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Themenschwerpunkt: Korruption – Nicht nur in Berlin ein Thema

Verordnungen kosten Geld, nicht nur die Patienten und Krankenkassen, sondern scheinbar auch die Therapeuten – die dafür zahlen (sollen), dass Ärzte Patienten zu ihnen schicken. Das berichteten uns Praxisinhaber aus ganz Deutschland. Besonders im Ballungsraum Berlin scheint dieses Vorgehen weit verbreitet. Genaue Zahlen gibt es jedoch nicht.
© iStock: stlee000

In der Heilmittelbranche herrscht Fachkräftemangel. Patienten müssen lange auf einen Termin warten. Für viele Therapeuten hat der Tag nicht genug Stunden. Wie kann es da sein, dass gerade in der Heilmittelbranche dennoch Ärzte dafür bezahlt werden, Heilmittel zu verordnen und die Patienten in eine bestimmte Praxis zu schicken? Dieser Frage gehen wir in diesem Themenschwerpunkt nach.

Zur Erinnerung: In der up-Januar-Ausgabe hatten wir über eine Berliner Ergotherapeutin berichtet, die von ihren Erfahrungen zum Thema Korruption erzählt hat, und gefragt: Kennen auch Sie solche Fälle? Daraufhin meldeten sich in den vergangenen Wochen viele Praxisinhaber aus ganz Deutschland bei uns und berichteten über ähnliche Erlebnisse: Vom Orthopäden, der ohne Umschweife für Verordnungen einen Anteil von zehn Prozent fordert, über Kinderärzte, die ihre Ansprüche etwas weniger direkt, aber ebenso fordernd formulieren.

Es berichten Therapeuten von Patienten, die nicht mehr zu ihnen kommen können, weil sie eine Verordnung nur noch unter der Bedingung erhalten, dass sie in eine bestimmte Praxis gehen. Andere Ärzte sollen den Patienten Rezepte gar nicht erst aushändigen, sondern sie gleich in die „kooperierende“ Praxis schicken – deren Vermieter dann rein zufällig auch noch der verordnende Arzt ist. Kurz: Direkt aufs Konto, über die Miete für Praxisräume, die Praxen der Ehepartner oder sonstige, kreative Verflechtungen scheint Geld für Verordnungen zu fließen.

KVen sind keine Fälle bekannt

Da zur Korruption immer zwei Seiten gehören – ein Therapeut, der bezahlt, und ein Arzt, der das Geld fordert oder zumindest annimmt – haben wir in den Gebieten, aus denen uns besonders von Korruption bei der Verordnung von Heilmitteln berichtet wurde, bei den Kassenärztlichen Vereinigungen nachgefragt. Mit mäßigem Erfolg: Gerade aus Berlin kam bis Redaktionsschluss gar keine Reaktion zum Thema. Die KV Baden-Württemberg beruft sich darauf, nur gegenüber dem Sozialministerium auskunftspflichtig zu sein und sieht sich darum nicht im Stande, Fragen zu beantworten. Niedersachsen und Rheinland-Pfalz haben geantwortet. Sie würden auf solche Hinweise auch reagieren, diese untersuchen und gegebenenfalls die Staatsanwaltschaft informieren. Es sind ihnen jedoch keine entsprechenden Fälle bekannt. „Wir wären Ihren Lesern aus der Heilmittelbranche in Rheinland-Pfalz jedoch für belastbare Hinweise dankbar, sodass wir diesen nachgehen können“, heißt es aus Mainz.

Hinweise nehmen übrigens nicht nur die Kassenärztlichen Vereinigungen, sondern vor allem auch die Krankenkassen entgegen. Sie sind ebenfalls gesetzlich dazu verpflichtet, eigene Ermittlungs- und Prüfstellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen einzurichten, die genau solchen Vorwürfen nachgehen. Wie das im Einzelnen funktioniert, erklärt Dina Michels, Chefermittlerin der Kaufmännischen Krankenkasse, im Interview. So viel sei schon verraten: Hier können sich nicht nur die Versicherten, sondern auch Praxisinhaber melden.

Verstoß gegen Straf-, Sozial- und Wettbewerbsrecht

Seitdem das Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen, kurz: Antikorruptionsgesetz, 2016 in Kraft getreten ist, sind Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen auch im Strafrecht verankert. Der dafür neu geschaffene § 299 soll dafür sorgen, dass heilberufliche Verordnungs-, Abgabe- und Zuführungsentscheidungen frei von unzulässiger Einflussnahme getroffen werden. Verstoßen Angehörige von Heilberufen dagegen, kann das eine Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu drei, in besonders schweren Fällen bis zu fünf Jahren zur Folge haben.

    Auch im Fünften Sozialgesetzbuch (SGB V) ist verankert, dass es Vertragsärzten nicht gestattet ist, „für die Zuweisung von Versicherten […] ein Entgelt oder sonstige wirtschaftliche Vorteile sich versprechen oder sich gewähren zu lassen oder selbst zu versprechen oder zu gewähren“ (§ 73 Abs. 7 SGB V). Verstoßen Ärzte dagegen, können die Kassenärztlichen Vereinigungen dies zum Beispiel mit einem Verweis, einer Geldbuße von bis zu 50.000 Euro oder dem Ruhen der Zulassung ahnden. Auch eine Entziehung der Zulassung der vertragsärztlichen Versorgung ist in schweren Fällen möglich. § 128 SGB V befasst sich ebenfalls mit der unzulässigen Zusammenarbeit zwischen Leistungserbringern und Vertragsärzten.
    Verstöße dieser Art sind zudem wettbewerbsrechtlich relevant. Fließt für Verordnungen also Geld oder werden sonstige Vorteile gewährt, kann auch das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb hier Anwendung finden. Und nicht zuletzt verstoßen Ärzte, die sich für Verordnungen bezahlen lassen, gegen ihre Berufsordnung (§ 31 MBO-Ä). Es handelt sich bei Zuweisungen gegen Entgelt also keinesfalls um ein Kavaliersdelikt.

Außerdem gehört zum Themenschwerpunkt Korruption:

Korruption verhindern durch Direktzugang – Ein Kommentar von Ralf Buchner

„Ärzte verteilen unsere Milliarden durch ihren Kugelschreiber“ – Interview mit Dr. Wolfgang Wodarg, Mitglied im Vorstand von Transparency International Deutschland

Eine Auswahl von Leserbriefen, in denen Praxisinhaber aus ganz Deutschland von ihren Erfahrungen mit Korruption berichten

„Wenn keiner etwas dagegen tut, fällt immer einer hinten runter“ – Interview mit Dina Michels, Chefermittlerin bei der KKH Kaufmännische Krankenkasse in Hannover

 

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Lutz Ecknigk
06.03.2018 18:41

Ich arbeite seit 1980 in Berlin im Bereich des Gesundheitswesens/… Weiterlesen »

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