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Bewegungstherapie beschert Krebspatienten mehr Lebensqualität

Physiotherapeutin arbeitet erfolgreich mit der Onkologischen Trainingstherapie
Für jeden Menschen ist die Diagnose Krebs zunächst ein Schock. „Warum gerade ich?“ lautet meist die typische Frage. Viele fühlen sich mit der Situation überfordert und verfallen in Resignation. Doch aufzugeben ist nach Ansicht der Physiotherapeutin Nina Rekert keine Option. Vielmehr sollte der Erkrankung aktiv begegnet werden - beispielsweise mit Hilfe der Onkologischen Trainings- und Bewegungstherapie (OTT®), mit der die Praxisinhaberin seit 2018 erfolgreich arbeitet.
© kate_sept

Die OTT® ist ein bewegungstherapeutisches Konzept, mit dem Krebspatienten vor, während und nach der medizinischen Therapie sowie in einem chronischen Stadium unter Anleitung zertifizierter Therapeuten trainieren können. Nach aktueller wissenschaftlicher Datenlage reduziert das die Nebenwirkungen der Krebsbehandlung wie etwa Fatigue oder Polyneuropathie. Da jede Krebserkrankung andere Symptome und Problematiken mit sich bringt, wird das Training auf jeden Einzelnen und seine körperliche Verfassung ganz individuell angepasst. Und es startet erst, wenn der behandelnde Arzt die Unbedenklichkeit bescheinigt hat.

Den Anstoß für das spezielle Training gab ein Patient

Den Anstoß für dieses spezielle Training gab einer ihrer Patienten, erinnert sich Nina Rekert. Der 59-Jährige hatte 2017 die Diagnose Leberkrebs erhalten. Die Ärzte hatten ihm noch ein halbes Jahr gegeben. Sein Wunsch war es, die verbliebene Lebenszeit so lange wie möglich selbständig zu leben. Er bat seine Therapeutin um Hilfe. Die damals 39jährige Praxisinhaberin machte sich Gedanken, wie sie seiner Bitte nachkommen konnte. Sie recherchierte im Internet, und war enttäuscht, wie wenig Informationen es zu diesem Thema für Physiotherapeuten gab. Schließlich landete sie auf der Website des Centrums für Integrierte Onkologie Köln Bonn (CIO) der Uniklinik Köln und entdeckte das OTT®-Konzept. Sie meldete sich sofort zur einwöchigen zertifizierten Fortbildung an und legte anschließend gleich los – die entsprechenden Geräte für das Training waren in ihrer Praxis bereits für ihre orthopädischen Patienten vorhanden.

Training läuft über zwölf Wochen

Nach einem ausführlichen Beratungsgespräch und einer Eingangsdiagnostik mit ihrem ersten Patienten startete Nina Rekert die spezielle Bewegungstherapie. Das Basistraining besteht aus Kraft- und Ausdauertraining und wird je nach Nebenwirkung durch spezielle Module ergänzt. Nach zwölf von insgesamt 24 Einheiten wird eine erste Zwischenbilanz gezogen und das Training – wenn notwendig – angepasst. Über insgesamt zwölf Wochen läuft die Therapie, trainiert wird in der Regel zweimal pro Woche für eine Stunde. „Unser Ziel ist es“, so die Therapeutin, „unsere Patienten so weit vorzubereiten, dass sie anschließend ein eigenständiges Training fortsetzen können.“

Private Krankenversicherungen zahlen die Therapie

Die Kosten werden in einer Einzelfallentscheidung von der Kasse übernommen – wenn der Patient „Glück“ hat, so die Erfahrungen der Praxisinhaberin. „Das läuft in der Regel bei privaten Krankenversicherungen gut, aber schwierig wird es bei den gesetzlichen.“ Hier bestehe das Problem, dass die Krankenkassen nicht wissen, „aus welchem Topf sie die OTT® bezahlen sollen“. Es gebe aber inzwischen vergleichbare Heilmittel, wie Krankengymnastik am Gerät (KGG). Einziges Problem: Die Verordnung gilt meist nur für sechs Einheiten und kann bis zu 18 Einheiten verlängert werden.

Schlechte Erfahrungen bei Kostenübernahme durch die GKV

Die Praxisinhaberin nahm die OTT® in ihren Leistungskatalog auf – seit ihrer Kassenzulassung im Jahr 2018 auch für gesetzlich Versicherte. Doch der bürokratische Aufwand entmutigte sie zunehmend. Und nach ihren schlechten Erfahrungen bei der Kostenübernahme durch die GKV ließ sie ihr Angebot für etwa ein Dreivierteljahr ruhen, bevor sie einen neuen Versuch startete. „Ich finde die OTT® wirklich gut und bin überzeugt, dass das Training die Lebensqualität der Krebspatienten verbessert.“

Vor Corona-Pandemie fünf OTT®-Gruppen

Sie entwarf einen Flyer, warb bei Ärzten für das Konzept und hatte bis zum Beginn der Corona-Pandemie fünf OTT®-Gruppen mit maximal fünf Patienten. „Aktuell baue ich die Gruppen wieder auf“, erklärt sie. Das Online-Angebot, das sie zwischenzeitlich eingeführt hatte, wurde nicht so angenommen. „Eine virtuelle Betreuung von Krebspatienten ist problematisch, die persönliche Begegnung ist einfach wichtiger – sowohl für mich wie auch für die meisten Patienten!“ Das Online-Angebot hat sie weiter im Programm – allerdings nur als Ergänzung für ihre Patienten.

Schicksale der Krebspatienten belasten

Mit Krebspatienten zu arbeiten, so Nina Rekert, war eine ganz bewusste Entscheidung, nachdem sie schon während ihres ersten Praktikums Erfahrungen mit diesen Patienten gemacht hatte. „Aber die Arbeit ist oftmals schwierig, die Schicksale belasten, und man sollte versuchen, die Probleme der Patienten nicht mit nach Hause zu nehmen.“ Dennoch hat sie diesen Schritt nie bereut, ist nach wie vor „mit viel Herzblut und Leidenschaft“ dabei und immer noch von der OTT® begeistert – wenn auch nicht aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Obwohl durch dieses Angebot mehr Patienten den Weg in ihre Praxis fanden, ist der Mehraufwand groß und hat nicht in gleichem Maße zu mehr Einnahmen geführt. Bislang ist sie die Einzige mit der Zertifizierung in ihrem Team, aber sie überlegt derzeit, einen ihrer vier Mitarbeiter zu der OTT®-Fortbildung zu schicken.

Höherer Bekanntheitsgrad der OTT® wünschenswert

Sie würde sich wünschen, dass die OTT® „einen noch höheren Bekanntheitsgrad erreichen würde – sowohl bei Patienten als auch bei Ärzten“. Am besten sollten die Patienten gleich nach der Diagnose oder spätestens mit Beginn der medizinischen Therapie damit beginnen. Und natürlich wäre eine flächendeckende Versorgung mit der OTT® in Deutschland wünschenswert – „natürlich mit einer unproblematischen Kostenübernahme durch alle Kassen!“

„Leute, die trainieren, leben länger“, ist Nina Rekert überzeugt. So auch ihr erster Patient, der trotz der Prognose von einem halben Jahr noch drei Jahre lebte und sogar wieder berufstätig war. „Ich habe ihn bis zum Schluss begleitet…“

Onkologische Trainings- und Bewegungstherapie (OTT®) als ergänzende Standardtherapie für Krebspatienten

Die Wirksamkeit von Bewegungstherapie in der Onkologie wird zunehmend wissenschaftlich nachgewiesen. Inzwischen wird der Onkologischen Trainings- und Bewegungstherapie (OTT®) auch in verschiedenen S3‐Leitlinien eine bedeutende Rolle im Behandlungsprozess onkologischer Patienten zugeschrieben. Erklärtes Ziel ist es, sie als ergänzende Standardtherapie während aller Phasen der medizinischen Behandlung von Krebspatienten zu etablieren.

Entwickelt wurde das Projekt im Jahr 2012 in enger Zusammenarbeit von Sportwissenschaftlern und Medizinern im Centrum für Integrierte Onkologie Köln Bonn (CIO) der Uniklinik Köln in Kooperation mit der Deutschen Sporthochschule Köln. Seit 2015 finden an der Uniklinik Köln regelmäßig einwöchige Fortbildungen für Sport‐ und Physiotherapeuten statt, seit 2018 bietet auch das Unternehmen MYAIRBAG – Training gegen Krebs Fortbildungen an – mit dem Ziel, eine wohnortnahe Versorgung mit OTT® aufzubauen.

Die Kosten für die OTT®-Fortbildung betragen knapp 2.000 Euro, der Refreher-Kurs nach jeweils zwei Jahren kosten 285 Euro. Vorerst finden alle Fortbildungen online statt.

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