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Konsultationsprozess | Politik

„Der Direktzugang findet in der Praxis statt. Wir müssen ihn nur noch legalisieren.“

Interview mit Dr. Roy Kühne, MdB und Physiotherapeut, zur Reform der Berufe in der Physiotherapie
Das Konsultationsverfahren zur Vorbereitung eines späteren Referentenentwurfs über die Berufe in der Physiotherapie läuft. Also haben wir bei der Politik nachgefragt, wie die Parteien zu den einzelnen Themen stehen.  Dr. Roy Kühne (CDU) erklärt, wie er zu Themen wie Direktzugang, Akademisierung, Zertifikatspositionen etc. steht.

Wenn wir über Berufsreform reden, ist die zentrale Frage: Wo wollen wir eigentlich hin? Das spiegelt auch der Fragenkatalog wider, der u. a. mehrere Fragen zum Direktzugang enthält. Wie ist Ihre Meinung als Physiotherapeut – Direktzugang ja oder nein?

KÜHNE: Meiner Meinung nach ist er längst überfällig. Er findet in der Praxis statt, wir müssen ihn nur noch legalisieren und Qualität dahinter stellen.

Mit Qualität meinen Sie Akademisierung?

KÜHNE: Natürlich kommen wir um eine Akademisierung nicht herum. Denn wir möchten ja Fehler vermeiden, die dazu führen, dass von irgendeiner Seite, etwa der Versicherer oder der Ärzteschaft, der Einwand kommt: ‚Naja, das haben wir schon gewusst. Das bringt nichts.‘ Es ist also klar, wir brauchen Qualität, messbare Qualität und damit gute Ergebnisse.

Bei der Akademisierung gibt es verschiedene Facetten. Es gibt die Vollakademisierung, die Teilakademisierung und die Möglichkeit, einer Fachschulausbildung mit einem akademischen Abschluss im Anschluss. Was wäre Ihr Lieblingsszenario?

KÜHNE: Wenn wir eine Vergleichbarkeit möchten, müssen wir uns umschauen, wie es international gehandhabt wird. Da ist das dreijährige Bachelor-Studium üblich. Der erste Schritt wäre aber eine Teilakademisierung.

Wird der Zugang zur Ausbildung auch weiter mit einem Realschulabschluss möglich sein?

Ja, das sollte schon sein. Ich finde es eh schlimm, wie wir in Deutschland mit den Haupt- und Realschulen umgehen.

Und was passiert mit den ganzen Fachschulen?

Es ist die Frage, ob es in zwanzig Jahren oder in zehn oder sogar in fünf Jahren noch die Anzahl von Therapieschulen gibt, die es jetzt gibt. Aber das sind Veränderungen, die wir auch brauchen. Wenn wir mehr Qualität haben wollen, brauchen wir auch veränderte Lehrstrukturen.

Wird es einen Bestandsschutz für die jetzt fachschulausgebildeten Physiotherapeuten geben? Und wie lässt sich das umsetzen?

KÜHNE: Das ist mir immens wichtig. Ich selbst komme ja auch aus einer Fachschule und bin auch stolz darauf, was ich in den letzten 20 Jahren als Therapeut gelernt habe. Der Vorteil dieser Kolleginnen und Kollegen ist, dass sie sehr viel Erfahrung haben, und wenn sie sich dann noch im Laufe der Zeit gut fortgebildet haben, ist das für mich ganz klar eine solide Basis, auf der ich aufbauen kann. Deshalb dürfen wir diese Therapeuten nicht vernachlässigen oder irgendwie benachteiligen, oder auch nur das Gefühl entstehen lassen, dass die, die einen Hochschulabschluss haben, auf einmal mehr Wert sind, als die, die keinen haben. Damit müssen wir sehr sensibel umgehen. Das sind sehr wertvolle Kolleginnen und Kollegen bei uns im Gesundheitssystem, die dürfen wir nicht verlieren.

Wahrscheinlich wäre es sogar gut, diese Therapeuten in die Diskussion um die Reform der Berufsgesetze miteinzubeziehen. Denn sie haben ja die Erfahrungen damit gemacht, was funktioniert und was nicht. Es wird auch das Thema Zertifikatspositionen angesprochen. Gehören diese in die Standardausbildung?

KÜHNE: Wir müssen ganz klar klären, dass mit der Ausbildung ein Grundstock erreicht ist, mit dem wir 75 bis 80 Prozent der gängigen Therapien in der Praxis abdecken können. Es kann nicht sein, dass Therapeuten nach der Ausbildung noch 50 Prozent anschließen müssen. Darum ganz klar: Ja, Zertifikate weitgehend abschaffen und in die Grundausbildung mit einpflegen, sodass Therapeuten danach vollwertig in der Praxis mitarbeiten können.

Der Fragenkatalog ist an die Länder und die Verbände zur Beantwortung gegangen. Was ist dann der nächste Schritt im Gesetzgebungsverfahren?

Es geht hier um die Zukunft der Berufe. Ich hoffe, dass die Länder und die Verbände auch die Therapeuten einfach mal befragen. Durch die Mittel der Digitalisierung ist es ja möglich, große Meetings zu veranstalten und die Mitglieder einzubeziehen.

Wenn die Stellungnahmen da sind, kommt als nächster Schritt der Referentenentwurf. In dieser Legislaturperiode wird der Prozess nicht mehr mit einem Gesetz enden. Dafür ist nicht mehr genug Zeit. Aber wir haben dann eine gute Diskussionsgrundlage für die kommende Legislaturperiode und können dann hoffentlich sehr zügig mit einer neuen Regierung die Umsetzung vorantreiben.

Also wird es den Referentenentwurf noch in diesem Jahr geben?

Ja, sonst wäre der Fragenkatalog eigentlich unsinnig gewesen. Ich weiß, dass man im BMG schon länger an einem Entwurf, an einer Idee zur Reform der Berufsgesetze der Therapieberufe, im ersten Schritt der Physiotherapieberufe, arbeitet. Und es wäre klug, wenn wir vor der Sommerpause noch einen Referentenentwurf bekommen, an dem sich dann die Basis, die Mitarbeiter im BMG, aber auch die Therapeuten abarbeiten können.

Das Gespräch mit Dr. Roy Kühne führte Ralf Buchner. Es ist auch im up_Nachrichten Webcast vom 02.06.2021 zu sehen.

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