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Ein anderer Blick auf die Welt

Patienten mit Autismus verstehen und unterstützen
Bei Autismus handelt es sich um eine neurologische Entwicklungsstörung, die sich auf die soziale Interaktion, die Kommunikation und das Verhalten auswirkt. Genaue Zahlen zur Häufigkeit von Autismus in Deutschland gibt es laut Umweltbundesamt nicht. Es wird aber eine weltweite Prävalenz von 0,6 bis 1 Prozent angenommen, wobei Jungen vier Mal häufiger betroffen sind als Mädchen. Es ist also wahrscheinlich, dass auch Therapeuten bei ihrer Arbeit Menschen mit Autismus begegnen – aufgrund ihrer Entwicklungsstörung, aber auch wegen anderer Erkrankungen, die damit nicht oder nur indirekt in Verbindung stehen. Therapeuten, die die besonderen Bedürfnisse dieser Patienten kennen, können darauf eingehen und die Zusammenarbeit für beide Seiten so erleichtern.
© Juanmonino

Aufgrund ihrer Komplexität und Vielgestaltigkeit spricht man heute von Autismus-Spektrum-Störungen (ASS). Diese kann leicht oder schwer ausgeprägt sein, mit kognitiven Entwicklungsverzögerungen verbunden sein oder, wie im Fall des Asperger-Syndroms, einer in normalen und in Teilgebieten besonders hohen Intelligenz. Wie alle Menschen, hat also auch jeder Patient mit einer ASS individuelle Bedürfnisse. Im Folgenden finden Sie einige Ansatzpunkte, die Ihnen im Umgang mit den Patienten helfen können.

Wartebereich umgehen

Die Behandlung von Patienten mit einer Autismus-Spektrum-Störung stellt Therapeuten vor besondere Herausforderungen. Das beginnt schon im Wartezimmer und setzt sich im Behandlungsraum fort. Sind Wartezimmer und Eingangsbereich aktuell aufgrund der Corona-Pandemie vielleicht sehr ruhig, herrscht dort zu anderen Zeiten eine Vielfalt an Reizen. Vielleicht wird gerade telefoniert, das Radio läuft und zwei Patienten unterhalten sich. Gleichzeitig hängen Bilder an den Wänden, es liegt Informationsmaterial aus und ein Schild bittet um Diskretionsabstand. Während Menschen ohne Autismus das für sie Relevante schnell herausfiltern und die anderen Reize ausblenden, gelingt das Menschen mit Autismus nicht. Sie sind von einer solchen Situation darum schnell überfordert.

Erwarten Sie einen Patienten mit einer ASS, können Sie auf dessen spezielle Bedürfnisse eingehen, indem Sie ihn aus dieser Reizüberflutung schnell herausholen und in den Behandlungsraum oder einen ruhigen Wartebereich bringen.

Kommunikation anpassen

Menschen mit Autismus fällt es schwer, soziale und emotionale Signale zu interpretieren oder auch selbst auszusenden. Das sollten Sie bei der Kommunikation berücksichtigen. Versuchen Sie, sich so klar wie möglich auszudrücken. Vermeiden Sie bildhafte Sprache, Wortspiele, Metaphern und Ironie. Ihr Patient könnte Aussagen wie „Hals- und Beinbruch“ wörtlich nehmen.

Feinheiten der Sprache, wie etwa eine bestimmte Betonung, um den Sinn zu unterstreichen, verstehen manche Menschen mit Autismus nicht. Verzichten Sie zudem auf begleitende Gesten. Denn auch hier ist nicht sicher, dass ihr Gegenüber diese interpretieren kann bzw. kommt es so möglicherweise zu Missverständnissen.

„Übersetzer“ als Hilfe

Es ist möglich, dass die Kommunikation durch eine gestörte Entwicklung des Sprachgebrauchs und des Sprachverständnisses erschwert wird. Achten Sie darauf. Wenn Sie selbst bei der Kommunikation an Ihre Grenzen stoßen, hilft es vielleicht einen „Übersetzer“ hinzuzuziehen. Damit ist eine dem Patienten vertraute Person gemeint, die dessen Bedürfnisse gut kennt und bei der Kommunikation vermitteln, also quasi „übersetzen“ kann.

Körperkontakt manchmal schwierig

Es ist – wenn nicht gerade strenge Hygieneregeln gelten – üblich, dass Sie Patienten vor der Behandlung mit einem Händeschütteln begrüßen? Oder Ihnen die Hand zum Abschied reichen? Bei Patienten mit einer ASS kommen diese nett gemeinten Gesten möglicherweise gar nicht gut an. Sie könnten diese bereits als unangenehmes Eindringen in ihre Privatsphäre empfinden. Fragen Sie darum lieber, bevor Sie sie berühren.

Verändertes Schmerzempfinden

Menschen mit Autismus haben Schwierigkeiten, Sinneseindrücke zu filtern und Reize zu bewerten. Das kann etwa dazu führen, dass Patienten mit Autismus eine Berührung oder Behandlung als schmerzhaft empfinden, die Gesunde als ganz normal einstufen würden. Auch fällt es Menschen mit Autismus bei Schmerzen mitunter schwer, genau zu sagen, an welcher Stelle sich ein Schmerz befindet. Gehen Sie darauf bei der Behandlung ein. Denken Sie daran, auch hier auf Bildsprache wie „stechender Schmerz“ o.ä. zu verzichten.

Weitere Informationen zum Thema finden Sie zum Beispiel auf www.autismus.de, der Website des Bundesverbands zur Förderung von Menschen mit Autismus „autismus Deutschland e.V.“.

Hintergrund: Diagnose Autismus

In den ICD 10 sind drei Formen von Autismus definiert: „Frühkindlicher Autismus“ (F84.0), „Asperger-Syndrom“ (F84.5) und „Atypischer Autismus“ (F84.1). Da die Unterscheidung in der Praxis jedoch häufig schwerfällt und zunehmend auch leichtere Formen der einzelnen Störungsbilder diagnostiziert werden, spricht man heute von einer „Autismus-Spektrum-Störung“ (ASS) als Obergriff für das gesamte Spektrum autistischer Störungen.

Dieser Artikel wurde am 10.05.2021 aktualisiert.

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