss Jens Spahn jetzt auch einen Heilmittelbeauftragten einsetzen, damit die Honorare der Krankenkassen ein angemessenes Lohnniveau garantieren?

KÜHNE: Wir brauchen keine neuen Posten, sondern gesetzliche Rahmenbedingungen, die sicherstellen, dass die Praxisinhaber mit den Honoraren der Krankenkassen ihre Mitarbeiter angemessen bezahlen können. Da reicht es nicht, Preise auf ein bundeseinheitliches Niveau zu heben, denn die regionalen Unterschiede bei der Bezahlung von angestellten Mitarbeitern sind enorm. Alle Praxen erhalten von der GKV das gleiche Honorar, die Nebenkosten, die Praxisinhaber haben, schwanken aber stark von Region zu Region. Es wundert nicht, dass zunehmend Praxen ihre GKV-Zulassung zurückgeben, um finanziell über die Runden zu kommen.

Was wir brauchen, ist sachliche Politik, die sich an den Bedürfnissen der Patienten und der Verantwortlichen Leistungserbringer orientiert. Es müssen konkrete Verbesserungen für die Heilmittelberufe und die Pflege her. Sinnloses Posten-Geschacher bringt uns einfach nicht weiter.

Wäre es eine Möglichkeit, eine Art Flächentarifvertrag für angestellte ambulante Therapeuten aufzusetzen? Ähnlich wie es die niedergelassenen Ärzte mit den medizinischen Fachangestellten praktizieren?

KÜHNE: Im März haben wir das TSVG beschlossen. Hier haben wir für bundesweit einheitliche Preise gekämpft und diese durchgesetzt. Die Weitergabe von Mehreinnahmen an die angestellten Therapeuten ist nicht Gegenstand der Verträge nach § 125 SGB V, die Verhandlung mit den Mitarbeitern ist Aufgabe der Arbeitgeber. Übrigens: Die Angestelltengehälter steigen, das bestätigen uns die Verbände, zuletzt der ifk. Ich denke, wir haben hier einen wichtigen Schritt getan. Der Weg ist aber noch lang und deshalb fordere ich die Verbände auf, alles dafür zu geben, dass die Preise weiter kontinuierlich steigen. Mein Ziel ist die Angleichung an den TVöD, nur so können wir die Abwanderung von ambulant nach stationär mittelfristig aufhalten.

Herr Kühne, Sie sind Abgeordneter im Bundestag und Mitglied der Regierungsfraktionen. Was können Sie tun und was sollten die Verbände und jeder einzelne Praxisinhaber unternehmen, um das Problem des Fachkräftemangels möglichst bald zu lösen?

KÜHNE:  Die Verbände müssen alles dafür geben, dass die Richtlinien nach § 125 SGB V richtig ausgefüllt werden. Wir brauchen dringend spürbare Entlastungen. Das gilt auch für die Preisverhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband, für die die Verbände bis Ende Juni 2020 Zeit haben. Jedes einzelne Verbandsmitglied hat es mit in der Hand, die Verbände hier anzufeuern. Zur Not durch eine Abstimmung mit den Füßen.

Was in der Vergangenheit durch Demos, Kreideaktionen und aktive Social Media Kampagnen erreicht wurde, ist klasse und hat auch mir und meiner Arbeit hier im Bundestag den Rücken gestärkt. Ich werde mich weiter im Gespräch mit dem Minister dafür einsetzen, dass die wesentlichen Punkte meiner Agenda abgearbeitet werden: Angleichung an den TVöD, Modellprojekte zum Direktzugang und die damit zusammenhängende Weiterentwicklung der Berufe.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Kühne.

Das Interview führte Ralf Buchner.

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Dr. Helmut Felzmann
22.11.2019 22:48

Ein Hauptproblem ist, dass die Heilmittelpreise nicht in Abhängigkeit von… Weiterlesen »

Voitus
22.11.2019 10:54

Geanu so ist es uns vor 6 Monaten gegangen. Neueinstellung… Weiterlesen »

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