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Wann kommt der Direktzugang?

Web-Podium diskutiert über Akademisierung und Direct Access
Die Köpfe zusammenstecken ist in diesen Zeiten keine gute Idee. Trotzdem können und sollten wir weiterhin über wichtige Dinge sprechen. Denn es wird auch eine Zeit nach der Corona-bedingten Ausnahmesituation geben. Im Web-Podium am Samstag, den 14. März 2020, sprachen Prof. Dr. Claudia Kemper, Physiotherapeutin aus Niedersachsen und studierte Gesundheitswissenschaftlerin, und Prof. Dr. Christoff Zalpour, Professor für Physiotherapie an der Hochschule Osnabrück, mit uns u.a. über den Zusammenhang zwischen Akademisierung und Direktzugang.
Physiotherapeut steht an Behandlungsliege
© iStock: Wavebreakmedia

Unter dem Titel „Gesamtkonzept Gesundheitsberufe“ hat die Bund-Länder-Arbeitsgruppe Anfang März ein Eckpunktepapier veröffentlicht. Es soll die Grundlage für zukünftige gesetzliche Änderungen zur Neuordnung und Stärkung der Gesundheitsfachberufe bilden.

Neben Themen wie Schulgeld und Ausbildungsvergütung gibt es darin auch den Punkt „Akademisierung und Modellversuche zum Direktzugang“. Diese Formulierung allein lässt schon aufhorchen. Denn es heißt ausdrücklich nicht „Akademisierung und Direktzugang“. Dazwischen stehen die Modellversuche. Bis zum Direktzugang ist es politisch also noch ein weiter Weg.

Akademisierung als Voraussetzung für den Direktzugang?

Wenn es nach Christoff Zalpour geht, ja. Man müsse sich nur die Länder mit Direktzugang anschauen. Dort lief die Professionalisierung der Physiotherapie stets über die Akademisierung. Der Direktzugang folgte dann in verschiedenen Ausprägungen. „Der Weg über den sektoralen Heilpraktiker hingegen ist in Deutschland einmalig.“ Dieser Schritt war o. k., um mehr Berufsautonomie für Physiotherapeuten zu erreichen. Der ideale Weg wäre aber über die Akademisierung.

Eine akademische Ausbildung als Voraussetzung für den Direktzugang sei laut Zalpour vor allem dann sinnvoll, wenn deren Inhalte Kompetenzen widerspiegeln, die für den Direktzugang wichtig sind. Als Beispiele nennt er wesentliche Module akademischer Programme wie Differenzialdiagnose, Screening auf Krankheiten, die man physiotherapeutisch primär nicht behandeln kann, fundiertes Clinical Reasoning, Berufsethik, Commitment zur evidenzbasierten Praxis – alles.

Claudia Kemper, die selbst als Physiotherapeutin den Weg über den sektoralen Heilpraktiker gewählt hat, stimmt dem zu. Auch sie findet, dass man beim Thema Direktzugang die Frage nach der Qualifizierung stellen muss „und da wären wir ziemlich dämlich, wenn wir das Potenzial einer akademischen Grundqualifizierung nicht nutzen.“

Patientenwohl in den Fokus rücken

Die Zurückhaltung der Politik beim Direktzugang kann sie hingegen nicht nachvollziehen. Ihrer Ansicht nach sollte die bedarfsgerechte Versorgung der Patienten im Mittelpunkt stehen – so wie es das SGB V auch vorsieht. Die Argumentation werde vom falschen Ende angefangen. „Wenn ich Probleme wie z. B. Ärztemangel angehen will, komme ich nicht drum herum, auch die Expertise der Physiotherapeuten zu nutzen.“

Reicht eine Teilakademisierung, so wie die Politik es vorsieht?

„Die Vollakademisierung wäre sicher besser“, so Zalpour. „So haben es bisher alle Länder gemacht, u. a. auch die Schweiz.“ Als die Entscheidung gefallen war, wurde sie konsequent und mit ausreichenden Mitteln umgesetzt. „Das könnten wir auch schaffen.“

Als Negativbeispiel nennt er die Physiotherapy Assistants in den USA. Dadurch entstehe eine Spaltung der Berufsgruppe, die nicht gewollt sein kann. „Wir wollen Universalisten ausbilden, die auch alles machen können und sich nicht noch innerhalb der Berufsgruppe aufspalten.“

Was passiert bei einer Akademisierung mit denen, die ihre Ausbildung schon gemacht haben?

„Wenn es zur Vollakademisierung kommt, muss es eine Übergangsphase und Anerkennung bestehender Ausbildung geben“, findet Kemper. Zudem gebe es bereits Möglichkeiten zur berufsbegleitenden Akademisierung, ergänzt Zalpour. Das würde bei einer Vollakademisierung weitergeführt. „Man könnte sich auch vorstellen, dass es speziell zugeschnittene, hochschulische Programme gibt, wo man das nachholt, was noch fehlt, um im Direktzugang arbeiten zu können.“

Reicht die Blankoverordnung? Und stimmt es, dass sie von den Ärzten genutzt wird, um den Direktzugang zu verhindern?

Die Blankoverordnung ist sicherlich ein Anfang“, so Zalpour. Wenn man sich aber Länder mit hoher Berufsautonomie wie Australien und Norwegen ansehe, stelle man fest, dass es dort keine Blankoverordnung gibt. „Mit dem Direktzugang ist die Versorgungsqualität besser und es ist billiger.“

Auch Kemper findet, die Blankoverordnung könne nur ein erster Schritt sein. Das Ziel muss der Direktzugang bleiben. Sie sieht die Widerstände weniger bei den Ärzten und mehr in den bestehenden Institutionen und Strukturen. „Der Ball liegt bei uns, wir müssen Ideen und Konzepte vorlegen, sonst werden wir verwaltet und haben die Suppe dann auszulöffeln.“

Was muss nun passieren, damit Akademisierung und Direktzugang kommen? Wären Modellversuche ein erster Schritt?

Ich denke schon“, so Zalpour. „Modellversuche sind sicherlich gut. Ich würde mir aber auch wünschen, dass in der Berufsgruppe der Physiotherapeuten die Chancen der Akademisierung mehr gesehen werden. Mein Gefühl ist aber eher, dass hier eine Spaltung stattgefunden hat.“ Das sei für ihn schwer nachvollziehbar. „Dabei ist die Gruppe so groß, dass sie politisch sicher etwas erreichen könnte.“

„Ich nehme diese Spaltung ebenfalls war“, berichtet Kemper. „Es gibt gerade sehr viele Stränge, die nebeneinander laufen. Da gibt es zu wenig Solidarität und zu wenig Miteinander. Eine kritische Masse Therapeuten, die etwas bewegt haben, hatten wir ja im vergangenen Jahr. Diese Welle scheint ein wenig verpufft. Wir müssen etwas schaffen, woran die Politik dann nicht mehr vorbeisehen kann.“

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