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Fristenverschiebung der Rahmenverträge

Das sagen Politik und Verbände zur geplanten Verschiebung
Im ersten Halbjahr 2020 wurden die Fristen zur Umsetzung der bundeseinheitlichen Rahmenverträge gemäß § 125 SGB V zum ersten Mal verschoben – vom 1. Juli 2020 auf den 1. Oktober 2020. Der Grund: Corona. Nun ist im Gespräch, dass es wieder einen neuen Starttermin geben soll, und zwar der 1. Januar 2021, zusammen mit der überarbeiteten HeilM-RL. Wir haben bei Politik und Verbänden nachgefragt und um Meinung zur geplanten Fristenverschiebung gebeten.
© Mihajlo Maricic

Nach Bekanntgabe, dass erneut eine Verschiebung der Fristen zur Umsetzung der bundeseinheitlichen Rahmenverträge geplant ist, haben wir 22 Anfragen an Politik und Verbände gerichtet (siehe Kasten). Wir wollten von den zuständigen Ansprechpartnern erfahren, wie sie dazu stehen bzw. ob sie diese als notwendig erachten, welche Vorteile und Nachteile sich aus der Verschiebung für Praxisinhaber ergeben und ob das BMG sie vorab zur Stellungnahme aufgefordert hat.

Bis einschließlich 21. September 2020 haben wir 13 Antworten erhalten – teilweise sehr kurz, teilweise so ausführlich, dass es an dieser Stelle den Rahmen sprengen würde. Wir haben die wichtigsten Punkte daher für Sie zusammengefasst:

Frage 1: Wie stehen Sie zur geplanten Verschiebung? Ist das aus Ihrer Sicht notwendig?

Verbände sind gegen die Verschiebung

„Die Heilmittel-Richtlinie ist nur dann zu verschieben, wenn man einen ‚Gleichklang‘ mit den neuen Verordnungsvordrucken und den bundeseinheitlichen Rahmenverträgen im Heilmittelbereich wünscht, die darauf fußen“, so Christine Donner vom Bundesverband für Ergotherapeuten in Deutschland (BED) e. V.. Es gäbe durchaus alternative Möglichkeiten zur Verschiebung, etwa das Ärzte Softwareanbieter wechseln, die neuen Vordrucke händisch ausfüllen oder die neuen Vorgaben auf alte Vordrucke aufbringen. LOGO Deutschland e. V. betont in einem Schreiben vom 7. September 2020 an das BMG, das uns als Antwort auf unsere Fragen zugeschickt wurde, dass eine Harmonisierung mit der ebenfalls verschobenen Heilmittel-Richtlinie nicht erforderlich sei. Auch der VDB-Physiotherapieverband befürwortet die Verschiebung der Fristen zur Umsetzung der bundeseinheitlichen Rahmenverträge nicht, da sie laut Bernd Liebenow, stellvertretender Bundesvorsitzender des VDB-Physiotherapieverbands, für Praxisinhaber in der Heilmittelbranche negative Folgen haben wird.

Der Spitzenverband der Heilmittelverbände (SHV) e. V. kann die vom BMG geplante Verschiebung aus organisatorischer Sicht zwar nachvollziehen, „dennoch haben die SHV-Mitgliedsverbände die Entscheidung nicht begrüßt (…)“, so Heinz Christian Esser, Geschäftsführer des SHV. Auch für den Deutschen Bundesverband für Logopädie (dbl) e. V. sei die Verschiebung nachvollziehbar, da der neue Bundesrahmenvertrag inklusive aller Anlagen eng mit der Umsetzung der neuen Heilmittel-Richtlinie verzahnt ist.

Gemischte Meinungen in der Politik

Bettina Müller, SPD-Bundestagsfraktion, weist darauf hin, dass es Sache der Selbstverwaltung ist, die Rahmenverträge nach § 125 SGB V ebenfalls zu verschieben. Es sei aber unverständlich, „warum die Frist für die Anpassung der Praxissoftware von der ärztlichen Seite gerissen wurde.“ Nun müsse sichergestellt werden, dass es am 1. Januar auch tatsächlich losgeht. Darauf verweist auch MdB Dr. Wieland Schinnenburg von der FDP und ist wie Frau Müller der Auffassung, dass die Verschiebung Sache der Selbstverwaltung sei.

Isolde Altenburger, persönliche Referentin des gesundheitspolitischen Sprechers der AfD, Detlev Spangenberg, sieht eine Verschiebung aufgrund der mangelnden flächendeckenden Nutzung der benötigten Software als notwendig an, auch wenn sie zu einer weiteren Belastung der Heilmittelerbringer führen könnte. Karin Maag, MdB, CDU/CSU, teilt die Meinung. Nur wenn das Zertifizierungsverfahren auch tatsächlich abgeschlossen werden kann, können formale Fehler bei der Ausstellung der Heilmittelverordnung vermieden werden, so Maag.

Dr. Achim Kessler, MdB, Fraktion DIE LINKE, hält die zu erwartende Verschiebung der neuen Heilmittel-Richtlinie auf den 1. Januar 2021 für sehr problematisch. „Verspätete Zertifizierungsanträge privatwirtschaftlicher Arztsoftwareanbieter dürfen nicht dazu führen, dass den Heilmitterbringern finanzielle Nachteile entstehen.“ Und laut MdB Maria Klein-Schmeink, Bündnis 90 / Die Grünen, „wäre es durchaus möglich gewesen, die Rahmenverträge vor dem Inkrafttreten der Heilmittel-Richtlinie umzusetzen – wie es ursprünglich im TSVG ja auch einmal vorgesehen gewesen war.“ Die Passagen, die eindeutig auf die neue Richtlinie abzielen, hätten dann eben später in Kraft treten müssen.

Das Bundesministerium für Gesundheit teilte uns mit, dass die Heilmittelrichtlinie einschließlich der Termine für das Inkrafttreten von Änderungen eine Selbstverwaltungsangelegenheit ist und daher in eigener Verantwortung durch den G-BA erfolgt. Er verweist ganz allgemein auf die Pressemitteilung des G-BA, in der der neue Startermin bekannt gegeben wird. Gleiches gilt für den GKV-Spitzenverband. Er bedauere die Verschiebung, die in dieser Situation jedoch der einzig sinnvolle Schritt gewesen sei.

Frage 2: Welche Vor- und Nachteile ergeben sich aus der Verschiebung für die Inhaber von Heilmittelpraxen?

Für die Verbände überwiegen die Nachteile

Durch die Verschiebung profitieren Praxisinhaber laut Christine Donner (BED) erst später von den vielen bürokratischen Erleichterungen, die die dringend notwendigen bundeseinheitlichen Rahmenverträgen mit sich bringen. Zudem verschiebe sich die Erhöhung der existenziell bedrohlichen Vergütungspreise im Heilmittelbereich. Dieses Problem sieht auch Liebenow vom VDB-Physiotherapieverband. Eine Verschiebung der Fristen für die Preisverhandlungen könne erhebliche finanzielle Nachteile nach sich ziehen und bedeuten, dass bei Nichteinigung der Vertragspartner GKV-Spitzenverband und Heilmittelverbände das Schiedsverfahren erst im Januar 2021 startet.

Darauf weist auch LOGO Deutschland e. V. in seinem Schreiben an das BMG hin. Für die ambulant tätigen Therapiepraxen entstehe dadurch ohnehin ein Schaden durch die dann mindestens sechs Monate entgangene Vergütungserhöhung.

Doch es gibt auch Argumente für die Verschiebung. Sollten die neuen Bundesrahmenverträge auf Basis der aktuell gültigen HMR bereits zum 1. Oktober 2020 in Kraft treten, bedürfte es laut Heinz Christian Esser vom SHV für diverse einzelne Bestimmungen komplizierte Übergangsregelungen. Diese würden wegfallen, wenn der Rahmenvertrag und die HMR aufeinander abgestimmt sind. Auch der dbl sieht den Vorteil in einem aufeinander abgestimmten Regelwerk, wodurch Übergangsregelungen wegfallen. Gleichzeitig begrüßen aber weder der SHV noch der dbl, dass Praxisinhaber erneut auf die Erleichterungen, die mit der neuen HeilM-RL und dem bundesweit einheitlichen Rahmenvertrag einhergehen, drei Monate warten müssen. Beide fordern deshalb neben verschiedenen entbürokratisierenden Maßnahmen auch einen finanziellen Ausgleich für die Verschiebung auf den 1. Januar 2021.

Politik sieht ebenfalls negative Folgen für Einnahmen

Bettina Müller (SPD) betont, dass die Heilmittelerbringer bereits über Jahre die Leidtragenden von fehlerhaft ausgefüllten Heilmittel-Verordnungen waren und jetzt ausgerechnet die Softwarelösung für diese Probleme zu weiterem Ärger und Vergütungsausfällen führen. „Ein Verschieben der neuen Preise um ein Quartal stellt schon ein ernstes Problem für die Praxen dar, die wegen der Pandemie ohnehin Einbußen haben hinnehmen müssen.“ Es sollte darüber nachgedacht werden, solche Vorgaben künftig mit Sanktionsmechanismen zu versehen.

Negative Auswirkungen auf die Einnahmen der Heilmittelerbringer und weitere Bürokratiekosten – diese Folgen sieht Dr. Wieland Schinnenburg (FDP). „Zusätzlich entstehende Kosten und Einnahmeverluste durch die Verschiebung dürfen aber nicht den Heilmittelerbringern zur Last fallen, hier muss ein belastbarer Ausgleich gefunden werden.“ Isolde Altenburger (AfD) sieht den verzögerten Bürokratieabbau ebenso als Nachteil. „Auch die bessere Planbarkeit bzw. flexiblere Gestaltungsmöglichkeit der Behandlung muss leider warten.“ Karin Maag (CDU/CSU) sei es wichtig, einen erhöhten Prüf- und Bürokratieaufwand zulasten der Heilmittelerbringer durch eine veraltete Praxissoftware unbedingt zu verhindern. Als eines der Hauptprobleme sieht auch Maria Klein-Schmeink (Bündnis 90 / Die Grünen) die verspätet eintretenden neuen Vergütungen für Heilmittelerbringer. Es würden Mittel verloren gehen, die dringend benötigt werden. Das betont auch Dr. Achim Kessler (DIE LINKE), die Verzögerung sei eine unzumutbare Belastung.

Frage 3: Sind Sie vom BMG vorab zur Stellungnahme zur geplanten Fristverschiebung aufgefordert worden? 

Diese Fragen beantworteten sowohl der BED als auch LOGO Deutschland mit Nein. Gleiches gilt für FDP, Bündnis 90 / Die Grünen, AfD und DIE LINKE. Die SPD, das BMG und der GKV-Spitzenverband gaben uns keine Antwort dazu. Der SHV teilte uns mit, dass er und seine Mitgliedsverbände in einem engen Austausch mit dem BMG und allen weiteren Beteiligten in diesem Prozess stehen. „Wir hatten und haben dabei ausreichend Gelegenheit, unsere Kritik und Lösungsvorschläge vorzubringen.“ Auch der dbl hätte während des ganzen Prozesses die Gelegenheit genutzt, um im gemeinsamen Austausch mögliche Lösungen zu suchen und im Zuge dessen immer auch auf die Konsequenzen hingewiesen, die sich durch die Verschiebung für unsere Praxisinhaber ergeben würden.

Liebenow (VDB-Physiotherapieverband) verweist darauf, dass vom BMG zur Verschiebung des Inkrafttretens der bundesweiten Rahmenverträge keine definitive Aussage getroffen wurde. Und die CDU/CSU gab uns die Antwort, dass der Deutsche Bundestag bei Entscheidungen des G-BA grundsätzlich nicht beteiligt sei und zu Beschlüssen im Detail keine bewertende Stellungnahme vornehme.

Hier haben wir nachgefragt:

Heilmittelverbände:

VDB-Physiotherapieverband e. V. – Bundesverband

Bundesverband selbstständiger Physiotherapeuten – IFK e. V.

Verband Physikalische Therapie – Vereinigung für die physiotherapeutischen Berufe (VPT) e. V.

Deutscher Verband für Physiotherapie (ZVK) e. V.

Deutscher Verband der Ergotherapeuten (DVE) e. V.

Bundesverband für Ergotherapeuten in Deutschland (BED) e. V.

dbl – Deutscher Bundesverband für Logopädie e. V.

Deutscher Bundesverband der Atem-, Sprech- und Stimmlehrer/innen
Lehrervereinigung Schlaffhorst-Andersen e. V. (dba)

dbs – Deutscher Bundesverband für akademische Sprachtherapie und Logopädie e. V.

LOGO Deutschland e. V.

Deutscher Verband für Podologie (ZFD) e. V.

Verband Deutscher Podologen (VDP) e. V.

Bundesverband für Podologie e. V.

Spitzenverband der Heilmittelverbände (SHV) e. V.

GKV-Spitzenverband

Politik, Gesundheitspolitische Sprecher

Bündnis 90/Die Grünen

FDP

CDU/CSU

Die Linke

AFD

SPD

Bundesministerium für Gesundheit (BMG)

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