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„Wir sind auf die Daten aus den Praxen angewiesen“

Interview mit Dr. Claudia Kemper und Nele Töppler zum Thema Therapieforschung
Wie wirksam ist Therapie? Welchen Einfluss hat der Wissenserwerb um Evidenzbasierung im Rahmen einer akademischen Ausbildung auf den Behandlungserfolg? Kann durch eine gute physiotherapeutische Behandlung eine Operation vermieden werden? Rund um die Heilmitteltherapie gibt es viele wichtige Fragen, auf die valide Antworten weitestgehend fehlen. Das liegt daran, dass so gut wie keine Versorgungsforschung in diesem Bereich betrieben wird. Das Deutsche Institut für Therapieforschung (DIT) möchte das ändern und hat kürzlich einen Antrag auf Förderung beim Innovationsausschuss des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) gestellt.
© AzmanL,ihr-fotograf,Nele Töppler

Die Gesundheitswissenschaftlerin Dr. Claudia Kemper hat sich dabei maßgeblich um Methodik und Studiendesign gekümmert, die Betriebswirtin Nele Töppler um Projektplanung und Kalkulation. Beide sind zudem Physiotherapeutinnen. Sie erklären, warum Therapieforschung so wichtig ist und wie Praxen sich daran beteiligen können.

Frau Dr. Kemper, wo hakt es bislang bei der Therapieforschung und warum engagieren Sie sich auf diesem Gebiet?

KEMPER: Als Gesundheitswissenschaftlerin mit Schwerpunkt Versorgungsforschung und Physiotherapeutin mit Leib und Seele treibt mich schon lange die „black box“ des Therapiealltags um. Durch die Routinedaten der Krankenkassen wissen wir ganz viel darüber, was die Ärzte verordnen – auch indikationsbezogen, also was sie bei welcher Erkrankung verordnen. Wir wissen aber nicht, was im Behandlungsalltag bei der Therapie passiert und wie effektiv sie ist. Um daran etwas zu ändern, wurde das Deutsche Institut für Therapieforschung (DIT) als gemeinnütziges Dach gegründet.

Das DIT hat nun einen Antrag auf Förderung beim Innovationsfonds gestellt. Was passiert, wenn Fördergelder bewilligt werden?

TÖPPLER: Wir möchten damit anfangen, Primärdaten, die in den Praxen erhoben werden, mit den Routinedaten der Krankenkassen zu verknüpfen, um sie dann auszuwerten. Das wurde bisher in Deutschland noch nie gemacht. So wie insgesamt in der Versorgungsforschung in der Physiotherapie – abgesehen von der Routinedatenforschung – so gut wie nichts stattfindet.

KEMPER: Anhand der Routinedaten lässt sich ermitteln, wie langfristig effektiv die Therapie ist. So lässt sich etwa nachverfolgen, wie viele Operationen innerhalb eines Jahres nach dem Therapiezyklus erfolgt sind, wie groß der Schmerzmittelbedarf war, wie viele Krankentage es gegeben hat und so weiter.

Wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten des Antrags ein?

KEMPER: Wir denken, wir haben gute Chancen, dass der Innovationsfonds Fördermittel bewilligt. Wir haben ganz klare, patientenrelevante Fragestellungen in den Mittelpunkt gestellt und haben auch aufgezeigt, dass die Beantwortung dieser Forschungsfragen für zukünftige Fragestellungen bezüglich der Aus- und Weiterbildung der Therapeuten, der Akademisierung, der Blankoverordnung oder der Weiterentwicklung von Heilmittel-Richtlinie und Heilmittelkatalog ganz wesentliche Informationen und Daten liefern kann.

Was können Heilmittelpraxen zur Therapieforschung beitragen?

TÖPPLER: Sie können sich beim DIT melden und ihre Bereitschaft signalisieren, mitzumachen. Denn wir sind auf die Daten aus den Praxen angewiesen. Bisher haben sich bereits knapp 600 Praxen aus der Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie dazu bereit erklärt. Aber je mehr mitmachen, desto besser. Bei der Behandlung ändert sich dadurch nichts. Der Patient kommt ganz normal mit seinem Rezept in die Praxis und der Therapeut behandelt, wie er es immer tut.

KEMPER: Lediglich für die Dokumentation bekommen die Therapeuten von uns standardisierte Instrumente an die Hand, etwa zur Befundung und zur Ermittlung, wie sich zum Beispiel die gesundheitsbezogene Lebensqualität im Laufe des Therapiezyklus verändert hat.

TÖPPLER: Die Praxen bekommen dafür eine Schulung und ein spezielles Tool, damit es eben nicht in Bürokratiewahnsinn ausartet. Sie müssen auch nicht mehrfach dokumentieren, sondern ersetzen damit einfach einen Teil ihrer normalen Dokumentation, die sie ohnehin machen müssen.

Sind 600 Praxen nicht genug? Warum sollten sich noch weitere zur Teilnahme melden?

TÖPPLER: Zum einen brauchen wir zu den behandelten Patienten in der Praxis auch immer die Routinedaten der Krankenkasse. Das ist die Krux, denn nicht alle Krankenkassen machen dabei mit. Darum gilt: je mehr Praxen, desto besser. So vermeiden wir, dass nach einem erfolgreichen Antrag die Studie daran scheitert, dass wir nicht genügend Patienten gewinnen konnten, von denen wir auch den zweiten Part der Daten von den Krankenkassen erhalten.

Zum anderen setzt es auch ein deutliches Zeichen: Wir wollen transparent machen, was in den Behandlungen konkret passiert, welche langfristigen Erfolge wir damit erzielen und was an Kosten (Medikamente, Operationen etc.) dadurch gespart werden kann.

Wenn sich Praxisinhaber nun melden und mitmachen möchten, was passiert als Nächstes?

TÖPPLER: Die Entscheidung über die Anträge teilt der G-BA Ende drittes, Anfang viertes Quartal mit. Aber es wird auch vorher schon einen Newsletter vom DIT geben, über den sich die Praxen informieren lassen können, wie es weitergeht.

Es ist wichtig, jetzt einen ersten Schritt zu machen, einen ersten Aufschlag zu landen. Darum geht es in diesem Antrag auch diesmal nur um Physiotherapeuten, weil das die größte Gruppe der Heilmittelerbringer ist. Das heißt aber nicht, dass wir nicht auch künftig etwas für andere Heilmittelbereiche machen werden und es sind auch alle eingeladen, mitzumachen. Denn das DIT ist ein Institut, an dem Forschung für den gesamten Heilmittelbereich betrieben werden soll.

KEMPER: Die Idee des DIT ist ja, für alle Heilmittelerbringer wertvolle Informationen zu sammeln, um uns insgesamt nach vorne zu bringen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Wenn auch Sie die Therapieforschung voranbringen möchten, können Sie sich hier zur Teilnahme anmelden: www.therapie-forschung.org/aufruf-zurteilnahme-an-forschungsprojekt/hintergrund

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