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Ernten, was man sät

Der Zusammenhang zwischen Führung und Mitarbeitergesundheit
Seit Jahren beschäftigt sich die Wissenschaft damit, welche Faktoren die psychische Gesundheit von Mitarbeitern am Arbeitsplatz positiv und negativ beeinflussen. Schwerpunkte liegen dabei insbesondere auf der Gestaltung des Arbeitsplatzes und den Aufgaben der Mitarbeiter. Doch auch die Art und Weise, wie Sie das Team führen, kann sich auf die psychische Gesundheit auswirken. Jan Eßwein, Inhaber einer Physiotherapiepraxis, Business- und Teamcoach, erklärt, worauf es beim achtsamen Führen ankommt.
© iStock: Katarzyna Bialasiewicz Photographee.eu (Katarzyna Bialasiewicz Photographee.eu

Herrn Eßwein, was versteht man unter Achtsamkeit im Berufsalltag?

EßWEIN: Achtsamkeit im Berufsalltag hat ganz viel damit zu tun, auf die eigenen Bedürfnisse zu achten. Was ich als Praxischef aber immer wieder sehe, ist, dass meine Mitarbeiter genau das nicht oder nicht ausreichend machen. Stress übernimmt so schnell Oberhand. Ich höre beispielsweise oft von Mitarbeitern, dass sie erst nach Feierabend merken, dass sie den ganzen Tag nichts getrunken haben. Oder dass sie wieder mal die Mittagspause mit Dokumentation verbracht haben, weil ein Patient noch ein ganz wichtiges Anliegen hatte oder eine Übung für zuhause noch einmal gezeigt bekommen möchte. Ich sensibilisiere meine Mitarbeiter daher immer wieder dafür, verstärkt auf die eigenen Bedürfnisse zu achten, für sich selbst einzustehen und auch mal nein zu sagen.

Wie genau gehen Sie das Problem an?

EßWEIN: Ich nehme mir das Thema immer wieder auf die Agenda unserer Teammeetings. Dann stellt jeder ein Best-Practice-Beispiel vor, in dem er darstellt, wie er bestimmte Situationen im Hinblick auf das nein sagen und für sich einstehen meistert. Aber nicht immer finden wir selbst Lösungen für Probleme, die Stress verursachen. In so einem Fall wende ich gerne die sogenannte kollegiale Beratung an. Jeder hat drei Minuten Zeit, um einen Fall zu schildern. Etwa Frau Müller, die starke Knieschmerzen hat, sich immer wieder beschwert, aber sich nicht zu schmerzlindernden Übungen bewegen lässt. Dann haben die Kollegen drei Minuten Zeit, Rückfragen zu stellen. Darauf folgt eine Falldiskussion, die ebenfalls maximal drei Minuten andauert. Zum Schluss haben alle fünf Minuten Zeit, Lösungsvorschläge vorzustellen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man so innerhalb kürzester Zeit sehr gute Lösungen für Probleme, die Stress verursachen, finden kann. Außerdem starten wir die Team-Sitzungen mit einer kleinen Achtsamkeits-Übung.

Aus anhaltendem Stress und Überforderung kann sich ein Burnout-Syndrom entwickeln. Welche Tipps haben Sie, um Stressfaktoren ausfindig zu machen?

EßWEIN: Wenn man sich die Stressforschung anschaut, dann sagt sie, dass das, was gesundheitlich Probleme macht und uns in Richtung Burnout bewegt, chronische Stresssituationen sind. In der Regel sind das zwei bis drei, die immer wiederkehren.

Da Stress ganz unterschiedliche Ursachen haben kann, gehe ich das Thema auch mit unterschiedlichen Methoden an. Teamgespräche nutze ich etwa dazu, Stresssituationen zu sammeln und sie in kollegialen Beratungen anzugehen – wie im geschilderten Patientenfall. Aber auch das gesamte Thema Praxisorganisation kann Stressfaktoren hervorbringen. Hier wende ich gerne Kaizen an, ein Managementkonzept zur Verbesserung von Prozessen. Jeder Mitarbeiter ist aufgefordert, sofort Bescheid zu geben, wenn er irgendetwas sieht, was wir verbessern können – angefangen von der Deko im Eingangsbereich, dem Ablauf der Anmeldung bis hin zu fachlichen Themen oder einem Aspekt, der die Zusammenarbeit betrifft. Und was ganz wichtig ist, aber viele Praxisinhaber unterschätzen, sind Mitarbeitergespräche.

Wie oft führen Sie mit Ihren Mitarbeitern persönliche Gespräche? In vielen Praxen finden diese ja genau einmal im Jahr statt oder nur, wenn es Probleme gibt.

EßWEIN: Das stimmt – leider. Viele empfinden diese Gespräche als eine lästige Pflicht. Es ist wichtig, diese als Investition in die Zukunft zu sehen. Ich spreche regelmäßig mit meinen Mitarbeitern und zwar nicht erst dann, wenn Probleme da sind, sondern präventiv.  Wie geht es meinem Mitarbeiter? Wo benötigt er Unterstützung? Was sind seine fachlichen Entwicklungsziele? Manchmal sind es auch private Sachen, die mit reinspielen, etwa die Pflege von Angehörigen oder finanzielle Probleme. Solche Themen möchte niemand in großer Runde, etwa in Teamsitzungen ansprechen. Aber wenn man es schafft, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, dann sind viele Mitarbeiter dankbar, darüber offener reden und gemeinsam eine Lösung finden zu können.

Vier Tipps von Jan Eßwein, um Mitarbeiter vor Stress und Überforderung zu schützen

1. An der eigenen Führungsqualität arbeiten und auf gesunde Führung Wert legen:

In der Physiotherapie wird nicht sehr viel darüber reflektiert, wie ich eigentlich führe. Ändert sich die Sichtweise, ist der Grundstein für eine gesunde Führung gelegt.

2. Für gute Abläufe sorgen:

Ein Patient nach dem anderen, auch fehlende Zeitpuffer zwischen Terminen können Stress bedeuten. Es lohnt sich, zu schauen, wo es Verbesserungspotenzial gibt und dann die Abläufe entsprechend anzupassen.

3. Wertschätzung fördern:

Haben Mitarbeiter das Gefühl, sie geben alles, erhalten dafür aber keine Wertschätzung, kann sich das negativ auf das Wohlbefinden auswirken. Wir arbeiten gerne mit Lobkärtchen in der Praxis. Immer, wenn wir etwas sehen, womit wir zufrieden sind, füllen wir ein Kärtchen aus, etwa „Danke, dass du für den Kollegen übernommen hast!“

4. Kompetenzen im Umgang mit Stress stärken:

Jeder kann lernen, besser mit Stress umzugehen. Es gibt viele verschiedene Angebote, die darauf abzielen. Führungskräfte können beispielsweise ihren Mitarbeitern eine Fortbildung zum Thema Stressbewältigung oder Kurse mit dem Schwerpunkt Yoga, progressive Muskelentspannung oder autogenes Training anbieten. Wichtig ist, dass sie die Mitarbeiter in die Entscheidung mit einbeziehen und die Bedürfnisse berücksichtigen, damit das Gelernte auch langfristig angewendet wird.

Erkenntnisse aus der Wissenschaft

Der Zusammenhang zwischen Führung und Mitarbeitergesundheit rückt immer mehr in den Fokus der Wissenschaft. So hat sich unter anderem auch die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege näher mit dem Thema befasst und eine Reihe von Publikationen dazu gesichtet. Aus den Ergebnissen zog sie folgende Rückschlüsse:

  • Die Art und Weise, wie geführt wird, wirkt sich als Ressource bzw. Stressor auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Mitarbeiter aus.
  • Als gesundheitsförderlich gilt ein transformationales oder mitarbeiterorientiertes Führungsverhalten.
  • Auch Persönlichkeitseigenschaften der Geführten beeinflussen das Wohlbefinden der Mitarbeiter. Mehrbelastung etwa, die ein Mitarbeiter locker wegsteckt, löst bei einem anderen großen Stress aus.
  • Das Führungsverhalten wirkt nicht nur direkt, sondern auch mittelbar, etwa über die Arbeitsbedingungen oder die Arbeitszufriedenheit.

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