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„Vielen ist gar nicht bewusst, was Mobbing für die betroffene Person bedeutet“

Interview mit Brigitte Harste, Kommunikationstrainerin, zum Thema Mobbing
In einer Therapiepraxis ist ein gutes Betriebsklima unabdingbar – für die Mitarbeiter ebenso wie für die Patienten. Es gibt jedoch viele Faktoren, die das Betriebsklima negativ beeinflussen können. So auch Mobbing. „Oft wird das Thema unter den Tisch fallen gelassen, sicher auch, weil es für viele schwer greifbar ist“, weiß die Kommunikationstrainerin Brigitte Harste. „Doch Mobbing am Arbeitsplatz findet öfter statt als viele denken.“ Wir haben mit ihr darüber gesprochen, wo Mobbing anfängt, welche Verantwortung Praxisinhaber tragen und wie sich die Übergriffe vermeiden lassen.
© Arendt Schmolze


Jeder kann in seinem Arbeitsleben Opfer von Mobbing werden. Für Betroffene bedeuten die psychischen Übergriffe eine große Belastung. Je länger die Situation andauert, desto gravierender können die Folgen sein – für die Gesundheit, aber auch für die berufliche und private Situation. Mobbing kann bspw. zu Schlafstörungen, Depressionen und im schlimmsten Fall zu Suizid führen. Auch die Arbeitsleistung und Konzentration lassen nach. Fehlzeiten häufen sich und im Ernstfall verlassen wertvolle Mitarbeiter die Praxis. Die Stimmung und Zusammenarbeit innerhalb eines Teams leidet unter Mobbing – oft weit über den eigentlichen Vorfall hinaus.

„Vielen ist gar nicht bewusst, was Mobbing für die betroffene Person bedeutet“, weiß Brigitte Harste. „Doch es kann Leben zerstören. Daher ist es wichtig, dass sowohl Mitarbeiter als auch Vorgesetzte für das Thema sensibilisiert sind. Nur so kann Mobbing verhindert werden.“

Übrigens: Mobbing kommt deutlich häufiger vor, als viele denken. Aus einer repräsentativen Studie des Meinungsforschungsinstituts OnePoll (2018), an der 1.000 Arbeitnehmer teilnahmen, geht hervor, dass mehr als 60 Prozent der Arbeitnehmer bereits Mobbing am Arbeitsplatz erlebt haben. Fast jeder vierte Arbeitnehmer (24 Prozent) war selbst betroffen, 37 Prozent gaben an, Zeugen von Mobbing gewesen zu sein.

Mobbing ist vorsätzlich und dauerhaft

„Nicht jede kleine Streitigkeit oder ein Konflikt ist Mobbing“, sagt Frau Harste. „Daher ist das Thema für viele auch so schwer greifbar.“ Zudem trägt dazu bei, dass es keine einheitliche Definition für Mobbing gibt. Eine oft verwendete Definition ist jene des Bundesarbeitsgerichts (BAG). Demnach ist Mobbing „das systematische Anfeinden, Schikanieren oder Diskriminieren von Arbeitnehmern untereinander oder durch Vorgesetzte“ – und zwar über einen längeren Zeitraum, also Wochen, Monate oder gar Jahre. „Mobbing am Arbeitsplatz kann schon mit so kleinen Dingen anfangen wie Informationsentzug, etwa wenn jemand konsequent nicht über Neuerungen oder Veränderungen informiert wird“, so die Kommunikationstrainerin.

Staffing: Mobben von Vorgesetzten

„Mobbing gibt es untereinander, aber auch von oben nach unten und von unten nach oben“, erklärt Frau Harste. „Ein typisches Beispiel für Mobbing ist, wenn ein Kollege einen anderen innerhalb eines Teams systematisch immer wieder schikaniert.“ Es kann aber auch vorkommen, dass Mitarbeiter Vorgesetzte mobben. Das bezeichnet man dann als Staffing. „Ich habe aktuell einen Fall, in dem das gesamte Physio-Team in einer Klinik sich gegen die neue Leitung wendet“, berichtet die Kommunikationstrainerin. „Eigentlich war die Stelle intern ausgeschrieben. Die Klinikleitung hat sich dann aber dafür entschieden, sie extern zu besetzen. Die neue Leitung soll eine Reihe von Veränderungen umsetzen, von denen die Mitarbeiter das erste Mal hören. Sie wird zum Sündenbock, Arbeit wird verweigert und es geht sogar so weit, dass die Mitarbeiter die Patienten einspannen, um die Leitung zu denunzieren.“ Auch das sei eine Form von Mobbing.

Über Bossing wird oft geschwiegen

Mobbing geht aber längst nicht immer von Angestellten aus. Häufig kommt es auch vor, dass Vorgesetzte Mitarbeiter mobben. „Das ist ein Problem, das oft nicht zur Sprache kommt“, weiß Frau Harste. „Welche Mitarbeiter möchten schon den Chef des Mobbens beschuldigen?“ In der Regel sei es den Vorgesetzten gar nicht bewusst, dass sie mobben. „Das ist meist ein schleichender Prozess, der durch Kleinigkeiten ausgelöst werden kann. Etwa wenn Praxisinhaber immer ein bisschen unzufrieden mit einem Arbeitnehmer sind oder der Arbeitnehmer immer anderer Meinung als der Vorgesetzte ist“, erklärt die Kommunikationstrainerin. „Werden solche Unstimmigkeiten nicht offen zur Sprache gebracht, können sie wachsen und im Mobbing enden.“

Umgang mit Mobbing in der Praxis

Wenn Sie erfahren, dass in Ihrem Team gemobbt wird, ist es Ihre Pflicht, sofort einzugreifen. Sie als Chef haben eine Fürsorgepflicht Ihren Mitarbeitern gegenüber. Im Zweifel könnten Sie bei Unterlassung sogar verklagt werden. Damit das nicht passiert, ist vor allem eines wichtig: eine gute Kommunikation:

  • Geben Sie der gemobbten Person immer das Gefühl, dass Sie sie unterstützen und nicht alleine lassen. Sprechen Sie mit ihr und erfragen Sie, in welchen Situationen es zu den Angriffen kommt.
  • Manchmal kann es helfen, das Mobbing-Opfer für einige Tage freizustellen, um es zu schützen und die Zeit zu nutzen, mit den anderen zu reden.
  • Nehmen Sie sich die oder den Täter zur Brust. Klare Ansagen sind hier gefragt und eine starke Haltung Ihrerseits. Sie dulden in Ihrer Praxis ein solches Verhalten nicht und verlangen, dass die Angriffe aufhören. Außerdem kann auch für den Täter Mobbing strafrechtliche Folgen nach sich ziehen – wie eine Anklage wegen Beleidigung, übler Nachrede und so weiter.
  • Beobachten Sie die Situation weiter und sprechen Sie auch immer wieder mit dem Opfer, ob sich die Lage verbessert hat.
  • Holen Sie sich ggf. Hilfe von einem Mediator oder Psychologen, der gemeinsam mit dem Team der Ursache des Mobbings auf die Spur geht. Manchmal „nerven“ die anderen einfach nur bestimmte Verhaltensweisen an der Kollegin oder sie wird zum Sündenbock für versteckte tiefe Konflikte. In anderen Fällen hat eine Person das ganze Team im Griff und sorgt für Gruppenzwang.
  • Wenn alle Stricke reißen und das Mobbing nicht aufhört, müssen Sie darüber nachdenken, den Verursacher, also den Täter, abzumahnen und ggf. auch zu entlassen – zum Schutz Ihres gesamten Teams, aber auch dem Ruf der Praxis. Denn oft bekommen auch Außenstehende wie Patienten mit, dass die Stimmung schlecht ist.

Wichtig: Gehen Sie auch der Ursache für das Mobben auf den Grund. Manchmal verstecken sich hinter den Attacken auf eine Person Frust und Unzufriedenheit des Täters. Unklare Zuständigkeiten, widersprüchliche Anweisungen, mangelnde Informationsweitergabe, Über- und Unterforderung, aber auch Stress und private Probleme können dazu führen, dass Mitarbeiter beginnen, andere zu mobben. Ist die Ursache bekannt, können Sie gemeinsam eine Lösung finden.

Aktiv werden, bevor es zu Mobbing kommt

Kommunikation spielt aber nicht nur eine wichtige Rolle dabei, wenn es darum geht, gemobbten Person zu helfen. Sie ist ein wichtiger Erfolgsfaktor dafür, damit es überhaupt erst gar nicht zu Mobbing, Staffing oder Bossing in der Praxis kommt. „Es ist wichtig, dass das gesamte Team einschließlich des Arbeitgebers für das Thema sensibilisiert ist“, so Frau Harste. „Vielen fehlt schlichtweg das nötige Wissen zum Thema Mobbing, wo es anfängt, was es für Folgen hat.“ Das aber sei die Basis, um die Anfänge im Keim zu ersticken, damit es erst gar nicht zu Mobbing kommt.

  • Der erste Schritt, um Mobbing in der Praxis zu vermeiden, ist, das Thema überhaupt erst einmal zur Sprache zu bringen – und zwar bevor es zum Problem wird. Setzen Sie sich mit Mitarbeitern zusammen und sprechen Sie über das Thema. Was ist Mobbing? Wo hört Streit auf, wo fängt Mobbing an? Was sind typische Anzeichen dafür? Mit dem nötigen Hintergrundwissen nimmt man im Arbeitsalltag viel bewusster wahr, wenn etwas nicht stimmt bzw. kann bestimmte Situationen besser einordnen.
  • Im zweiten Schritt geht es dann darum, eine offene Gesprächskultur zu schaffen, in der Mobbing angstfrei und offen thematisiert werden kann. Hier sind Sie als Praxisinhaber gefragt. Gehen Sie mit gutem Beispiel voran, suchen Sie regelmäßig die Gespräche und schaffen Sie ein vertrauensvolles Miteinander. Vermitteln Sie den Mitarbeitern das Gefühl, dass sie offen die Probleme zu Wort bringen können – Ihnen gegenüber, aber auch innerhalb des Teams. Und zwar nicht nur dann, wenn sie selbst betroffen sind, sondern auch, wenn sie die Befürchtung haben, dass andere im Team gemobbt werden.

Reflektieren Sie Ihr eigenes Verhalten

„Eine offene Gesprächskultur zeichnet aber nicht nur aus, dass Mobbing innerhalb des Teams thematisiert werden kann, sondern auch, dass Ihre Mitarbeiter zur Sprache bringen können, wenn sie ein auffälliges Verhalten bei Ihnen bemerken – Stichwort Bossing“, ergänzt Frau Harste. „Bitten Sie Ihr Team, Sie darauf aufmerksam zu machen. Andernfalls kann das fatale Folgen haben. Stellen Sie sich vor, Ihre Mitarbeiter bekommen mit, wie Sie einen anderen Mitarbeiter – wenn auch unbewusst – immer wieder schikanieren. Dann kann es passieren, dass die Mitarbeiter sich ähnlich verhalten, denn der Chef lebt es ja so vor. Sie legitimieren mit einem solchen Verhalten quasi das Mobbing in der Praxis.“

„Ich kann Praxisinhabern zudem generell nur raten, das eigene Verhalten regelmäßig zu reflektieren und sich auch Fehler im Umgang mit Mitarbeitern einzugestehen“, so die Kommunikationstrainerin. „Dann das Gespräch zu suchen, zeugt von großer Stärke als Führungskraft und trägt zu einem positiven Betriebsklima bei.“

Wir danken Frau Harste für das Gespräch.

[Das Gespräch führte Kea Blum]

 

Anzeichen für Mobbing

Nicht alle Menschen, die Opfer von Mobbing sind, lassen sich das auch anmerken. Es gibt aber einige Anzeichen, die darauf hinweisen können, dass etwas nicht stimmt. Dazu zählen insbesondere:

  • Zunehmende Unzufriedenheit und Demotivation
  • Soziale Isolation
  • Wiederholte und regelmäßige Krankmeldungen
  • Allgemein angespannte Stimmung im Team

Wenn Sie merken, dass sich das Verhalten einer Ihrer Mitarbeiter verändert hat, suchen Sie das Gespräch.

Mobbing-Tagebuch

Ist es Mobbing oder „nur“ ein längerer Konflikt? Sich diese Frage als Betroffener zu beantworten, ist gar nicht so einfach. Ein Mobbing-Tagebuch kann helfen, die Situation einzuschätzen, einen Überblick über die Situation zu behalten und bei Gesprächen die richtigen Worte und Argumente zu finden. Zusätzlich kann ein solches Tagesbuch auch als Beweis vor Gericht dienen – etwa, wenn es aufgrund einer Kündigung oder Erkrankung zur gerichtlichen Auseinandersetzung kommt.

Weiterführende Informationen:

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