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Physiotherapeuten, handelt endlich gemeinsam!

Ein Gastbeitrag von Dr. med. Rolf Eichinger, Allgemeinarzt und Chirotherapeut
Für mich und meine Patienten sind gute physiotherapeutische Therapieangebote von essentieller Wichtigkeit. Leider habe ich jedoch den Eindruck, dass durch grundlegende politische Fehlentscheidungen, welche sicher auch aufgrund der schlechten Vertretung physiotherapeutischer Anliegen passierten und passieren, die Versorgung mit wichtigen manuellen Therapieangeboten massiv bedroht ist.
© SARINYAPINNGAM

Seit 23 Jahren bin ich niedergelassener Allgemeinarzt, neunzehn davon in eigener Praxis. Die Ausbildung zum Chirotherapeuten begann ich bereits vor meinem Medizinstudium. Chirotherapeutische Interventionen halfen mir schon in meiner Klinikzeit oft mehr bei der Behandlung, als das, was ich im Studium erlernt hatte.

In meiner Umgebung haben die hochkarätigen Therapiepraxen Wartezeiten von ca. zehn Wochen.

In meiner Praxis führen fasziale Störungen zu 70 bis 80 Prozent der Konsultationen. Bei faszialen Erkrankungen stehen die manuellen Therapien ganz im Zentrum der Behandlung. Weit vor medikamentösen oder gar operativen Ansätzen. Für mich und meine Patienten sind gute physiotherapeutische Therapieangebote darum von großer Bedeutung. Die Versorgung mit wichtigen manuellen Therapieangeboten ist aufgrund grundlegender politischer Fehlentscheidungen jedoch massiv bedroht. In meiner Umgebung haben die hochkarätigen Praxen Wartezeiten von ca. zehn Wochen. Akutpatienten können oft nur in Überstunden sporadisch mit zahlreichen Therapeutenwechseln behandelt werden. Die Situation ist also untragbar und wird zu zahlreichen bleibenden – und damit teuren – Gesundheitsstörungen unserer Patienten führen.

Es fehlt an politischem Druck, darüber zu informieren, wie wichtig physiotherapeutische Leistungen im Gesundheitssystem sind.

In den 1990ern quollen die Physiotherapieschulen noch über, jetzt finden Sie keine Interessenten. Was ist geschehen? Sicherlich ist der noch immer schlechte Verdienst eine Hauptursache. Ein angestellter Physiotherapeut kann in Vollzeit meist alleine vom Gehalt nicht leben. Teilzeitkräfte verdienen dann allerhöchstens ein Zubrot zum Einkommen der Lebenspartner.

Diese Situation ist mir als Arzt, mit einer schlagkräftigen Kassenärztlichen Vereinigung und starken Berufsverbänden unverständlich. Anscheinend sind Physiotherapeuten nur schlecht, und dann auch noch untereinander gespalten, vertreten. Es fehlt an politischem Druck darüber zu informieren, wie wichtig physiotherapeutische Leistungen im Gesundheitssystem sind und was der Wert dieser Leistungen ist. Auch gilt es darzustellen, was an Mehrkosten in unserem System entstünde, wenn es immer weniger physiotherapeutische Therapieplätze gibt, weil das Personal verschwindet. Es muss einmal ganz klar gesagt werden: Gute Physiotherapie spart Unsummen an sinnloser Bildgebung, blödsinnigen Operationen, erfolglosen Medikamenten und damit auch an den Folgen und Nebenwirkungen all dieser Fehlbehandlungen.

Eigentlich müsste der 40-Minuten-Termin Standard sein.

Unsäglich ist meiner Meinung nach auch die gegenwärtige Therapiedauer. In zwanzig Minuten, wie es der Heilmittelkatalog fordert, sind die meisten faszialen Störungen nicht einmal annähernd zu therapieren. Ich rezeptiere sehr häufig die Kontingente des Heilmittelkataloges als Doppeltermine. So halbiert sich zwar die Anzahl der Termine, dafür wird aber in 40 Minuten viel mehr erreicht. Eigentlich müsste der 40-Minuten-Termin Standard sein, denn die meisten Regeltermine führen zu rein gar keinem Erfolg. Diese Erfahrung bestätigen übrigens alle meine Patienten.

Längere Behandlungstermine würden die wertvollste Ressource der Physiotherapie, den Therapeuten, schonen.

Ein weiterer Vorteil einer 40-minütigen Therapiedauer ist, dass dem Therapeuten Zeit für eine genaue Anamnese, Untersuchung und Dokumentation gegeben wird. Ich kenne einige Physiotherapeuten, die in 20-Minuten-Terminen verheizt wurden und jede Lust an ihrem Beruf verloren haben. Ich denke also, längere Behandlungstermine würden die wertvollste Ressource der Physiotherapie, den Therapeuten, schonen.

In unseren Seminaren über fasziale Erkrankungen und Behandlungen für Physiotherapeuten sehen wir genau das. Praxen mit einem geschlossenen Team, festen und oft langjährigen Patientenbeziehungen und ausreichender Behandlungszeit mit hohem Behandlungsniveau sind stabil und haben zufriedene Mitarbeiter, die oft ihr ganzes Berufsleben in einer Praxis bleiben. Betriebe mit hoher Behandlungsfrequenz, in denen drei Termine pro Stunde und 24 Patienten oder mehr pro Tag „abgearbeitet“ werden, halten keinen Mitarbeiter und schon gar keinen gut qualifizierten, der die medizinische Herausforderung sucht.

Wie können Verbände dem Raubbau an ihren Mitgliedern tatenlos zusehen?

Warum also werden von Seiten der Physiotherapie nicht längere Termine als Standard gefordert? Sicherlich sollten diese Forderungen zusammen von ärztlichen und physiotherapeutischen Verbänden erfolgen. Dies scheitert aber noch grundlegend an der Unwissenheit von Ärzten über fasziale Erkrankungen, deren Häufigkeit und deren Therapie. So wird der Wert von Physiotherapie auf ärztlicher Seite natürlich kaum erkannt.

Meiner Meinung nach ist eine enge Zusammenarbeit von Arzt und Physiotherapeut absolut erforderlich. In meiner Praxis werden Anrufe von Physiotherapeuten immer durchgestellt. Ich bekomme hier so viel wertvollen Input für mich und meine Patienten und erfahre oft von Dingen, die mir entgangen waren. Übrigens ist dies auch eine Folge meiner Rezeptierung von Doppelterminen. Der Therapeut hat Zeit, Wichtiges zu erfragen. Zeit, die in einer Allgemeinarztpraxis meistens fehlt.

So schafft sich die Physiotherapie langsam selbst ab.

Eine weitere Fehlentwicklung sehe ich auch im Ausbau der geräte-gestützten Therapien. Der therapeutische Benefit von Übungen an Geräten entspricht eher dem eines Fitnessstudios, hat aber mit faszialer Therapie absolut nichts zu tun. Ich kann meine Patienten nicht in solche Praxen schicken, weil ihnen hier nur sehr selten geholfen wird. Leider jedoch wird mit Geräten ohne großen Personalaufwand guter Umsatz gemacht. So können in den besagten Einrichtungen überdurchschnittliche Löhne gezahlt werden, mit der Folge, dass gerade Berufseinsteiger hier gerne unterkommen und renommierten Praxen der Nachwuchs fehlt.

Die Folgen sind gravierend: Wissen wird nicht mehr von den erfahrenen Therapeuten an Berufseinsteiger weitervermittelt, es entsteht ein prekärer Personalmangel in der klassischen Physiotherapie und die Patientenversorgung wird immer schlechter. So aber schafft sich die Physiotherapie langsam selbst ab, weil schlechte Qualität schlechte Erfolge bringt und dann jede Kasse die Kostenübernahme für erfolglose Therapien ablehnen wird. Hierdurch werden die Mittel für Physiotherapie dann immer rarer. Der nächste Heilmittelkatalog wird dies dann bestätigen und die ohnehin schlechte Situation sich weiter verschlechtern.

Es wäre also auch hier einfach einmal an der Zeit, durch Verbände Qualitätsstudien zu erstellen, Therapielänge und Erfolg zu messen und vielleicht noch die Therapeutenzufriedenheit mit zu untersuchen. Das wären sicher gute Daten, um gestärkt in Verhandlungen mit den Kassen zu gehen.

Ich schreibe diesen Aufruf zur Bildung eines schlagkräftigen Verbandes in einer geeinten Physiotherapie, weil ich nur mit guten Therapeuten die Qualität meiner ärztlichen Tätigkeit wahren kann und mir die immer stärkeren Einschränkungen nur eines permanent verstärken: meine Budgetüberschreitung im Heilmittelbereich. Das aber mündet dann letztlich immer mehr in eine Zweiklassen-Medizin, die ich moralisch ablehne. Wer das so will, der bleibe wo er ist, die anderen sollten endlich handeln!

Tipp: Herr Dr. Eichinger war auch Gast in unserem Podcast up_doppelbehandlung. Das Gespräch mit ihm können Sie sich hier anhören www.up-aktuell.de/podcast.

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Susanne Pfister
29.01.2022 10:41

Noch einen zweiten Kommentar: Ich finde es toll, dass es… Weiterlesen »

Annette Trinkner
28.01.2022 15:54

Danke 🙏 Sie sprechen genau unsere Sprache und wir stimmen… Weiterlesen »

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