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Videotherapie im Scheinwerferlicht

Interview mit Eva Kösters
Eva Kösters macht auf die neu gewonnenen Freiheiten in der Heilmitteltherapie aufmerksam: Durch Videotherapie als zusätzliche Behandlungsmethode bleibe sie räumlich und zeitlich flexibel. Besonders bei Stimmübungen entfalte sich das therapeutische Potenzial. Über die methodischen Grenzen ist sie sich jedoch durchaus bewusst.
© Eva Kösters

Warum behandeln Sie per Videotherapie?

In erster Linie geht es für mich aktuell darum, Kontakte zu reduzieren. Ich fühle mich im Videosetting gerade freier als in der Präsenztherapie: Das Abstandhalten und Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes erschweren viele logopädische Interventionen. Das ist mithilfe der Kamera anders, mit der ich beispielsweise eine bestimmte Zungenbewegung sehr genau und nah zeigen oder uneingeschränkt Stimmübungen durchführen kann, die mit einer intensiveren Ausatmung verbunden sind.

Wie reagieren Ihre Patienten darauf?

Die meisten nehmen das Angebot dankend an. Andere sind anfangs etwas skeptisch, lassen sich aber versuchshalber darauf ein und sind danach von der guten Alternative oder Ergänzung zur Präsenztherapie überzeugt. Bislang lehnten nur wenige Patienten eine Videobehandlung von vornherein ab.

Welche Vorteile sehen Sie?

Neben der aktuell notwendigen Reduzierung des Infektionsrisikos sehe ich langfristig Vorteile für die therapeutische Arbeit, insbesondere mehr räumliche und zeitliche Flexibilität. Als Mutter eines einjährigen Kindes weiß ich die wegfallenden Arbeitswege oft sehr zu schätzen. Auch Patienten können Termine flexibler wahrnehmen, das verbessert die Patientenversorgung und die Praxisauslastung.

Welche Herausforderungen und Grenzen gibt es?

Ich kann nicht alle stimmtherapeutischen Interventionen online umsetzen: Eingangs- und Abschlussbefunde mit Ton- und Videoaufnahmen in höherer Audioqualität sowie die digitale Stimmanalyse erfolgen weiterhin in der Praxis. Auch einige ganzkörperliche Übungen lassen sich besser in einem gemeinsamen Raum anleiten. Probleme mit der Internetverbindung oder Ähnlichem können vorkommen, hielten sich in meinen Sitzungen aber bislang in Grenzen.

Wie sehen Ihre ganz persönlichen Erfolge mit Videotherapie aus?

Trotz meiner Offenheit war ich doch überrascht, wie gut das Format wirklich funktioniert: Ich konnte bisher alle Online-Behandlungen in der gleichen Qualität durchführen wie meine Präsenztherapie. Besonders dankbar waren die Patienten, die wegen des Videotherapie-Angebotes schneller einen Therapieplatz erhalten haben: Aus familiären oder beruflichen Gründen hätten sie nur nachmittags und abends Termine in der Praxis wahrnehmen können und wären dadurch auf unserer Warteliste gelandet. Nun sind sie flexibel von zuhause oder sogar vom Arbeitsplatz aus dabei.

Ihr Fazit?

Videotherapie ist eine sinnvolle und wichtige Ergänzung zur regulären Präsenztherapie. Sie ist zeitgemäß und hat das Potenzial, die Sicherstellung der logopädischen Versorgung endscheidend zu verbessern.

Nun überprüft der G-BA die Heilmittel-Richtlinie. Was meinen Sie, gehört Videotherapie in die Regelversorgung?

Definitiv. Alles andere wäre aus meiner Sicht ein Rückschritt.

Bei welchen Diagnosegruppen eignet sich aus Ihrer Sicht Videotherapie?

Ich behandle vor allem erwachsene Patienten mit Stimmstörungen, denn hier basieren viele Übungen auf dem Prinzip des Vor- und Nachmachens oder fördern die Eigenwahrnehmung. Ältere Kinder und Jugendliche mit myofunktionellen Störungen oder Stottern profitieren meiner Erfahrung nach auch davon.

Sollte in Zukunft auch die telefonische Beratung abgerechnet werden dürfen?

Das ist überfällig in der Regelversorgung. Unsere Praxis berät schon immer – auch telefonisch – ausführlich das soziale Umfeld der Patienten, weil es für einen nachhaltigen Behandlungserfolg unerlässlich ist.

Eva Kösters | Praxisinhaberin, Logopädin & Fachtherapeutin Stimme, Kompetenzzentrum Logopädie, Berlin

Bieten Sie auch Videotherapie an?

Kürzlich wurden viele der Sonderregelungen für den Heilmittelbereich aufgrund der Covid-19-Pandemie verlängert. Das gilt auch für die Videotherapie, die zunächst bis Ende Juni 2020 möglich war, dann vorübergehend pausierte und seit November wieder erlaubt ist. Seit dem 16. September 2021 steht fest: Zunächst bis zum 31. Dezember 2021 ist Videotherapie weiterhin möglich.

Für Heilmittelerbringer bietet sich daher immer noch eine wunderbare Gelegenheit, Videotherapie zu testen und sich darüber eine Meinung zu bilden. Insbesondere weil der G-BA beschlossen hat, die Heilmittel-Richtlinie dahingehend zu überprüfen, ob und in welchen Fällen Videotherapie in die Regelversorgung aufgenommen wird. Im Oktober 2021 soll die Beschlussfassung dazu erfolgen. Nutzen Sie die Chance, probieren Sie es aus und finden Sie heraus, welche Vorteile Videotherapie für Ihre Praxis mit sich bringt und wie sie Ihr bestehendes Therapie-Angebot ergänzt – oder auch nicht.

Ihre Meinung zählt: Wir bieten Ihnen an dieser Stelle das Forum für Austausch und Diskussion. Viele Ihrer Kollegen sind unserem Aufruf gefolgt und haben in den letzten Monaten von ihren Erfahrungen berichtet. Wenn auch Sie sich äußern möchten, schreiben Sie uns eine Mail an redaktion@up-aktuell.de. Denn wir möchten hören, was Sie zu sagen haben!

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