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Wirtschaftliche Aspekte der Blankoverordnung

„Wer mehr Autonomie möchte, muss auch mehr Verantwortung tragen“

Interview mit Jens Uhlhorn, Physiotherapeut und Praxisinhaber
Zum Thema Blankoverordnung hat Jens Uhlhorn, Inhaber mehrerer Physiotherapiepraxen, eine klare Meinung: Die Chancen überwiegen gegenüber den Risiken. Er sieht die Blankoverordnung als einen großen Schritt für die Therapiebranche, hin zu mehr Autonomie und Eigenverantwortung. Die therapeutischen Aspekte der Blankoverordnung beleuchtet Jens Uhlhorn im Artikel "Medizinisch-therapeutische Aspekte der Blankoverordnung" näher. Hier berichtet er aus der Position des Praxisinhabers über die möglichen wirtschaftlichen Auswirkungen der Blankoverordnung.
© Jens Uhlhorn

Faktencheck: Chancen und Risiken

Chancen der Blankoverordnung für die Wirtschaftlichkeit der Therapie:
  • Wirtschaftliche Therapiesteuerung durch Praxisinhaber.
  • Mehr Einfluss der Therapeuten auf die Mengenentwicklung je Indikation.
  • Bessere Verteilung der Therapiezeit auf die Patienten, die tatsächlich Therapiebedarf haben.
Risiken der Blankoverordnung für die Wirtschaftlichkeit der Therapie:
  • Es kommt zu einer unkontrollierten und nicht nachvollziehbaren Mengenausweitung.
  • Einzelne Praxen nutzen die Blankoverordnung zur kurzfristigen Gewinnoptimierung.
  • Druckausübung durch Krankenkassen.

Herr Uhlhorn, welche Chancen sehen Sie aus wirtschaftlicher Sicht in der Blankoverordnung?

UHLHORN: Wir können durch die Blankoverordnung endlich die wirtschaftliche Therapiesteuerung übernehmen. Wir haben zum einen Patienten, die wir schneller behandeln können. Etwa Rückenpatienten, die im ersten Schritt oft nur eine Beratung benötigen. Das wird günstiger werden. Dann haben wir auf der anderen Seite multimorbide Patienten, die je Therapieeinheit länger behandelt werden müssen. Und dann sind da noch die Patienten, die wir häufiger behandeln müssen, etwa Schlaganfallpatienten.

Und welche Risiken sehen Sie?

UHLHORN: Die wirtschaftlichen Risiken für Praxisinhaber liegen in der gezielten Nutzung von bestehenden Regelungen seitens der Krankenkassen zu Ungunsten der Therapie. Bereits jetzt sind „Beraterteams“ der Krankenkassen unterwegs, um Ärzte zu „beraten“, wie sie weniger Therapie verordnen können. Zukünftig ist damit zu rechnen, dass diese „Beratungen“ auch mit Therapiepraxen stattfinden. Das ist eine höfliche Umschreibung für Druckausübung auf einzelne Leistungserbringer.

Gibt es Sorgen, die Ihnen die Blankoverordnung darüber hinaus aktuell bereitet?

UHLHORN: Ja, und zwar, dass die Vertragspartner sich auf kein tragfähiges Konstrukt einigen. Dass am Ende eine Lösung herauskommt, die mehr behindert als alles anderes. Wir brauchen nicht mehr Bürokratie, sondern mehr Freiheit und Offenheit. Das muss sich in den Verträgen widerspiegeln.

Sie haben das Thema Verträge angesprochen. Worauf sollte Ihrer Meinung nach bei der Ausgestaltung besonders geachtet werden?

UHLHORN: Damit sich die Branche und die einzelnen Therapierenden frei entfalten können, müssen die Verträge so offen wie möglich gestaltet sein. Wir therapieren immer mehr ältere Patienten und dass mit immer weniger Therapeuten. Das bedeutet, wir brauchen Therapiekonzepte, die regional unterschiedlich sind. Die Praxisinhaber müssen diese vor Ort mit der größtmöglichen Freiheit entwickeln können und sie müssen wirtschaftlich attraktiv sein. Das muss die Blankoverordnung abbilden.

Einige Praxen könnten die Freiräume ausnutzen und sich die „Rosinen rauspicken“ – zugunsten der Wirtschaftlichkeit der Praxis. Sehen Sie das als Risiko?

UHLHORN: Nein, nicht wirklich. Ich sehe dafür auch gar keinen Grund. Ich denke, es wird auf der Verordnung nur noch eine Einheitsposition geben. Die Therapeuten entscheiden dann selbst, wie sie therapieren. So kann es gar nicht zu einer Rosinenpickerei kommen.

Mit der Blankoverordnung geht eine Budgetverantwortung für Heilmittel einher. Macht es Sinn, dass Praxisinhaber sich dafür vorab eine Strategie entwickeln?

UHLHORN: Nein. Das muss sich einpendeln und hängt auch ein bisschen von den Diagnosegruppen ab. Man wird sicher mal ein Quartal darüber nachdenken müssen, welche Optionen es generell gibt. Da jetzt ins Blaue hinein zu überlegen, was meine Strategie sein könnte, sehe ich aber nicht. Was aber sicherlich sinnvoll ist, ist seine eigenen Finanzen gut im Griff zu haben, sprich die Einnahmesituation. Das ist die Basis, um zu schauen, welche Strategie man dann fährt.

Meinen Sie, dass die Budgetverantwortung von außen in irgendeiner Weise geregelt werden muss?

UHLHORN: Für mich ist klar: Wer mehr Autonomie möchte, muss auch mehr Verantwortung tragen. Ich möchte sehr gerne die gesamte wirtschaftliche Verantwortung übernehmen, weil es Steuerungsmöglichkeiten erlaubt, die uns bisher von außen übergestülpt wurden. Mit irgendwelchen Verwerfungen, oder dass das Budget auf einmal explodiert, rechne ich aber nicht. Wir haben eine schrumpfende Anzahl an Therapeuten, müssen gleichzeitig aber immer mehr Leute versorgen. Das Budget ist de facto also durch die Anzahl an Therapeuten begrenzt. Maßnahmen wie Mengenbegrenzungen oder Vergütungsabschläge sehe ich nicht als notwendig an.

Kurzfristig, also innerhalb der ersten beiden Quartale, erwarte ich tatsächlich wenig Veränderung. Danach aber sehr deutliche, weil man Dinge ausprobiert. Unterm Strich werden die mittel- und langfristigen Perspektiven die gesamte Branche auf den Kopf stellen.

Wir danken Herrn Uhlhorn für das Gespräch!

[Das Gespräch führte Kea Antes]

 

Für eine Mengenausweitung fehlen die personellen Kapazitäten

Podiumsteilnehmer haben keine Angst vor der Wirtschaftlichkeitsverantwortung

Manche Ärzte können, was die Heilmittel betrifft, mit der Wirtschaftlichkeitsverantwortung nicht so gut umgehen. Sie sind aus Angst vor Regressen bei der Verordnung zurückhaltend. Wird sich dieses Verhalten im Umgang mit der Blankoverordnung auch bei den Therapeuten zeigen, wenn diese die Wirtschaftlichkeitsverantwortung tragen?

Diese Frage kam in der Podiumsdiskussion auf, als es um die wirtschaftlichen Aspekte der Blankoverordnung ging. Wie Jens Uhlhorn in seinem Interview auch anklingen lässt, sehen die Therapeuten hier tatsächlich wenig Gefahr. „Wir haben gar nicht genug Kapazitäten, um allein nur mit den Wartelisten fertig zu werden“, erklärte Christiane Sautter-Müller. „Wir schauen, dass wir Patienten möglichst schnell durchschleusen, damit der nächste kommen kann. Oder wir schieben akute Schlaganfälle in die Überstunden. Dann weiß ich nicht, wo eine Mengenausweitung herkommen soll.“ Zudem gebe es immer weniger Therapeuten am Markt, die in einer Therapiepraxis arbeiten möchten. Das ist auch bei den Podologen der Fall. „Die Wartelisten werden immer länger, der Fachkräftemangel nimmt zu und eine Praxis kann nur so viel arbeiten, wie sie arbeiten kann“, stimmt auch Bastian Priegelmeir zu. Uhlhorn ergänzt, wenn man sich die GKV-HIS-Zahlen seit 2016 ansehe, gehe die Behandlungsmenge je 1.000 Versicherte kontinuierlich zurück. Zudem habe man es als Therapeut leichter, die Wirtschaftlichkeit im Blick zu behalten. Der Arzt müsse erst aufwändig herausfinden, an wen er eigentlich was verordnet hat, mit welchem Ziel und wie oft. „Das haben wir auf Knopfdruck parat“, so Uhlhorn. Auch darum sehe er das nicht ganz so dramatisch.

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Jutta Schwarze
09.04.2021 12:02

Danke Jens Uhlhorn ,Blankoverordnung liest man viel ,aber wenig darüber… Weiterlesen »

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