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„Es steht außer Zweifel, dass es Veränderungen geben muss und auch geben wird“

Interview mit Rechtsanwalt Dr. Christian Rybak
Herr Rybak, das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) meldet pandemiebedingt im Juni um rund 1,2 Prozent geringere Einnahmen als im Vorjahr. Der vdek warnt vor „Mindereinnahmen bei wieder erhöhten Ausgaben“ für 2021 und damit vor akuter Finanznot. Sehen Sie die Finanzentwicklung der GKV für die kommenden Jahre genauso kritisch?
© gremlin

RYBAK: Die aktuelle Corona-Pandemie birgt für alle Beteiligten im System erhebliche Herausforderungen. Eine Abschätzung der tatsächlichen Effekte bezüglich der Leistungsfährigkeit der GKV und Finanzierung von Sonderausgaben ist aktuell nur sehr schwierig. So ist zwar einerseits in verschiedenen Versorgungsbereichen ein drastischer Anstieg der Ausgaben zu verzeichnen, andererseits aber sind auch Einspareffekte durch unterbliebene Behandlungen etwa im Krankenhaus erkennbar.

Fest steht allerdings auch, dass die bereits vor der Krise existierenden Herausforderungen unverändert weitergelten und teilweise sogar einen gewissen Katalysatoreffekt erfahren haben. Die Notwendigkeit einer Überprüfung bestehender Strukturen und einer Weiterentwicklung des Systems hat bereits vor der Krise bestanden. Hieran haben die aktuellen Ereignisse nichts geändert.

Sinkende Einnahmen verursachen erheblichen Kostendruck. Sind Kostensenkungen und Einschränkungen des Leistungskatalogs hierfür die passenden Antworten?

RYBAK: Kosteneinsparungen sind kein Allheilmittel, wobei die Notwendigkeit zu wirtschaftlichem Arbeiten selbstverständlich immer und uneingeschränkt gegeben ist. Wirtschaftlich heißt aber nicht preiswert oder gar billig. Der Gesetzgeber ist daher dazu aufgerufen, adäquate Rahmenbedingungen zu schaffen, um einen Ausgleich zwischen dem Recht auf körperliche Unversehrtheit einerseits, den Grundprinzipien des Sozialstaatsprinzips auf Teilhabe und gleichberechtigtem Leistungszugang andererseits und der Notwendigkeit der Sicherstellung der finanziellen Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung auf der anderen Seite sicherzustellen.

Im G-BA sind nicht alle Leistungserbringer gleichermaßen beteiligt, tatsächlich ist die Mehrheit der Leistungserbringer nicht vertreten. Ist diese Ungleichverteilung sachgerecht und besteht nicht die Gefahr einer einseitigen Lastenverteilung?

RYBAK: Das Aufgabenspektrum des G-BA ist vielfältig, die mit seinen Entscheidungen, Festlegungen und Richtlinien verbundenen Auswirkungen sind gravierend. Häufig wird hierbei eingewandt, dass die aktuelle Organisations- und Entscheidungsstruktur die grundsätzliche Gefahr bergen würde, dass beeinträchtigende Maßnahmen wie etwa Kostensenkungen primär zu Lasten derjenigen Interessengruppen gehen könnten, die nicht im G-BA bzw. im Plenum vertreten sind. Dennoch hat sich in der Vergangenheit eine gewisse Ausgewogenheit in den Beschlüssen gezeigt, die nicht zuletzt auch durch die Stellung der Unparteiischen Mitglieder sichergestellt werden soll.

Insofern ist es weniger eine Frage des strukturellen Ungleichgewichts zwischen einzelnen Leistungserbringergruppen oder sonstigen Betroffenen, sondern eher eine Frage der Legitimation der Entscheidungen des G-BA, der Transparenz des Handelns, aber auch des Grundsatzes der Verfahrensfairness. Es ist mehr als fraglich, inwieweit es mit rechtsstaatlichen Prinzipien in Einklang zu bringen ist, wenn etwa ein pharmazeutischer Hersteller im Rahmen der frühen Nutzenbewertung lediglich angehört wird, während die Vertreter der Kostenträger eine Bank des G-BA bilden und somit einerseits mit der Nutzenbewertung befasst sind, andererseits aber auch im Rahmen der Preisverhandlungen wiederum auf den pharmazeutischen Hersteller treffen.

Will man mit dem Grundsatz der Transparenz, Gleichheit und Verfahrensfairness ernst machen, so wäre es sicherlich ratsam, die bestehenden Optionen zu erweitern und grundsätzlich darüber nachzudenken, inwieweit betroffene Patienten einerseits und Leistungserbringer andererseits stärker eingebunden werden können.

Können im G-BA überhaupt alle Leistunsgbereiche vertreten sein? Wie müsste der G-BA strukturiert werden, damit er ein Abbild der Gesundheitsversorgung in der GKV ist?

RYBAK: Es ist sicherlich nicht sinnvoll und auch nicht praktikabel, wenn jede noch so kleine einzelne Interessengruppe im G-BA vertreten ist und über ein entsprechendes Stimmrecht verfügen würde. Dies wäre nicht nur im Interesse der Gesundheitsversorgung ineffektiv, sondern würde das Handeln des G-BA insgesamt lähmen.

Wichtig ist, dass Entscheidungen in transparenter und für die Betroffenen nachvollziehbarer Weise getroffen werden können und dabei deren Interessen hinreichend berücksichtigt werden. Dies bedingt sicherlich nicht eine hundertprozentige Abbildung des gesamten Gesundheitswesens, wohl aber eine Berücksichtigung und effektive Teilhabe der wesentlichen Versorgungsbereiche, noch dazu, wenn ein Eingriff in diese grundrechtsrelevant ist. Schlussendlich bleibt die Frage, wie weit Mitentscheidungs- und Beteiligungsrechte reichen müssen und dürfen.

Wie realistisch ist eine solche Veränderung?

RYBAK: Innovationen einerseits, der demografische Wandel andererseits führen dazu, dass sich Notwendigkeiten verschieben, neue Herausforderungen entstehen, während bestehende Probleme unter Umständen gelöst werden. Dieser beständige Wandel ist somit Ursache eines konstanten Innovations- und Veränderungsdrucks. Es steht außer Zweifel, dass es Veränderungen geben muss und auch geben wird. Das System der Gesundheitsversorgung ist schon aufgrund äußerer Einflüsse einem steten Wandel unterworfen. Nicht umsonst wurde teilweise gerade im Zusammenhang mit dem G-BA vom Begriff des „lernenden Systems“ gesprochen, der leider aber nicht nur missverstanden, sondern teilweise auch bewusst fehlinterpretiert worden ist.

Die bestehenden Herausforderungen sind jedoch unübersehbar. Dies gilt nicht nur in rechtlicher Hinsicht, sondern auch im Hinblick auf Transparenz und Nachvollziehbarkeit, aber auch Akzeptanz bestehender Verfahren und Prozesse. Insofern ist es vermutlich keine Frage des Ob, sondern nur des Zeitpunkts, wann solche Veränderungen umgesetzt werden, wobei dieser Prozess naturgemäß von Kompromissen begleitet ist. Dies ist eine (beabsichtigte) Folge eines pluralistischen Meinungsbildungsprozesses und ist trotz aller damit verbundenen Nachteile unverzichtbar. Sozialstaat heißt nämlich nicht nur Umverteilung, sondern auch Ausgleich. Und ein Ausgleich hat nicht nur im Hinblick auf finanzielle Aspekte zu erfolgen, sondern auch im Hinblick auf die in einem System vertretenen Interessen. Nur so lässt sich sozialer Frieden einerseits bewahren und soziale Sicherheit und Wohlstand auf der anderen Seite gewährleisten.

Herr Dr. Rybak, vielen Dank für das Gespräch.

[Das Gespräch mit Dr. Rybak führte Ralf Buchner.]

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