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Videotherapie im Scheinwerferlicht

Interview mit Melanie Schweer
Wie reagierten Ihre Patienten auf die Möglichkeit der Videotherapie, Frau Schweer? "Ganz unterschiedlich. Jüngere waren eher bereit, weiterhin in die Praxis zu kommen. Die Älteren wollten dagegen die Therapie ohne direkten Kontakt fortsetzen. Auch bei Müttern war die Sorge vor Ansteckung größer."
© Melanie Schweer

Welche Bedenken hatten Sie?

Ich hatte befürchtet, dass die persönliche Nähe verlorengeht. Das war nicht der Fall. Außerdem war ich skeptisch, ob es technisch funktioniert.

Was hat Sie positiv überrascht?

Ich fühlte mich meinen Patienten virtuell fast näher als persönlich mit Face Shield, Mundschutz und Sicherheitsabstand. Auch die kleinen und die Vorschulkinder ließen sich viel besser darauf ein, als ich es erwartet hatte. Sie blieben vor der Kamera sitzen und waren konzentrierter. Wir haben dank der Videotherapie viel geschafft.

Welche Vorteile sehen Sie?

Ich konnte mich wieder frei bewegen und entsprach mehr mir selbst, als hinter all den Schutzmaßnahmen. Aus organisatorischer Sicht war die zeitliche Flexibilität von Vorteil. Die Fahrten fielen weg, Mütter mit mehreren Kindern konnten die verschiedenen Bedürfnisse besser miteinander vereinbaren. Außerdem erlebte ich die Kinder in ihrem Umfeld und die Ansteckungsgefahr war absolut reduziert.

Welche Grenzen gibt es?

Da die Schlucktherapie per se ausgenommen war, fiel ein großer Teil unserer Klientel einfach weg. Die Therapie nach Zollinger mit ganz kleinen Kindern war auch nicht möglich. Auf viele (taktile) Hilfestellungen und Massagen musste ich verzichten. Außerdem waren feine Lautunterschiede schwierig zu hören, sowohl in der Stimmtherapie (z. B. beim Stimmeinsatz) als auch bei der Artikulation. Der Erfolg der Videotherapie steht und fällt mit der technischen Ausstattung auf beiden Seiten.

Was mussten Sie bei der Organisation beachten?

Zuallererst die rechtlichen Formalitäten, wie die Einverständniserklärung und der Datenschutz, und die technischen Voraussetzungen. Die Vorbereitungszeit verlängerte sich deutlich, weil ich die Materialien gut auswählen und mögliche Unwägbarkeiten antizipieren musste, um vorbereitet zu sein. Das Gute ist, dass ich meine offline-Therapien jetzt auch mehr strukturiere als vorher.

Wie lief eine Videotherapie bei Ihnen ab?

Im Voraus verschickte ich eine E-Mail mit der Terminbestätigung und dem Material für die Stunde, also z. B. Arbeitsblätter und eine Liste mit Dingen, die der Patienten bereithalten sollte. Meine Vorgaben strukturierten die Therapie für Kinder und Erwachsene gleichermaßen. Zum eigentlichen Termin rief ich die Patienten dann an. Sie durften entscheiden, womit wir beginnen. Der Ablauf an sich war dann der gleiche wie vorher.

Ihr Fazit zur Videotherapie

Bislang sehr positiv. Ich war froh über diese Möglichkeit, unserem Versorgungsauftrag in der Corona-Zeit nachkommen zu können. Dennoch ist es kein Allheilmittel.

Würden Sie Videotherapie in die Regelversorgung aufnehmen?

Ich finde es schwierig. Aus meiner Sicht muss es Richtlinien geben und möglich sein, im Einzelfall zu entscheiden, ob es wirklich sinnvoll ist. Warum? Weil sie auch deutliche Grenzen hat. Ich bin bei dieser Frage ähnlich zwiegespalten, wie ich es häufig während der Therapie war.

Sollte die telefonische Beratung auch ermöglicht werden?

Ja, wir brauchen dringend eine Positionsnummer, um telefonische Beratung abrechnungsfähig zu machen und in den therapeutischen Arbeitsalltag zu integrieren.

Melanie Schweer | Praxis für Logopädie in Wunstorf – Melanie Schweer, Wunstorf

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