up|unternehmen praxis

Themenschwerpunkt 3.2020: Zertifikatsleistungen

Risiken und Nebenwirkungen für Praxisinhaber!
Physiotherapeuten haben es von der GKV schriftlich: Die staatlich reglementierte Berufsausbildung reicht nicht aus, um alle Leistungen, die zulasten der GKV verordnet werden können, zu erbringen. Aktuell erwirtschaften sie rund 45 Prozent des GKV-Physiotherapieumsatzes mit Abrechnungsposition, die zwingend eine Zusatzqualifikation der behandelnden Therapeuten vorsehen. Das ist mit erheblichen Risiken und Nebenwirkungen verbunden!
© Jcomp

Zunächst die Risiken

Problem Nummer 1: Wenn ein Arzt eine Zertifikatsleistung verordnet hat, dann muss auch die Zertifikatsleistung erbracht werden. Es ist also unzulässig, eine VO für manuelle Therapie umzudeuten in eine günstigere KG-Verordnung. Es gibt jedoch viele Praxen, die aus falsch verstandener Fürsorge für ihre Patienten solche Umdeutungen vorgenommen haben und zum Dank die Leistung nicht bezahlt bekamen.

Problem Nummer 2: Die Leistungserbringung ist an konkrete Therapeuten gebunden. Wird ein entsprechend qualifizierter Therapeut krank, darf nur ein anderer Mitarbeiter mit Zertifikat übernehmen. Das ist in der Realität jedoch oft nicht umzusetzen. Um die Therapiekontinuität zu wahren, wird die Behandlung von gut qualifizierten Therapeuten übernommen, die allerdings das notwendige Zertifikat nicht besitzen. Im Ergebnis geht der Praxisinhaber an dieser Stelle ein erhebliches wirtschaftliches Risiko ein. Nicht wenige Praxen haben in den vergangenen Jahren jeweils mehrere 10.000 Euro Strafe dafür gezahlt, dass sie gegen die Regeln der Rahmenverträge verstoßen haben.

Problem Nummer 3: Die Bindung an entsprechend zertifizierte Therapeuten verursacht mehr Aufwand bei der Terminplanung und Fristenprüfung – die aber keineswegs bei allen Leistungen entsprechend vergütet wird. Bei Hausbesuchen kommt es noch schlimmer: Soll einen Patient Lymphdrainage und manuelle Therapie erhalten, gibt es regelmäßig Absetzungen durch die Krankenkassen, wenn zwei Therapeuten den Patienten zu Hause behandeln. Bei den Kassen ist man der Meinung, dass es Therapeuten geben müsse, die beide Zertifikate besitzen.

Und nun die Nebenwirkungen

Zwei-Klassen-System: Das Zertifikatstheaters führt zu einer schleichenden Abwertung der „normalen“ Therapie. Denn wenn eine ganze Branche lernt, dass die eigentliche Berufsausbildung nicht ausreicht, um zulasten der GKV zu behandeln, dann ist das keine gute Strategie, um den Berufsstand aufzuwerten und zukünftige Fachkräfte für den Beruf zu begeistern.

Das wirtschaftliche Dilemma: Ärzte lernen schnell, dass ein Therapeut, der ein MT-Zertifikat hat, auch bei einer normalen KG-Verordnung sein Zertifikats-Fachwissen anwendet. Und da normale KG billiger ist, gibt es sogar kassenärztliche Vereinigungen, die ihren Ärzten deshalb empfehlen „geringwertigere“ Leistungen zu verordnen, um Geld zu sparen.

Es könnte noch schlimmer kommen: Wenn auf dem neuen Muster 13 ab Oktober 2020 die Ärzte drei verschiedene Heilmittel verordnen können, wird es nicht lange dauern, bis die KVen ihren Ärzten raten, Verordnungen mit einer Einheit Zertifikatsleistung (z. B. MT) und fünf Einheiten KG, oder vielleicht sogar Massage, auszustellen. So ließe sich ein guter Therapiestart initiieren, der mit großer Wahrscheinlichkeit von Therapeuten über alle Behandlungseinheiten hinweg aufrechterhalten würde.

Ein erster Schritt: Vergütung angleichen

Auf dem Heilmittel-Workshop, den Dr. Roy Kühne im vergangenen Jahr in den Räumen des vdek veranstaltet hat, haben mehrere Kassenvertreter angeboten, die Vergütung aller Physiotherapieleistungen dem Niveau der am besten bezahlten Zertifikatsleistung anzugleichen. Das wäre ein erster, richtiger Schritt aus dem Zertifikatsdilemma. Damit würde man einige der hier vorgestellten Probleme lösen, z. B. Praxisinhaber vor Vertragsverstößen schützen und „wirtschaftliche Optimierung“ der Verordnungen durch Ärzte verhindern.

Noch mehr Argumente, warum Zertifikate abgeschafft gehören, lesen Sie in unseren Schwerpunktartikeln.

Diese Artikel gehören zum Themenschwerpunkt Zertifikatsleistungen:

Das Märchen von rentablen Zertifikatsbehandlungen: Eine Kosten-Nutzen-Aufstellung mit eindeutigem Ergebnis

Zertifikatspositionen in der Physiotherapie: Wie zeitgemäß ist diese Form der Weiterbildungen? 

Let’s talk about: Zertifikate abschaffen

0 Kommentare
Inline Feedbacks
View all Kommentare
0
Wir würden gerne erfahren, was Sie meinen. Schreiben Sie einen Kommentar.x