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„Selbstbestimmtes Handeln gehört zur DNA der Freien Berufe“ – Interview mit Markus Lehrmann, Hauptgeschäftsführer der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen

„Selbstbestimmt statt fremdbestimmt“ – das war das Motto der 2. Open-Space-Konferenz am 8. September in Essen. Um die anwesenden Therapeuten darauf einzustimmen, gab Dipl.-Ing. Markus Lehrmann, Stadtplaner und Hauptgeschäftsführer der Architektenkammer NRW, in einem Impulsreferat Einblicke in die Grundsätze und Arbeitsweise einer Berufskammer. Im Interview erklärt er, warum diese Form der Selbstverwaltung auch für Heilmittelerbringer attraktiv ist.
© T. Saltmann/Architektenkammer NRW

Herr Lehrmann, Sie haben auf einer Veranstaltung von Therapeuten über Ihre Erfahrungen als Hauptgeschäftsführer einer Kammer gesprochen. Warum waren Sie dazu bereit?

LEHRMANN: Um die Erfahrungen aus einer Berufskammer zu teilen, bin ich der Einladung gerne gefolgt. Außerdem bin ich Überzeugungstäter. Ich hoffe, das hat man gemerkt. Selbstbestimmtes Handeln gehört zur DNA der Freien Berufe. Es ist nicht nur eine Chance, sich professionell und selbstverantwortlich zu organisieren, sondern ein klarer Auftrag. Ein Auftrag, der sogar verfassungsrechtlich abdeckt ist, denn das Grundgesetz bietet gemäß einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2001 neben der kommunalen Selbstverwaltung ausdrücklich auch die berufliche Selbstverwaltung an. Berufsgattungen, die bisher von diesem Angebot keinen Gebrauch machen, haben also einen erheblichen Nachholbedarf. Der eingeschlagene Weg der Therapeuten ist insofern konsequent.

Dennoch sind nicht alle Therapeuten vom Thema Kammer überzeugt. Was leistet Ihre Kammer für ihre Mitglieder?

LEHRMANN: Ganz einfach: Selbstbestimmtheit! Über sämtliches Handeln, jede berufspolitische Position sowie den Umfang des Dienstleistungs- und Beratungsangebotes wird durch gewählte, ehrenamtlich tätige Repräsentanten entschieden. Die Kammer gibt dem Berufsstand damit eine parlamentarisch abgesicherte Stimme. Der ehrenamtlich arbeitende Präsident vertritt die Interessen nach außen. Das leistet unsere Kammer für rund 32.000 Architekten und Stadtplaner und so machen es die Architektenkammern in den anderen Bundesländern auch.

Gibt es keine Berufs- oder Interessenverbände, die diese Aufgaben übernehmen könnten? Welche Vorteile hat die Kammer-Lösung?

LEHRMANN: Glücklicherweise gibt es eine Vielzahl von Berufs- und Interessenverbänden. Auf diese ist das System beruflicher Selbstverwaltung unbedingt angewiesen. Um stark zu sein, wird am Ende jedoch eine einheitliche Position gebraucht. Daher funktionieren erfolgreiche Berufskammern nach dem Prinzip der Parteiendemokratie. Verbände stellen sich einer Wahl, im Parlament bilden sich Mehrheiten, Mehrheiten ringen um Positionen. Auf diese Weise wurde im Übrigen auch die Architektenkammer Nordrhein-Westfalen 1971 durch eine gemeinsame Initiative von Verbänden gegründet. Seitdem haben Politik und Öffentlichkeit einen gewichtigen Ansprechpartner. Besser kann man Demokratie nicht gestalten.

Was kann eine Kammer, was ein Verband nicht kann?

LEHRMANN: Kammern wirken entbürokratisierend, denn den Kammern können Kompetenzen verliehen werden, die sonst nur Behörden innehaben. Insofern lässt sich die Verwaltung der Rechte und Pflichten der Mitglieder einer Kammer effizient außerhalb der staatlichen Verwaltung organisieren, also möglichst unbürokratisch. Der Staat zieht sich in diesem Fall sogar auf die reine Rechtsaufsicht zurück. Kammern können auf diesem Wege beispielsweise Berufsordnungen entwickeln und vollziehen. Der Weg zur Gründung ist daher von Anfang mit einem politischen Diskurs verbunden. Eine Kammer als Körperschaft des öffentlichen Rechts kann nämlich nur durch Gesetz oder Rechtsverordnung gegründet werden. Der Gesetzgeber muss also überzeugt werden.

Welche Rechte hat man als Mitglied Ihrer Kammer? Welche Pflichten sind mit der Mitgliedschaft verbunden?

LEHRMANN: Wer Mitglied der Architektenkammer wird, darf die Berufsbezeichnung „Architekt/in“, „Innenarchitekt/in“, „Landschaftsarchitekt/in“ oder „Stadtplaner/in“ führen. Die Architektenkammer schützt also den Titel. Im Gegenzug kann sich der Bauherr darauf verlassen, dass sein Auftragnehmer wirklich ein Architekt ist. Wir nehmen jedoch keinen Einfluss auf die Berufsausübung! Wer sich nicht als Architekt bezeichnen darf, kann trotzdem als Planer tätig werden. Allerdings muss er dann auch auf das Recht verzichten, Bauanträge erstellen zu dürfen. Diese werden von den Bauordnungsämtern nur angenommen, wenn die Bauvorlageberechtigung vorgewiesen werden kann.

Unsere Mitglieder lassen sich auch auf Pflichten ein. So muss sich jeder Architekt bzw. Stadtplaner, ob selbstständig oder angestellt, in unserem Versorgungswerk rentenversichern. Er zahlt dann nicht mehr in die gesetzliche Rentenversicherung ein. Unsere Mitglieder haben sich zudem regelmäßig fortzubilden. Freischaffende Architekten und Stadtplaner müssen außerdem eine Berufshaftpflichtversicherung nachweisen. Übrigens: Mit diesen Berufspflichten liefern wir die Blaupause für die aktuelle politische Diskussion über die Altersversorgung für alle und den Verbraucherschutz.

Wer darf Mitglied in Ihrer Kammer sein?

LEHRMANN: Mitglied in der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen kann werden, wer in NRW wohnt oder arbeitet, den Abschluss eines Studiums der Architektur, der Innenarchitektur, der Landschaftsarchitektur oder des Städtebaus mit einer Mindestregel-Studienzeit von vier Jahren nachweist und nach dem Studium eine zweijährige praktische Tätigkeit absolviert hat. Zudem muss parallel zur berufspraktischen Zeit eine Weiterbildung im Umfang von insgesamt 80 Unterrichtsstunden absolviert werden. Die Zeit nach dem Studium ist also im weitesten Sinne Teil der Ausbildung.

Was sagen die Mitglieder zu ihrer „unfreiwilligen“ Mitgliedschaft?

LEHRMANN: Es gibt bei den Architektenkammern keine unfreiwillige Mitgliedschaft. Es kann jeder selbst entscheiden, ob er die Vorteile der Listung in der Architektenkammer nutzen will oder nicht. Es ist übrigens in aller Regel einfacher auszutreten, als einzutreten. Berufskammern unterscheiden sich damit fundamental von den Wirtschaftskammern IHK und HWK. Hier wird man automatisch Mitglied, sobald man ein Gewerbe betreibt. Wahlmöglichkeiten gibt es dort nicht.

Was kostet die Mitgliedschaft in einer Kammer? Wer legt die Beiträge fest?

LEHRMANN: Die Mitglieder zahlen jährlich nur so viel, wie für die Aufgaben der Kammer gebraucht wird. Über das Maß der Aktivitäten der Kammer und die Größe der hauptamtlich arbeitenden Geschäftsstelle entscheidet das Parlament bzw. der durch das Parlament gewählte Vorstand. Derzeit liegt der Jahresbeitrag für Selbstständige bei rund 290 Euro. Angestellte zahlen rund 210 Euro jährlich. Ein Blick in die Kammerlandschaft zeigt: Große Kammern sind regelmäßig günstiger als kleine Kammern.

Wie können Mitglieder auf die Kammer Einfluss nehmen und sich für ihre Interessen einsetzen?

LEHRMANN: Es kann nur der gestalten, der sich über das Parlament Gehör verschafft. Und hier hat der Einzelne naturgemäß mehr Chancen, wenn er sich über einen Verband einer größeren Gruppe anschließt. Diese Regel gilt auch für die Architektenkammer. Daher ist der Aufruf täglich gültig: Engagiert Euch, werdet Mitglied in Verbänden, stellt Euch der Wahl und gestaltet als Delegierter der Vertreterversammlung die Arbeit der Kammer!

Was haben Sie den Therapeuten auf der Open-Space-Konferenz bezüglich einer Kammer geraten?

LEHRMANN: Gegenwärtig sind die politischen Rahmenbedingungen für die Gestaltung beruflicher Selbstverwaltung auf Bundes- und Länderebene gut. Gerade die therapeutischen Berufe haben derzeit einen Platz in der politischen Debatte. So planen inzwischen bundesweit nach einer Umfrage des nordrhein-westfälischen Gesundheitsministeriums einige Bundesländer Zuschüsse für nichtakademische Gesundheitsberufe. Zudem konnte man jüngst den politischen Appell des NRW-Gesundheitsministers Karl-Josef Laumann vernehmen, der sagte, dass die Branche eine eigene Stimme braucht. Dieses positive Umfeld sollte den Therapeuten Ansporn sein.

 

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