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„Kommunikation ist der wichtigste Faktor im Setting Videotherapie“

Ein Erfahrungsbericht von Jan Hollnecker, Geschäftsführer der Theraphysia GmbH
Eine enorme Chance, unseren Verpflichtungen als Therapeuten gegenüber den Patienten gerecht zu werden – so empfindet Jan Hollnecker, Geschäftsführer der Theraphysia GmbH, die Möglichkeit, in Zeiten von Corona Videotherapien abrechnen zu dürfen. Schon seit 2015 setzt die Theraphysia GmbH bei der Heilmitteltherapie auch auf neue Medien. Das bereits vorhandene Knowhow erleichtert dem Team nun die Umsetzung der Videotherapie. Die Erfahrungen und Tipps möchte Herrn Hollnecker mit anderen teilen und sie ermutigen: Legt einfach los!
© Theraphysia GmbH

Durch den Beschluss, dass Praxisinhaber Videotherapien für gesetzlich Versicherte während der Corona-Zeit abrechnen können, sind sie endlich wieder in der Lage, aktiv zu handeln. Laut Jan Hollnecker, Geschäftsführer der Theraphysia GmbH, sollten alle Praxisinhaber diese Chance wahrnehmen. Er wisse aber auch, dass fast alle damit Neuland betreten und sich viele fragen, wie sie diese Herausforderung eigentlich angehen sollen. „Vor zwei Jahren standen wir dort, wo jetzt viele andere stehen – wenn natürlich auch unter anderen Bedingungen,“ so Hollnecker.

„Seit 2018 bieten wir in unseren interdisziplinären Praxen für Logopädie sowie Ergo- und Physiotherapie Videotherapien als Selbstzahlerleistungen an, insbesondere für deutschsprachige Familien, die im Ausland leben. Der Anteil im Vergleich zu den Hands on Therapien war immer sehr gering, was auch auf die hohen Kosten zurückzuführen ist, die die Patienten für die Selbstzahlerleistungen entrichten müssen. Aber die Erfahrungen, die wir sammeln konnten, kommen uns jetzt zu Gute. Und diese möchte ich mit anderen teilen.“

Nicht in Schockstarre verfallen

Als der Kaufmann und Informatiker 2015 die Theraphysia GmbH gründete, war ihm klar, dass neue Medien in seinen Praxen eine große Rolle spielen werden. Er erstellte zusammen mit der therapeutischen Leitung, Frau Anika Lubitz, ein Konzept und entwickelte eine Bildkarten-App für die Logopäden der Theraphysia GmbH und eine Übungs-App für die Physiotherapeuten. Diese setzen sie auch derzeit in der Videotherapie ein.

„Am Mittwoch hat uns die Nachricht erreicht, dass wir Videotherapien abrechnen dürfen“, erzählt Hollnecker. „Am Donnerstag hatten wir eine Teamsitzung und die Therapeuten haben angefangen, die Pläne entsprechend umzustellen.“ Obwohl bisher nur wenige aus dem Team Erfahrung mit Videotherapie hatten, hätten sich alle dem Thema direkt angenommen. „Es gab viele Fragen, insbesondere zur Umsetzung: Wie gestalte ich die Therapie, wenn ich keine manuellen Techniken anwenden kann? Und wie setze ich die Videotherapie konkret um?“ Die gesamte Situation sei trotz Vorkenntnissen eine Herausforderung gewesen, aber es helfe niemanden, in Schockstarre zu verfallen.

Kommunikation bekommt ganz andere Bedeutung

Jan Hollnecker gibt allen den Rat: Wechselt die Perspektive und verlasst eure Komfortzone. „Im Fokus des Ganzen muss stehen, welche Möglichkeiten es gibt, und nicht, welche Hürden überwunden werden müssen. Kommunikation ist der wichtigste Faktor im Setting Videotherapie. Das Beraten, Begleiten und Coachen im häuslichen Umfeld rücken in den Fokus. Für Therapeuten ist es ein ganz anderes Arbeiten. Viele müssen erst lernen, wie sie mithilfe der Kommunikation die Patienten motivieren, lenken und sie in die Therapie optimal einbinden.“ Alle Therapeuten verfügen über das Handwerkszeug, die Therapie didaktisch aufzubereiten. Dieses Wissen müsse nun einfach wieder hervorgeholt werden.

Was tue ich beispielsweise, wenn ein Kind auf einmal aufspringt und vom Bildschirm wegrennt? Oder wenn der Patient eine Übung einfach nicht durch reines Erklären und Zeigen richtig umsetzt? In solch neue und ungewohnte Situationen würden alle Therapeuten zu Beginn hineinschliddern. Daher sei es sehr wichtig, jede Sitzung zu evaluieren. Was lief gut, wo gab es Probleme? Und sich dann in regelmäßigen Teamsitzungen darüber auszutauschen. „In diesen Zeiten kann man gar nicht genug reden – ob mit den Patienten, Kollegen und mit anderen Praxisinhabern, die schon Erfahrungen mit Videotherapien gemacht haben.“

Patienten relativ wenig Spielraum lassen

Möchten Sie vielleicht mal die Videotherapie ausprobieren? Wer so an die Patienten herantritt, der wird wenig Erfolg haben, ist sich Hollnecker sicher. „In Krisenzeiten möchten die Patienten geführt werden.  Wir hatten keine Zweifel, dass die Videotherapie funktioniert und haben den Patienten daher relativ wenig Spielraum gelassen“, erklärt er die Strategie.

„Wir haben unsere Therapiepläne nach dem Ampelverfahren abgearbeitet. Alle grün markierten Patienten sollten per Video weiterbehandelt werden, bei den gelb markierten gibt es noch Fragen und bei den rot markierten kommt Videotherapie nicht in Frage. Diese Patienten behandeln wir weiterhin in der Praxis.“ Alle, die grün markiert waren, haben Hollnecker und sein Team angerufen und die Lage geschildert. „Wir haben erklärt, dass wir die Therapie per Video fortführen und wir ihnen dafür den Ablauf per E-Mail zuschicken möchten. Dann haben wir direkt einen Termin ausgemacht.“

Viel Zuspruch, aber auch Überzeugungsarbeit

„Die Erfahrungen, die wir mit der Videotherapie in letzter Zeit gemacht haben, sind sehr unterschiedlich“, sagt Hollnecker offen. „Besonders Eltern, deren Kinder Logopädie und Ergotherapie erhalten, waren sehr dankbar, dass wir einfach die Routine beibehalten. Sie sorgt bekanntlich für Sicherheit.“ Und ältere Patienten waren sehr froh über die Option, denn so passiere wenigstens überhaupt irgendetwas und sie werden weiter begleitet. „Sie gehen ja nicht ohne Grund zur Therapie.“ Generell leuchtete es vielen Patienten, die logopädisch in Behandlung sind, eher ein, dass die Therapie per Video gut funktionieren kann, als jenen, die physiotherapeutisch behandelt werden, so Hollneckers Fazit.

Es gäbe aber auch viele, bei denen das Team Überzeugungsarbeit leisten musste. Nicht unbedingt dahingehend, dass Videotherapie eine echte Alternative ist, sondern eher, dass ein Besuch in der Praxis derzeit wegen des erhöhten Ansteckungsrisikos einfach nicht die beste Option ist. „Einige nehmen das Virus immer noch nicht als Bedrohung wahr.“ Davon sollte sich aber niemand abschrecken lassen – denn erstens ist die Behandlung in der Praxis in Zeiten von Corona ja auch weiterhin möglich und zweitens sollte die Videotherapie immer als Ergänzung, nie als Ersatz gesehen werden.

Jetzt schon an morgen denken

Jan Hollnecker ist sich sicher, dass die Videotherapie als dauerhafte Kassenleistung kommen wird – wenn vielleicht auch nicht schon in diesem Sommer. „Jetzt gilt es Erfahrungen zu sammeln, in welchem Therapiestadium Videotherapie besonders hilfreich sein kann, um dann noch bessere Angebote zu erstellen.“

Dennoch wird Videotherapie die Hands on Therapie nie ersetzen, da ist sich Hollnecker sicher. Er sehe sie langfristig eher als Weg, die Patienten im häuslichen Umfeld unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen zu coachen und zu beraten.

Flexibilisierung auch in Praxen ein Thema

„Was in puncto Videotherapie nicht außer Acht zu lassen ist, ist der Punkt Arbeitserleichterung. Flexibilisierung spielt eine immer größere Rolle in der Arbeitswelt – auch bei uns“, weiß Jan Hollnecker. Es sei beispielsweise für junge Eltern, die als Therapeuten arbeiten, eine enorme Erleichterung, einen Teil der Therapien auch zukünftig von zuhause aus durchführen zu können. „Das Coronavirus zeige, dass Videotherapie gut funktioniert. Und dadurch wächst auch der Anspruch, sofern möglich, einige Therapien von zuhause aus durchzuführen.  „Wird Videotherapie zukünftig weiterhin vergütet, werden Arbeitgeber, die nichts von der Option halten, es schwer haben, im Bewerbungsgespräch junge, engagierte Therapeuten von sich zu überzeugen.“

Per Video kommunizieren – so gelingt’s

  • Richten Sie den Blick so oft es geht in die Kamera, nicht auf den Bildschirm. Nur wenn Sie in die Kamera blicken, hat der Patient das Gefühl, dass Sie mit ihm direkt kommunizieren.
  • Wählen Sie kurze, einfache Sätze und sprechen Sie deutlich und langsam.
  • Für beide Seiten ist die Situation neu. Fragen Sie daher immer mal wieder während der Therapie nach, ob alles in Ordnung ist und wie sich der Patient fühlt.
  • Wenn Sie Übungen vorzeigen, rückversichern Sie sich immer, ob der Patient diese auch verstanden hat.
  • Holen Sie sich nach der Therapie Feedback ein und vereinbaren Sie ggf. auch direkt einen neuen Termin. Bitten Sie den Patienten zudem, im Anschluss an die Therapie per Mail zu bestätigen, dass er diese erhalten hat.
  • Ist die Therapieeinheit beendet, teilen Sie dies Ihrem Patienten auch so mit: „Ich trenne jetzt die Verbindung. Wir sehen uns dann nächste Woche wieder.“

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