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Rettungsschirm für Heilmittelpraxen

„Schnelle und effektive Hilfe für die Heilmittelpraxen war das oberste Ziel“

Interview mit Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des Verbands der Ersatzkasssen e. V. (vdek)
Der Verband der Ersatzkasssen e. V. (vdek) hat maßgeblich bei der Umsetzung des Rettungsschirms für die Heilmittelbranche mitgewirkt. Wir haben mit Frau Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des vdek, unter anderem darüber gesprochen, wie zufrieden sie mit dem Rettungsschirm ist, wo es ihrer Meinung nach Verbesserungspotential gab und was sie zu der Kritik sagt, dass einige Praxen aufgrund der vorgegebenen Rahmenbedingungen und Berechnungsgrundlagen vom Rettungsschirm nichts oder nur sehr wenig abbekommen haben.
© vdek/Georg. J. Lopata

Frau Elsner, sind Sie zufrieden mit dem Auftrag und den Rahmenvorgaben des Rettungsschirms, die der Gesundheitsministers in die Wege geleitet hat?

ELSNER: Ja, absolut. Schnelle und effektive Hilfe für die Heilmittelpraxen war das oberste Ziel der Rechtsverordnung. Dieses Ziel ist eindeutig erreicht worden.

Sind Sie zufrieden mit der Umsetzung des Rettungsschirms unter anderem durch Ihren Verband?

ELSNER: Man muss sich noch einmal in Erinnerung rufen, dass die Rechtsverordnung des Gesundheitsministeriums am 4. Mai 2020 veröffentlicht wurde. Ab dem 20. Mai 2020 konnten Anträge gestellt werden und bereits eine Woche später hat der vdek die ersten Auszahlungen in Höhe von 95 Millionen Euro an 5.460 Leistungserbringer getätigt. Dass wir gerade einmal drei Wochen für den Aufbau eines so bürokratiearmen Antragsverfahrens und die ersten Auszahlungen gebraucht haben, macht mich sehr zufrieden.

Und sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis für die ambulante Versorgung?

ELSNER: Das Gesundheitsministerium wollte die Heilmittelpraxen kurzfristig unterstützen, wobei die Zahl der Angestellten und die Höhe des Umsatzes berücksichtigt werden sollten. Dies ist gelungen und so konnte die ambulante Versorgung im Heilmittelbereich langfristig gesichert werden. Natürlich verursacht die Kurzfristigkeit der Maßnahme auch einige Ungenauigkeiten bei der Auszahlungshöhe des Rettungsschirms. Da es im Mai aber um die Rettung von Existenzen und nicht um eine garantierte leistungsabhängige Vergütung ging, war die Entscheidung, schnell und pauschal vorzugehen, genau richtig.

Wichtig ist mir aber auch eine Sache: Die geförderten Praxen müssen dafür sorgen, dass das Geld auch bei den angestellten Therapeuten ankommt. Gerade in den Fällen, in denen die finanzielle Belastung durch Kurzarbeitergeld abgemildert wurde, ist eine anteilige Weitergabe für die langfristige Sicherung der ambulanten Versorgung und die Attraktivität des Berufes essenziell.

Ganz konkret: Was hat der Rettungsschirm in Zahlen gebracht? Für die Heilmittelpraxen in Auszahlungsbeträgen und für die Kassen bzw. die ARGEn an Arbeit?

ELSNER: Der vdek hat in den meisten Regionen die Auszahlung für die ARGEn der Heilmittelzulassung übernommen. In den von uns betreuten Regionen (ca. 80 Prozent) wurden bis Anfang Juli ca. 690 Millionen Euro an 44.000 Antragsteller überwiesen. Um den Ansturm der Antragsteller ab dem 20. Mai abzufedern, wurden in der ersten Phase über 100 Mitarbeiter der Landesvertretungen des vdek für die Antragsbearbeitung und weitere 30 Mitarbeiter in einer extra eingerichteten Hotline eingesetzt. In wenigen Tagen mussten Verwaltungsprozesse definiert, Software programmiert und Mitarbeiter geschult werden. Dies war ein organisatorischer Kraftakt. Ich kann meinen Mitarbeitern nur danken, dass sie sich für den reibungslosen Verlauf dieses Projektes so engagiert eingebracht haben.

Leider kommt es derzeit in einigen Fällen noch zu Verzögerungen bei den Auszahlungen. Der Grund ist, dass eine ganze Reihe von Praxen ihre bei der ARGE IK (Arbeitsgemeinschaft Institutionskennzeichen) gespeicherten Bankverbindungsdaten nicht aktuell gehalten oder erst kurzfristig vor oder nach Antragstellung geändert haben. Dadurch erhalten wir eine Vielzahl von Bankrückläufern, die natürlich alle einzeln manuell nachbearbeitet werden müssen. Dies führt unvermeidlich zu Verzögerungen bei der Auszahlung der letzten Förderbeträge.

Was war aus Ihrer Sicht der größte Erfolg des Rettungsschirms?

ELSNER: Zunächst einmal sind die Existenz dieses Rettungsschirms und die Schnelligkeit bei der Realisierung ein großer Erfolg. Erfreulich ist sicherlich auch die enge und gute Zusammenarbeit von Politik, Kostenträgern und Leistungserbringerverbänden. Durch das gemeinsame Handeln aller Beteiligten ist dieser Rettungsschirm in der vorliegenden Form überhaupt erst möglich geworden.

Die meisten Rettungsschirme, in- und außerhalb des Gesundheitssystems, arbeiten mit pauschalen Zahlungen und können dadurch nur bedingt die konkreten Bedürfnisse des betroffenen Unternehmens berücksichtigen. Auch wenn es heute vereinzelt Kritik an der Auszahlungshöhe gibt, liegt in der auf die einzelne Praxis ausgerichteten Verteilungssystematik in Verbindung mit der schnellen Umsetzung eigentlich eine der größten Stärken dieses Rettungsschirms.

Und wo gab es Verbesserungspotential, was hätten Sie lieber anders gemacht/geregelt?

ELSNER: Unter den gegebenen Bedingungen hätte man bei der Ausgestaltung und Umsetzung der Rechtsverordnung nicht viel anders machen können. Tatsächlich hören wir diesbezüglich so gut wie keine Kritik.

Allerdings wäre es besser gewesen, wenn einige der beteiligten Organisationen in der Kommunikation über die Höhe der Auszahlungsbeträge für die einzelne Praxis zurückhaltender gewesen wären. Ziel des Rettungsschirms ist es ja, den erwarteten Umsatzrückgang durch die Pandemie in den Heilmittelpraxen teilweise aufzufangen. Hierfür sollten aus dem Gesundheitsfonds bis zu 970 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden.

Bei der Frage, wie man diesen Betrag möglichst schnell und möglichst zielgerichtet auf die Praxen verteilt, kamen dann die Daten nach § 84 Absatz 7 in Verbindung mit Absatz 5 SGB V ins Spiel. Es ging also niemals darum, jeder Praxis einen Auszahlungsbetrag von 40 Prozent des Umsatzvolumens des vierten Quartals zu garantieren. Es ging vielmehr darum, einen festen Betrag möglichst schnell und möglichst bedarfsorientiert den Praxen zur Verfügung zu stellen. Die 40 Prozent sind somit nur das Ergebnis dieser Kalkulation. Ferner konnten die Umsätze aus der Privaten Krankenversicherung und der Berufsgenossenschaften nicht berücksichtigt werden, weil es dort an vergleichbaren Daten mangelt. Hätten alle beteiligten Verbände und Organisationen dies so kommuniziert, dann würde es vielleicht heute etwas mehr Verständnis bei denen geben, die durch die unterschiedlichsten Umstände leider etwas weniger stark profitieren als andere.

Gab es positive Rückmeldungen von Heilmittelpraxen? Was war Ihr persönliches Highlight?

ELSNER: Ein Projekt, bei dem es so viel positive Resonanz seitens der Leistungserbringer gab, habe ich selten erlebt. Bei unserer Rettungsschirm-Hotline gingen in den ersten Tagen ca. 100 Anrufe pro Stunde ein. Und viele Anrufer gaben positive Rückmeldungen. Da war viel Dankbarkeit zu spüren, dass die Probleme der Heilmittelpraxen in der Pandemie von der Politik wahrgenommen und berücksichtigt wurden.

Ein anderes Highlight ist sicherlich, dass sich jetzt Praxen melden, die den Förderbetrag zurückzahlen wollen, weil ihr Umsatzrückgang doch nicht so groß war, wie ursprünglich befürchtet. Dieses sozialpolitische Verantwortungsgefühl freut mich besonders. Denn die ausgezahlten Förderbeträge müssen ja von irgendjemandem bezahlt werden, und natürlich darf es nicht darum gehen, einen persönlichen Gewinn aus dieser schwierigen Situation zu ziehen.

Es hat auf Seiten der Praxisinhaber aber nicht nur Lob für die Umsetzung des Rettungsschirms gegeben, sondern teilweise auch massive Kritik. Einige Praxen haben aufgrund der vorgegebenen Rahmenbedingungen und Berechnungsgrundlagen vom Rettungsschirm nichts oder nur sehr wenig abbekommen. Können Sie deren Ärger und Frust nachvollziehen?

ELSNER: Wenn eine Praxis weniger erhält, als sie erwartet hat, oder wenn durch besondere Rahmenbedingungen sogar erhebliche Differenzen entstanden sind, dann führt das natürlich zu Enttäuschung. Wären die Mechanismen des Rettungsschirms etwas anders kommuniziert worden, hätte man diese Reaktionen im Vorfeld etwas abmildern können, aber das Ungerechtigkeitsgefühl bleibt natürlich bei den Betroffenen bestehen.

Und natürlich kann ein so kurzfristig umgesetzter Rettungsschirm nicht alle Bedürfnisse aller Antragsteller vollständig befriedigen. Bei einer Bewertung sollte man ergänzend berücksichtigen, dass es auch noch andere Hilfsprogramme der Länder und des Bundes gibt, die vielleicht das ein oder andere Ungleichgewicht auch noch auffangen können.

Die Kritik dieser Praxen bezieht sich auf zwei Punkte. Zum einen wird bemängelt, dass die überwiesenen Summen nicht der ursprünglichen Zielsetzung der Verordnung entsprechen. 40 Prozent der Umsätze des 4. Quartals 2019 sind nicht überall angekommen.

ELSNER: Wie bereits beschrieben, war das ursprüngliche Ziel gar nicht die Auszahlung der 40 Prozent, sondern die möglichst gerechte Verteilung des vermutlich notwendigen Fördervolumens. In der politischen Diskussion waren im Vorfeld der Rechtsverordnung auch deutlich niedrigere Prozentwerte in der Diskussion. Es wurde erwogen, andere Quartale als das vierte Quartal 2019 als Basis heranzuziehen etc. Im Mix der Entscheidungsvarianten hat sich das Bundesgesundheitsministerium für die vorliegende Form entschieden. Unter Abwägung aller Vor- und Nachteile war diese Entscheidung auch im Nachhinein absolut richtig.

Zum anderen kritisieren viele betroffene Praxisinhaber die aus ihrer Sicht fehlende Transparenz. Was sagen Sie dazu?

ELSNER: Grundlage für die Berechnung waren die von niedergelassenen Ärzten veranlassten Verordnungen des 4. Quartals 2019, die in die Datenmeldung einflossen. Weder die zuständigen ARGEn noch der GKV-Spitzenverband sind in der Lage, den Auszahlungsbetrag auf die einzelne Praxis weiter aufzuschlüsseln. Dass die Praxen sich hier mehr Transparenz gewünscht hätten, kann ich nachvollziehen. Aber man sollte sich auch klar machen, dass erst durch den Rückgriff auf diese Datengrundlage eine kurzfristige Auszahlung möglich war.

Rechtlich halte ich diese Verfahrensweise im Übrigen für absolut angemessen. Denn das übergeordnete Ziel einer schnellen Existenzsicherung wiegt gewiss schwerer als Transparenz über die genaue Ermittlung der Auszahlungshöhe.

Hätte es andere Möglichkeiten gegeben, Auszahlungsbeträge an Heilmittelpraxen zu berechnen, die „gerechter“ gewesen wären?

ELSNER: Alternativen hätte es natürlich gegeben. Die Kombination aus Schnelligkeit und Bedarfsorientierung war aber nur mit dem vorliegenden Verfahren möglich. Eine stärker pauschalierte Zahlung hätte zu deutlich mehr Unausgewogenheit geführt und wäre damit keine bessere Variante gewesen. Für eine Zahlung auf der Basis jeder einzelnen Abrechnung, die im vierten Quartal 2019 erbracht wurde (und nicht wie in der Rechtsverordnung vorgesehen: im vierten Quartal 2019 abgerechnet wurde) hätte die GKV eine komplett neue Datenerhebung durchführen müssen. Alternativ dazu hätte man auf der Basis von eingereichten Belegen jeden einzelnen Fall und damit jeden Antrag manuell prüfen müssen. Mit diesen Varianten wären die Auszahlungen wahrscheinlich erst im Jahr 2021 auf den Konten der Heilmittelpraxen eingegangen. Das Ziel kurzfristiger Hilfen zur Existenzsicherung für Heilmittelpraxen hätte man so nicht erreichen können.

Ganz pragmatisch: Gibt es rechtlich aus Ihrer Sicht irgendeine Möglichkeit gegen die Höhe der Auszahlungsbeträge vorzugehen? Und wenn ja, was hätte das möglicherweise für Konsequenzen?

ELSNER: Die Rechtsverordnung des Bundesgesundheitsministeriums ist eindeutig formuliert. Daher sehe ich keine Erfolgsaussichten, rechtlich gegen die Auszahlungshöhe vorzugehen. Außerdem existiert gar keine alternative Datengrundlage, auf der sich heute die Auszahlungshöhe anders berechnen oder anders aufschlüsseln ließe.

Würde man tatsächlich den Zeitpunkt der Leistungserbringung als Grundlage für die Auszahlungshöhe heranziehen, dann müsste der gesamte Rettungsschirm rückabgewickelt werden. Dies würde nicht nur sehr lange dauern, sondern es würde auch zu Rückzahlungen führen und wieder andere Heilmittelpraxen belasten.

Und wenn man den Rechtsweg nicht beschreiten kann oder will: Macht es Sinn, hier politisch das Thema noch einmal aufzugreifen?

ELSNER: Da keine sinnvollen Alternativen zur Rechtsverordnung existieren, gehe ich nicht davon aus, dass das Thema politisch noch einmal aufgegriffen wird. Ich glaube auch, dass es politisch nicht besonders klug wäre, einen so großen berufspolitischen Erfolg, wie es der Rettungsschirm unzweifelhaft ist, inhaltlich zu diskreditieren. Der Rettungsschirm Heilmittel ist eine unglaubliche Erfolgsgeschichte und eine ganz außergewöhnliche Maßnahme zur Aufwertung der Heilmittelversorgung in Deutschland.

Haben Sie schon einmal eine vergleichbare Situation erlebt, in der die Kassen einen erheblichen Beitrag zur Rettung der Praxen geleistet haben?

ELSNER: In diesem Umfang sicherlich nicht. Aber wir haben es auch mit einer wirklich einzigartigen Situation zu tun. Und das möchte ich noch unterstreichen: Kein anderer Leistungsbereich wurde in der Pandemie in diesem Umfang unterstützt. Und zwar ohne dass andere Förderungsmaßnahmen angerechnet wurden, ohne dass eine Rückzahlung der Förderbeträge vorgesehen ist und ohne dass konkrete Leistungen hinter dem individuellen Förderbetrag stehen. Ich kann den politischen Akteuren im Heilmittelbereich nur gratulieren, dass sie es geschafft haben, eine so breite Unterstützung bei der Politik und bei den Kostenträgern zu erhalten.

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