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„Ärzte verteilen unsere Milliarden durch ihren Kugelschreiber“

Ein Interview mit Dr. Wolfgang Wodarg

Dr. Wolfgang Wodarg ist Facharzt für Innere Medizin/Pneumologie, öffentliches Gesundheitswesen, Hygiene und Umweltmedizin und Sozialmedizin. Er war von 1994 bis 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages und von 1998 bis 2010 Mitglied der Parl. Versammlung des Europarates. Zudem war er Initiator und Sprecher der Bundestags-Enquetekommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“. Als Mitglied im Vorstand von Transparency International Deutschland e. V. ist er verantwortlich für das Ressort Gesundheitswesen.
© Wodarg

up|unternehmen praxis: Herr Dr. Wodarg, Sie sind selbst Arzt, waren Mitglied im Deutschen Bundestag und sind Vorstandsmitglied bei Transparency International Deutschland. Sie kennen das Gesundheitswesen also aus vielen verschiedenen Perspektiven. Warum ist gerade hier Korruption ein Thema?

WODARG: Korruption ist bei Transparency International definiert als „der Missbrauch anvertrauter Macht zum privaten Vorteil oder Nutzen“. Den Akteuren des Gesundheitswesens wird sehr viel anvertraut. Wir geben Beitragsmilliarden und intime Daten, spenden Blut und Organe und vertrauen die Entscheidungsmacht darüber den Profis in diesem System an. Gleichzeitig ist unser Gesundheitswesen extrem unübersichtlich. Im Schutze von Geschäftsgeheimnissen und Schweigepflichten lässt sich eben auch gut mauscheln.

Korruptionsbekämpfung im Gesundheitswesen ist für Versicherte und für Patienten unbedingt notwendig. Wenn einem etwas anvertraut wird und man die Verantwortung übernimmt, dann verpflichtet das. Niemand darf Vertrauen missbrauchen, um sich private wirtschaftliche Vorteile zu schaffen. Der anvertraute Auftrag muss immer Vorrang haben.

Den Vertragsärzten werden durch die Solidargemeinschaft jährlich Milliarden anvertraut, die sie durch ihren Kugelschreiber verteilen. Während Kassenärzte pro Jahr etwa für 100 Milliarden Euro Verordnungen schreiben, erhalten sie selbst nur eine Honorarsumme von etwas über 30 Milliarden. Ihnen sind also wichtige Entscheidungen über sehr viel öffentliche Gelder anvertraut.

up|unternehmen praxis: Nun steckt nicht hinter jeder Verordnung gleich Korruption…

WODARG: Nein, das natürlich nicht. Aber die Grenzen zwischen Kooperation und Korruption sind fließend und im Einzelfall manchmal sehr schwierig auszuloten. Denn die Absprachen zwischen den einzelnen Akteuren unseres Gesundheitswesens sind oft verzwickt und laufen häufig noch über dritte Stellen. Das ist nicht sehr transparent und bietet viel zu viele Möglichkeiten, im Trüben zu fischen und sich im Wettbewerb Vorteile zu verschaffen.

up|unternehmen praxis: Sie sagten, die Grenze zwischen Kooperation und Korruption sind fließend. Unter welchen Umständen dürfen Ärzte ihren Patienten denn zum Beispiel einen bestimmten Therapeuten empfehlen?

WODARG: Wenn eine Ärztin beispielsweise eine Physiotherapeutin empfiehlt, die sie gut findet, so ist das gar kein Problem, wenn sie dafür kein Geld nimmt. Ärzte können ihre Patienten dahin schicken, wo sie ihrer Meinung nach gut behandelt werden. Genauso können sie auch von bestimmten Praxen abraten. Sobald ein Arzt aber Geld dafür annimmt, fordert oder sich versprechen läßt, so ist das Korruption. Wenn sich Therapeuten Vorteile gegenüber der Konkurrenz erkaufen und Ärzte das mitmachen, so handeln beide wettbewerbswidrig und unlauter. Sie sind dann seit dem 4. Juni 2016 auch wegen aktiver beziehungsweise passiver Bestechung strafbar.

up|unternehmen praxis: 2016 ist das Antikorruptionsgesetz in Kraft getreten, dass sich ja genau gegen solche Machenschaften richten soll. Hat es bislang den gewünschten Erfolg gebracht?

WODARG: Das lässt sich quantitativ noch nicht abschätzen. Es ist aber schon dadurch wirksam, dass  zum Beispiel korrupte Ärzte durch das Gesetz jetzt überhaupt bestraft werden dürfen. Sie sind nach dem Strafgesetzbuch Paragraph 299 a jetzt als taugliche Täter definiert. Damit ist eine wichtige Voraussetzung dafür geschaffen worden, dass Staatsanwaltschaften überhaupt erst ermitteln können. Vorher hatten die Ermittlungsbehörden keine strafgesetzliche Grundlage, hier wegen Bestechung tätig zu werden, denn was man nicht bestrafen kann, darf man auch nicht ermitteln. Die Länder waren sogar bereits dabei, ihre Ermittlungsbehörden mit Spezialisten, die sich im Gesundheitswesen gut auskannten, wieder abzubauen. Nachdem der Bundesgerichtshof 2012 verkündet hatte, dass Ärzte bei Bestechlichkeit keine tauglichen Täter seien, wurden zahlreiche Ermittlungen für einige Jahre eingestellt. Das hat sich ab Juni 2016 mit dem Antikorruptionsgesetz geändert und die Gesetzeslücke wurde geschlossen.

up|unternehmen praxis: Wie könnte man Korruption effektiver bekämpfen?

WODARG: Wichtig wäre mehr Offenheit auf allen Seiten. Auch Patienten und Angehörige sollten sich nicht scheuen, ihren Ärzten die Frage zu stellen, ob sie zum Beispiel mit Pharmafirmen, Krankenhäusern, Physiotherapeuten oder Labors wirtschaftliche Absprachen haben oder ob sie für Studien von der Industrie Geld bekommen. Diese Themen überhaupt erst einmal anzusprechen, ist meiner Meinung nach schon einmal sehr viel wert.

Außerdem sollte es einen Schutz für Whistlerblower geben. Denn häufig kommen Korruption oder sonstiges Fehlverhalten nur ans Tageslicht, weil zum Beispiel eine Arzthelferin entlassen wird und die dann darüber berichtet, um sich zu rächen. Oder der Arzt lässt sich scheiden und seine zornige Ehefrau packt aus. Das sind aber eigentlich nicht die typischen Whistlerblower. Diesen Begriff benutzt man für Menschen, welche unter Missständen wie etwa Korruption leiden und diese uneigennützig und in öffentlichem Interesse aufdecken. Sie gehen dabei oft hohe persönliche, berufliche oder finanzielle Risiken ein. Darum sollten sie durch den Gesetzgeber vor wirtschaftlichen und persönlichen Schäden in Zukunft viel besser geschützt werden.

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doerschmann
22.02.2019 11:10

Guten Tag, ich möchte nur mitteilen, dass ich als privat… Weiterlesen »

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