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„Positives aus der Krise mitnehmen – als Team und als Unternehmer“

Diplom Psychologin Julia Scharnhorst zum Umgang mit der Corona-Pandemie
Zum Jahresbeginn war Corona noch so eine Atemwegserkrankung im fernen Asien. Dann ging plötzlich alles ganz schnell. Es traten immer mehr Infektionen auf, auch in Deutschland und Europa. Praktisch vom einen auf den anderen Tag kam das öffentliche Leben zum Stillstand – und damit entstand ganz viel Unsicherheit. Wir haben mit der Diplom-Psychologin Julia Scharnhorst darüber gesprochen, was die Coronakrise mit uns macht und wie wir damit umgehen können.
© Julia Scharnhorst

Frau Scharnhorst, durch die Coronakrise hat sich viel in unserem Leben verändert. Da ist zum einen die Angst vor der Erkrankung selbst, zum anderen die Sorge um die Zukunft und die wirtschaftliche Existenz. Wie können wir diesen Ängsten begegnen?

SCHARNHORST: Angst haben wir meistens vor neuen Dingen und vor Ungewissheit. So ist es auch gerade bei Corona. Die Politik sagt uns immer wieder: Wir fahren auf Sicht. Das macht es für uns gerade sehr schwierig zu wissen, was auf uns zukommt. Je mehr wir aber dafür sorgen können, dass wir wirklich wissen, worum es geht, desto geringer wird die Angst. Darum macht es Sinn, sich auf dem Laufenden zu halten: Was weiß man über die Erkrankung? Wie groß ist das Risiko, dass ich mich anstecke?

Das gleiche gilt auch für die wirtschaftliche Zukunft. Man kann versuchen, sich schonmal einen Überblick über die aktuelle Situation zu schaffen und mittelfristige Perspektiven zu entwickeln. Man macht so eine Art Bestandsaufnahme und sieht seinen Ängsten ins Gesicht. Dann erkennt man, was daran realistisch ist und was nicht.

Wenn man nun diese Bestandsaufnahme für sich durchgeführt hat, wie geht es dann weiter?

SCHARNHORST: Der nächste Schritt ist, soweit es geht, aktiv zu werden. Wenn es uns dann gelingt, auch nur kleine Ziele zu verfolgen, geht es uns schon besser. Denn dann sind wir auf dem Weg, Probleme anzupacken. Wer Angst vor einer Ansteckung hat, kann sich überlegen: Was kann ich konkret tun, um meine Gesundheit zu schützen? Und das dann auch umsetzen. Das Gleiche gilt für das Finanzielle: Man kann sich einen eigenen Leitfaden erarbeiten: Was mache ich, wenn…? Das Wichtigste ist, nicht passiv da zu sitzen und sich zu fürchten.

Auch das Arbeitsleben ist nicht mehr wie vorher und im privaten Bereich schränken uns die Corona-Regeln stark ein. Was macht dieser Verlust des Lebens, wie wir es vor der Coronakrise kannten, mit uns? Sollten wir bewusst um unser altes Leben trauern?

SCHARNHORST: Da wäre ich ein bisschen skeptisch. Ich vermute, es ist nicht nur die Trauer um das alte Leben, sondern auch die Angst vor Ungewissheit. Wenn man Trauer empfindet, klar, dann darf man das auch rauslassen. Trauer ist in dem Zusammenhang aber ein bisschen rückwärtsgewandt und hält uns in negativen Gefühlen. Tatsächlich höre ich auch viel Positives. In vielen Bereichen hat die Coronakrise einen enormen Schub gegeben – an Ideenreichtum, an Kreativität, an Flexibilität. Ich würde darum versuchen, nach vorne zu blicken und zu überlegen, was die Veränderungen denn auch Positives gebracht haben und was man davon in der Zukunft beibehalten möchte.

Wie kann jeder für sich mit der seelischen Ausnahmesituation umgehen, in die uns die Corona-Pandemie gestürzt hat?

SCHARNHORST: Es ist jetzt ganz wichtig, sich mit anderen auszutauschen, sich Unterstützung zu holen. Unterstützung in dem Sinne, dass man mit anderen über die eigene Situation sprechen kann, erzählen kann, wie es einem geht, aber auch im praktischen Sinn. Im Austausch mit anderen kann man sich Inspirationen holen, schauen, wie andere mit bestimmten Problemen umgehen und welche Lösungen sie gefunden haben. Diese soziale Unterstützung ist ganz wichtig.

Zudem wissen wir aus Studien, dass es in schwierigen Lebenssituationen hilft, wenn man seine Gefühle auf kreative Weise ausdrückt. Das muss nicht künstlerisch hoch wertvoll sein. Es reicht schon, zum Beispiel ein kleines Tagebuch zu führen, in dem man jeden Tag ein paar Notizen macht. Wer musikalisch ist oder tänzerisch aktiv, kann diesen Weg wählen. Es geht dabei darum, das, was einen bewegt – im Positiven wie im Negativen –, auszudrücken. Das hilft, solche Erfahrungen deutlich schneller zu verarbeiten.

Auch fällt es uns psychisch leichter, mit solchen Ausnahmesituationen umzugehen, wenn wir uns die nötigen Maßnahmen zu Eigen machen, wenn wir selbst davon überzeugt sind, dass die Regeln gut und richtig sind und wir sie freiwillig umsetzen. Also wenn wir denken: Ich bleibe Zuhause und ich vermeide soziale Kontakte, auch um andere zu schützen, um mich zu schützen und um die Gesellschaft vor einem neuen Lockdown zu bewahren. Selbst wenn ich nur ein kleines Rädchen im Getriebe bin.

Wenn man ständig innerlich rebelliert und denkt „Ich darf das und jenes nicht“ oder „Jetzt haben die mich wieder eingesperrt“, dann ist das immer mit Kämpfen verbunden. Menschen, die so mit der Situation umgehen, leiden psychisch mehr darunter.

Wie können Arbeitgeber ihre Mitarbeiter dabei unterstützen, mit dem neuen Miteinander am Arbeitsplatz umzugehen? Und wie können sich Kollegen untereinander helfen?

SCHARNHORST: Arbeitgeber können ihren Mitarbeitern jetzt helfen, indem sie so flexibel wie möglich sind und die Angestellten dabei unterstützen, ihrer Arbeit nachgehen zu können. Außerdem ist es wichtig, den Mitarbeitern ein gewisses Vertrauen entgegenzubringen, also davon auszugehen, dass sie schon alles gut und richtig machen, auch wenn man das als Chef vielleicht gerade nicht kontrollieren kann. Es hilft jetzt enorm, den Druck auf die Mitarbeiter nicht noch zu erhöhen, sondern einzugestehen, dass die Umstände nun besonders sind und wir uns alle anpassen müssen.

Außerdem ist es hilfreich, wenn wieder etwas mehr Ruhe eingekehrt ist, die Veränderungen durch die Pandemie noch einmal mit seinem Team gemeinsam zu reflektieren und zu sehen, ob man ein paar Lehren daraus mitnehmen kann: Wie war die Zeit für uns? Was hat gut funktioniert? Was nicht so? Vielleicht möchte man sich im Team neue Spielregeln setzen, Veränderungen, die in der Pandemie super geholfen haben, weiter beibehalten. Zudem kann man gemeinsam überlegen, ob man gut vorbereitet ist, sollte es erneut eine Krise geben. So kann man aus der Krise auch Positives mitnehmen und daran wachsen – als Team und als Unternehmen.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, darauf zu achten, dass Kommunikation im Team und zwischen dem Chef und den Mitarbeitern erhalten bleibt, auch wenn man sich aufgrund der geltenden Regelungen nicht mehr so oft sieht. Das gilt für die berufliche Kommunikation, aber auch für das ein oder andere private Gespräch. Man kann zum Beispiel mal ein Feierabendbier gemeinsam bei Zoom trinken, wenn man sich schon nicht wie früher zusammensetzen kann. Oder man telefoniert mit Mitarbeitern, die man nicht mehr so häufig sieht oder hält Team-Meetings als Videokonferenzen ab.

Was würden Sie sagen, ist in dieser Zeit besonders wichtig?

SCHARNHORST: Optimistisch bleiben. Es geht irgendwie weiter.

Frau Scharnhorst, vielen Dank für das Gespräch.

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