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Zertifikatspositionen in der Physiotherapie

Wie zeitgemäß ist diese Form der Weiterbildungen?
Es gibt bestimmte physiotherapeutische Maßnahmen, die nur von entsprechend weitergebildeten Leistungserbringern durchgeführt und abgerechnet werden dürfen – die sogenannten Zertifikationspositionen. Diese Regelung soll primär der Qualitätssicherung dienen. Doch ist diese Form der Qualitätssicherung, die seit 1996 Bestand hat, überhaupt noch zeitgemäß? Nein, findet Prof. Dr. Claudia Kemper, Physiotherapeutin und Gesundheitswissenschaftlerin. Doch das alleinige Abschaffen der Zertifikationspositionen sei auch keine optimale Lösung – eine Aus- und Weiterbildungsreform sei nötig.
© Prof. Dr. Claudia Kemper
Der Sinn der Anforderungen an die Abgabe und Abrechnung von besonderen Maßnahmen in der Physiotherapie ist immer wieder Gegenstand von Diskussionen. Sind die Zertifikatspositionen das, was sie sein sollen, ein effektives Instrument für die Qualitätssicherung im Sinne des § 70 Abs. 1 SGB V? Oder verfehlen sie das Ziel und bedeuten darüber hinaus nur unnötig hohe Weiterbildungskosten für Therapeuten – und Praxisinhaber? „Die Zertifikate kosten sehr viel Geld, aber mehr verdienen Therapeuten dadurch nicht“, weiß Prof. Dr. Claudia Kemper. Und Praxisinhaber können zwar dadurch erst bestimmte Positionen abrechnen, richtig lukrativ ist das aber oft nicht, einige Positionen werden sogar schlechter vergütet als ohne Zertifikat.“ (Mehr dazu lesen Sie hier)
Zu den Maßnahmen, die als Zertifikationsposition gelten, zählen die Manuelle Lymphdrainage und Manuelle Therapie, Krankengymnastik zur Behandlung von zentralen Bewegungsstörungen (bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs nach Bobath und Vojta; nach Vollendung des 18. Lebensjahrs zusätzlich PNF) sowie gerätegestützte Krankengymnastik.

Evidenzbasiertes Arbeiten als Qualitätsmerkmal

Ist man Physiotherapeut, kann man theoretisch bis zur Rente ohne jegliche Weiter- und Fortbildungen durchs Arbeitsleben kommen – gesetzliche Vorgaben zur Weiterbildung, wie etwa bei Ärzten, gibt es nicht. „Hier muss man sich fragen, ob das aus Sicht der Qualitätssicherung wirklich erstrebenswert ist“, sagt Prof. Dr. Kemper. „Beim medizinischen Wissen liegt die Halbwertszeit bei fünf Jahren, auch das therapeutische Wissen entwickelt sich stetig weiter und evidenzbasierte Therapie rückt immer stärker in den Fokus. Doch Therapeuten können diese nur umsetzen, wenn sie sich auch regelmäßig dahingehend fortbilden.“ Das sei aus ihrer Sicht ein Ansatz zur Qualitätssicherung und nicht die Regelungen zu den Zusatzpositionen, so wie sie jetzt bestehen.

Von den Krankenkassen entkoppeltes System

Doch wie könnte eine Alternative zur jetzt bestehenden Regelung aussehen? „Das System, so wie es ist, einfach abzuschaffen, sicher nicht“, ist Kemper der Meinung. „Ebenso wenig, wie einfach eine neue Variante der Zertifikatspositionen einzuführen.“ Im Hinblick auf Qualitätssicherung müsse das gesamte Aus- und Weiterbildungssystem reformiert werden. Die Ausbildung müsse so gestaltet werden, dass danach keine Zertifikatsausbildungen mehr angehängt werden müssen, um in hoher Qualität zu behandeln. Ergänzend dazu biete sich ein Weiterbildungssystem an, das regelmäßig verpflichtend Fortbildungen vorsieht und von den Krankenkassen entkoppelt ist – Stichwort Selbstverwaltung.

Finanzielle Anreize sind der falsche Weg

Es gibt aber auch Gegenstimmen zum Vorstoß, die Zertifikatspositionen abzuschaffen. Man könne schließlich nicht alle Inhalte in die Ausbildung integrieren. Zudem sei es doch klasse, wenn man für den Bereich, in dem man sich fortgebildet hat, extra vergütet werde. Ohne finanzielle Anreize, so die These, würden viele sonst ja gar nicht bereit sein, sich fortzubilden. Prof. Dr.  Kemper sieht das etwas anders: „Meines Erachtens ist es der falsche Weg, mit finanziellen Anreizen zu arbeiten. Was wir brauchen, ist insgesamt mehr Geld im System. Wenn wir qualitativ hochwertige Therapie anbieten, muss diese insgesamt adäquat honoriert werden. Was wir nicht benötigen, ist ein Zertifikat, dass uns hier und da ein paar Cent mehr einbringt.“

Spezialisierung ja – aber sekundär

Sie stellt aber auch in Frage, ob das alleinige Abschaffen der Zertifikationspositionen überhaupt erstrebenswert ist. Haben sich Praxen beispielsweise stark spezialisiert, könnten entsprechende Zusatzzertifikate durchaus sinnvoll sein, etwa im neurologisch-pädiatrischen Bereich oder bei der Lymphdrainage-Therapie. Auch spezialisierte Weiterbildungen müssten zukünftig weiterhin möglich sein. „Die qualitätsgesicherte Ausbildung und damit auch qualitätsgesicherte Versorgung und Therapie muss aber klar im Vordergrund stehen“, so Prof. Dr. Kemper. „Dazu brauchen wir ein entsprechendes System. Zertifikate können da nicht die Lösung sein.“

Hören Sie sich schlau

Mehr Informationen zum Thema Zertifikatspositionen: Hier finden Sie den ganzen Podcast mit Prof. Dr. Claudia Kemper…

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