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Mehr Verantwortung, mehr Mitsprache, mehr Einfluss – Selbstverwaltung als Voraussetzung für nachhaltige Veränderungen

Zwei Posterwände bringen auf den Punkt, wie sich die Teilnehmer auf der Open-Space-Konferenz ihre Zukunft vorstellen: „Therapeut als Traumberuf“ zeigt, was sie sich wünschen. „Washindert mich daran, in Ruhe zu arbeiten?“ listet die aktuellen Störfaktoren im Alltag der Heilmittelerbringer, die es zu beseitigen gilt. Die einzelnen Themen griffen verschiedene Gruppen in der Workshop-Phase auf, diskutieren darüber, formulierten Lösungsvorschläge, Ziele und offene Fragen. Das Thema Selbstverwaltung schwebte dabei über allem, denn aktuell scheinen die nötigen Strukturen zu fehlen, um die angestrebten Veränderungen auch wirksam umzusetzen.
© Buchner

Es ist schon bezeichnend, dass unter der Überschrift „Was hindert mich daran, in Ruhe zu arbeiten?“ ein Einzelkämpferboot zu sehen ist, das schwere Lasten hinter sich herzieht, die es langsam zum Sinken bringen:

  • „Ich muss meine Ausbildung und Fortbildungen selbst zahlen.“
  • „Die Bürokratie nimmt zu und keiner nimmt sie mir ab.“
  • „Andere bestimmen, wie ich zu arbeiten habe.“
  • „Zu wenig Zeit für die Behandlung“
  • „Geldsorgen – jetzt und später“

Den Gegenentwurf präsentiert „Therapeut als Traumberuf“. In einer paradiesischen Umgebung lässt sich der Alltag der Heilmittelerbringer so beschreiben:

  • „Hier kann ich in Ruhe und unter optimalen Rahmenbedingungen arbeiten.“
  • „Hier habe ich Zeit für Therapie.“
  • „Sich fortbilden lohnt sich!“
  • „Hier definiere ich Dauer und Frequenz meiner Behandlung selbst.“
  • „Interdisziplinäres Arbeiten wird bezahlt.“
  • „Meine Altersversorgung bereitet mir keine Kopfschmerzen.“
  • „Hier erhalte ich ein angemessenes Honorar.“
  • „Hier befinde ich mit auf Augenhöhe mit anderen Akteuren im Gesundheitswesen.“
  • „Für die Bürokratie habe ich professionelle Angestellte.

Die Workshop-Gruppen beschäftigten sich dann intensiv mit den Einzelthemen, wie Vergütung, Zulassungsverfahren, mehr Verantwortung in der Versorgung, Ausbildung und ganz wichtig, Selbstverwaltung und politische Mitsprache auf Augenhöhe.

Vergütung: Branchentarifvertrag, Punktesystem, mehr Transparenz

Die Ziele sind klar formuliert: Praxisinhaber erhalten von der GKV Honorare, die es ihnen ermöglichen, ihre Angestellten angemessen zu bezahlen. Zudem soll sich die Branche auf verbindliche Vergütungsstrukturen einigen. Die Verbände sollen ihre Verhandlungsziele mit ihrem Mitgliedern diskutieren, deren Wünsche umsetzen und sich bei den Verhandlungen mit anderen Verbänden zu Teams zusammenschließen. Es kam auch die Frage auf, ob ein Branchentarifvertrag zu einer besseren Vergütung führen könnte. Aber wer soll den aushandeln?

„Fachliche Qualität muss bezahlt werden“

Eine andere Gruppe kann sich neben einer höheren Basisbezahlung auch vorstellen, ein Punktesystem für geleistete Fortbildungen einzuführen und eine entsprechend bessere Vergütung daran zu knüpfen. Eng verbunden mit angemessenen Honoraren war hier auch der Qualitätsaspekt. Gegenüber Patienten aber auch gegenüber den Ärzten müsse die Qualität der Leistungen transparenter gemacht werden. Doch dafür fehlen oft die finanziellen
Mittel.

Mit dem Thema Therapiequalität befasste sich noch eine weitere Gruppe. Ihr Ziel: Die Therapeuten legen ihre Qualitätsstandards selbst fest. Zum Beispiel indem die Bezeichnung Fachtherapeut als geschützter Begriff eingeführt wird – analog zu den Fachärzten und unabhängig von der GKV-Zulassung. Denn aktuellwerde die Qualität durch GKV-Verträge und außerhalb der GKV-Zulassung gar nicht geregelt. Offene Fragen: Wer vergibt das Recht, eine solche Bezeichnung zu führen, und wer überwacht, dass die damit verbunden Verpflichtungen auch wirklich eingehalten werden? Fragen, die so oder so ähnlich bei fast jedem Thema auftauchten.

Zulassungsbedingungen selbst bestimmen

Das Motto der Open-Space-Zukunftskonferenz „Selbstbestimmung statt Fremdbestimmung“ traf auch die Kernforderung der Workshop-Gruppe, die sich mit Zulassungsverfahren und -bedingungen auseinandersetzte: „Therapeuten legen selbst fest, wie eine Praxis aussehen muss, damit die Qualität gesichert ist.“ Eine weitere Gruppe sah den Grund dafür, dass die Krankenkassen und nicht die Therapeuten die Zulassung regeln, im Fehlen einer eigenen Berufsordnung. Wie sich das ändern ließe? Der Gesetzgeber überträgt die Aufgabe zur Schaffung einer Berufsordnung an die Selbstverwaltung der Therapeuten und legt fest, dass sich alle daran halten müssen. Und wieder die offenen Fragen: Wer legt die Berufsordnung fest, überwacht die Einhaltung und verhängt, wenn nötig, Sanktionen?

Mehr Verantwortung übernehmen

Wie bei den Zulassungsbedingungen fordern die Therapeuten auch bei der Behandlung ihrer Patienten mehr Verantwortung: Blankoverordnung oder noch besser gleich den Direktzugang. Es wurden die Vor- und Nachteile erörtert und gegenübergestellt. Ein Weg zu mehr Eigenständigkeit in der Zukunft ist die Akademisierung. Gleich mehrere Probleme sollen sich damit lösen lassen: Akademisierung sei die Grundlage einer angemessenen Bezahlung
und für den Direktzugang. Außerdem biete sie die Basis für eine fundierte Therapieforschung. Egal, ob Schule oder Universität, dass die Ausbildung kostenlos sein müsse – schon allein um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken
– war allgemeiner Konsens. Auch Ausbildungsgesetze und Prüfungsordnungen sollten in den Händen der Therapeuten liegen. Doch wer hat die Legitimation eine solche Reform umzusetzen?

Selbstverwaltung als Voraussetzung für Veränderungen

Die Probleme der Branche sind also bekannt, die Ziele mehr oder weniger klar gesteckt. Es bleibt aber immer wieder die Frage, wie sie sich umsetzen lassen. Forderungen nach mehr Verantwortungund Mitspracherecht auf Augenhöhe sind allgegenwärtig. Und so zog sich das Thema Selbstverwaltung wie ein roter Faden durch die Zukunftskonferenz. Zu Recht: Therapeuten sind der viertgrößte Arbeitgeber im Gesundheitswesen, aber nicht im G-BA vertreten. Sie sind die einzigen Heilberufe ohne Selbstverwaltung und damit ohne Übertragung öffentlich-rechtlicherAufgaben. Kurz: Die Bedeutung der Therapeuten im Gesundheitswesen steht in einem krassen Missverhältnis zu ihrer politischen Beteiligung.

Eine Kammer als gemeinsame, demokratische Interessenvertretung aller Therapeuten könnte das ändern. Auf einem Poster dargestellt als Schiff mit großen Segeln bringt die „Selbstverwaltung“ die Therapeuten zur eingangs beschriebenen Trauminsel. Alle in einem Boot statt Einzelkämpferboot, so lassen sich neue Berufsbilder
und eine interprofessionelle Praxisorganisation schaffen, ist Geld für Image-Kampagnen vorhanden, die auch den Nachwuchs ansprechen. Durch die demokratische Legitimation der Selbstverwaltung verbessert sich die Außenwirkung und sie sorgt für mehr Anerkennung, etwa durch professionelle Lobbyarbeit.

Doch wie lassen sich die Vorteile anderen Therapeuten gegenüber vermitteln? Auch dazu gab es viele Ideen: Diskussionsgruppen bilden, Artikel in Fachzeitschriften dazu veröffentlich, Netzwerke bilden, Fördervereinen beitreten, Social Media-Kanäle nutzen, u. v. m. Für alle Interessierten ist auch die Website der Initiative Therapeutenkammer eine gute Anlaufstelle. Außerdem wird am 8. November 2018 eine Multiplikatorenschulung
stattfinden.

Gemeinsam mehr bewegen

Auch wenn mitunter der Eindruck entsteht: Kammer und Verbände schließen sich nicht gegenseitig aus. Ganz im Gegenteil, sie profitieren voneinander. So erhalten die Verbände über eine Kammer etwa die notwendige demokratische Legitimation, die ihnen allein durch ihre Mitgliederzahlen fehlt. Denn nur etwa ein Drittel der Therapeuten sind tatsächlich Mitglied in einem Verband. Mehr über das Zusammenwirken von Kammer und Verbänden erklärt übrigens auch Markus Lehrmann, Hauptgeschäftsführer der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen auf den folgenden Seiten in einem Interview. Er erläutert unter anderem am Beispiel seiner Kammer, welche Rechte und Pflichten Mitglieder einer Kammer haben und warum er beim Thema Selbstverwaltung Überzeugungstäter ist.

 

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