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Warum wir erst über Leistungen und dann über Vergütung sprechen müssen

Die Auswirkungen von Preisen auf die Therapie-Qualität in der Heilmittel-Branche

Welche Auswirkungen haben Preisverhandlungen auf die Therapiequalität? Und wer legt eigentlich fest, wie Therapie richtig erbracht wird? Fragen über Fragen zu einem aktuell vernachlässigten, aber ziemlich wichtigen Aspekt der Heilmitteltherapie. Wir liefern Antworten.
© Studio4

Was hat der Preis bzw. das Honorar der GKV mit der Therapiequalität zu tun? Oder: Warum passen Preis und Leistung beim GKV-Honorar nicht zusammen?

Normalerweise kann man den Preis für eine Leistung erst dann bestimmen, wenn sich Auftragnehmer und Auftraggeber über den Umfang der jeweiligen Leistung geeinigt haben. Wenn ich einen Maler bitte, meine Wohnung zu streichen, dann hängt der Preis maßgeblich davon ab, wie groß die Wohnung ist. Wenn ich einen Steuerberater bitte, meine Steuererklärung zu machen, dann hängt der Preis von Umfang und dem damit verbundenem Aufwand ab. Ich muss also klären, welchen Leistungsumfang ich benötige, bevor ich den Preis dafür festlegen kann. Lege ich erst den Preis fest und passe dann die Leistung daran an, gehe ich das Risiko ein, dass die Qualität darunter leidet.

Sind dazu nicht die Rahmenverträge zwischen Heilmittelverbände und GKV da, in denen die Leistungen doch ganz genau beschrieben werden?

Stimmt, in den Verträgen zwischen Heilmittelerbringern und der GKV werden die Leistungen beschrieben, allerdings nicht immer so ganz genau. Es gibt Leistungen, die durch einen Zeitkorridor (von bis) bestimmt werden, oder in der Leistungsbeschreibung wird die Vor- und Nachbereitung als verpflichtender Leistungsbestandteil beschrieben, allerdings ohne die dafür aufzubringende Zeit konkret zu benennen. Die Leistungsbeschreibungen sind also nicht konkret genug, um die Preise wirklich daran festzumachen.

Und wer entscheidet dann, wie lange die Behandlung eines Patienten insgesamt dauert?

In der Regel der Praxisinhaber. Wenn er mehr Geld verdienen will, dann orientiert er sich am unteren Ende der Leistungsbeschreibung (kürzest mögliche Regelbehandlungszeit oder möglichst wenig Vor- und Nachbereitungszeit). Dann kann er mehr Behandlungseinheiten am Tag erbringen und abrechnen. Damit ist auch mehr Geld übrig für die Bezahlung der Angestellten.

Das heißt, alle Praxisinhaber gucken nur auf das Geld?

Nein, ganz im Gegenteil. Es gibt vermutlich sogar mehr Praxisinhaber, denen die Qualität der Therapie wichtiger ist. Sie behandeln länger, investierten mehr Zeit, können aber auch weniger Behandlungseinheiten am Tag erbringen und abrechnen. Folglich ist aber weniger Geld übrig, auch für die Bezahlung der Angestellten.

Das bedeutet doch aber, dass diese Praxisinhaber der GKV-Honorar „schenken“, wenn sie länger behandeln, als bezahlt wird. Warum macht man das?

Es gibt viele Therapeuten, die die Leistungsbeschreibungen der Rahmenverträge als unzureichend empfinden und versuchen, dass auf diese Weise zu korrigieren. Einerseits, weil die von der GKV bezahlte Zeit nicht ausreicht, um die Behandlung nach aktuellem Stand der Therapiewissenschaft durchzuführen. Andererseits, weil der durch den Vertrag vorgegebene Zeitdruck, gerade in der Physiotherapie, die Arbeitsbedingungen für Therapeuten nicht gerade verbessert. Um den Patienten und Mitarbeitern etwas mehr gerecht zu werden, wird also oft nicht im wirtschaftlicheren 20-Minuten-Takt behandelt, sondern im 30-Minuten-Takt, für den die GKV aber nicht zahlt.

Wie wirken sich die Arbeitsbedingungen bzw. der Zeittakt auf die Therapiequalität aus?

Wer als Therapeut gute Behandlungen erbringen will, der braucht dazu bestimmte Rahmenbedingungen, in denen gute Therapie stattfinden kann. Eigentlich müssten die Rahmenverträge und die Leistungsbeschreibungen solche Rahmenbedingungen definieren. Tun sie aber nicht, ganz im Gegenteil werden konkrete Strukturen vermieden. Und deswegen frage ich mich als Therapeut dann bei jeder Behandlung, ob das was ich hier gerade mache, sinnvoll ist. Wer sich diese Frage stellt, arbeitet zunehmend unzufrieden vor sich hin oder wechselt in eine Praxis, die wenigstens besser bezahlt. Oder er gibt die Behandlung von GKV-Versicherten schnell wieder auf und wechselt in einen Job mit besseren Rahmenbedingungen.

Wie müssten denn die Rahmenbedingungen für GKV-Therapie sein, damit gute Therapeuten Lust haben, in diesem Kontext zu arbeiten?

Irgendjemand müsste definierten, was gute, „angemessene, sinnvolle und/oder wirksame Therapie eigentlich ist – am besten die Heilmittelberufe selbst. Anstelle von „variablen“ Leistungsbeschreibungen müssten sich Heilmittelverbände und GKV dann auf einheitliche Therapiequalität-Standards einigen, die evidenzbasiert sind und anhand neuer Forschungsergebnisse regelmäßig aktualisiert werden.

Was genau müsste man sich unter Therapiequalität-Standards vorstellen?

Im Prinzip gibt es schon einige Ansätze dazu. In der Heilmittel-Richtlinie werden die verordnungsfähigen Heilmittel detailliert aufgezählt, bei Logopädie und Lymphdrainage sogar mit Zeitangaben. Im Heilmittelkatalog wird dann noch die verordnungsfähige Menge beschrieben und eine grobe Vorgabe für die Frequenz. Allerdings gingen die Autoren der HeilM-RL von den zu diesem Zeitpunkt geltenden Leistungsbeschreibungen aus. Aktuell gelten jedoch andere Leistungsbeschreibungen als damals. Wenn man z. B. wie bei den Logopäden die Vor- und Nachbereitung als konkrete Zeitangabe aus der Leistungsbeschreibung streicht, dann ändert man damit auch den Umfang der Therapie gemäß Heilmittelkatalog.

Gibt es auch andere unpräzise Leistungsbeschreibungen?

Ja, bei den Physiotherapeuten nimmt der Heilmittelkatalog z. B. Bezug auf die Leistung KG, also Krankengymnastik. Gemäß Leistungsbeschreibung dauert die Behandlung zwischen 15 und 25 Minuten. Bezogen auf einen Behandlungsfall in der Diagnosegruppe WS mit 18 Behandlungseinheiten ist das ein Unterschied in der effektiven Behandlungsdauer von drei Stunden. Ob ein Patient also diese 66 Prozent mehr oder weniger Behandlungszeit bekommt, hängt nicht von seiner Schädigung ab, sondern von den wirtschaftlich getriggerten Entscheidungen des Praxisinhabers. Wer also glaubt, die Heilmittel-Richtlinie würde zusammen mit den Leistungsbeschreibungen „einen qualitativen Rahmen für Heilmittel-Therapie schaffen, der irrt sich.

Hängt es dann nur von der Entscheidung des Praxisinhabers ab, ob der Patient richtig versorgt wird?

Die sinnvolle Versorgung des Patienten scheitert nicht nur an unpräzisen und unabgestimmten Leistungsbeschreibungen, sondern auch an der Preispolitik der GKV. So kalkuliert die GKV grundsätzlich mit einer Auslastung von 100 Prozent. Sobald eine Lücke im Plan ist, verliert die Praxis demnach Geld. Damit sorgt die GKV dafür, dass Patienten immer in die nächste freie Lücke eingeplant werden, unabhängig davon, ob der Therapeut für die Behandlung der jeweiligen Schädigung geeignet ist. Der vielleicht fachlich besser für diesen Patienten geeignete Therapeut hat ja auch einen vollen Plan (niedrige Preise erzwingen vollen Pläne) und die richtige Zuordnung Patient/Therapeut findet nur in seltenen Ausnahmefällen mit viel Aufwand statt.

Gibt es denn andere Möglichkeiten, damit der behandelnde Therapeut die Qualität der Behandlung steigern kann?

Es gibt andere Möglichkeiten zur Qualitätssicherung. Die scheitern jedoch ebenso an der GKV-Preispolitik. Gerade für Berufsanfänger wäre z. B. die kollegiale Begutachtung eines Behandlungsfalls wichtig. Das klappt jedoch nur zufällig und auf Kosten der Heilmittelpraxis, denn so eine Leistung ist in die Kalkulation der aktuellen Honorare bis auf wenige Ausnahmen nicht eingeflossen. Es würde zudem zur Qualitätssicherung beitragen, wenn die Dokumentation und das Schreiben von Berichten vergütet würden. Doch derzeit fehlen dafür sowohl Zeit, als auch finanzielle Anreize. Das Gleiche gilt für die telefonische Beratung von Patienten und Angehörigen. Wenn findet diese derzeit unentgeltlich und nach Feierabend statt, weil die Rahmenbedingungen nichts anderes zulassen.

Selbst wenn Therapeuten Behandlungszeiten festlegen dürften, die sich am Schädigungsgrad und der Belastungsfähigkeit des Patienten ausrichten (Podologen haben solche Möglichkeiten gerade bekommen), würde dies vermutlich scheitern. Denn, wie oben schon erwähnt, sind die aktuellen Preise auf eine Vollauslastung kalkuliert und lassen keinen Raum für Lücken im Terminplan.

Was sagt denn der Gesetzgeber zu diesem Thema? Gibt es gesetzliche Regelungen, die eingehalten werden müssen?

Im SGB V ist klar geregelt, dass in den Verträgen zwischen Heilmittelverbänden und der GKV die Regelleistungszeit (Durchführung der einzelnen Maßnahme, Vor- und Nachbereitung inkl. Dokumentation) festgeschrieben sein muss. Das hat bei den Logopäden und Physiotherapeuten schon mal nicht geklappt. Deswegen klagen jetzt einige Verbände gegen die entsprechende Entscheidung der Schiedsstelle.

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