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Der schweigsame Physio-Patient

Wie sich das Coronavirus auf die Kommunikation und die Therapie auswirkt
Durch das Coronavirus hat sich der Praxisalltag sehr verändert. Nicht nur das Terminmanagement wurde in vielen Praxen auf den Kopf gestellt. Auch der Umgang mit den Patienten hat sich aufgrund der Kontaktbeschränkung und der allgemeinen Maskenpflicht sehr gewandelt. Aktuelle Bestimmungen, Verbote und auch neue Verhaltensnormen haben zur Folge, dass wir distanzierter handeln müssen. Auf der anderen Seite sind die veränderten Gegebenheiten aber auch eine Chance, unser Handeln analytischer, kreativer und effektiver zu gestalten.
© amriphoto

Das Coronavirus hat dafür gesorgt, dass nonverbale und verbale Kommunikation anderen Normen unterstellt worden ist. Nehmen wir als Beispiel das Händeschütteln. Diese Geste ist zur Begrüßung komplett aus dem Alltag verschwunden, bzw. sogar zum absoluten Tabu geworden – und damit auch ein wichtiges Kommunikationsinstrument. Denn das Händeschütteln ist mehr als nur eine Geste. Es bietet die Möglichkeit, etwas über den Patienten bzw. die aktuelle Gefühlslage zu erfahren. Wie ist die Handhaltung? Wie fest ist der Händedruck? Ist die Hand schwitzig? Ein Händedruck schafft zudem ein Gefühl der Nähe. Ist er sonst ganz normal gewesen und fällt auf einmal weg, kann das von Anfang an für eine gewisse persönliche Distanz sorgen.

„Mund-Nase-Schutz“ als kommunikative Barriere

Die verbale und nonverbale Kommunikation ist ein sehr wichtiger, wenn nicht sogar der wichtigste Bestandteil der psychischen und sozialen Analyse des Patienten. Der Mund-Nase-Schutz stellt hier jedoch eine große Barriere dar. Für die nonverbale Kommunikation spielt unsere gesamte Mundpartie eine große Rolle. Ist jedoch fast das gesamte Gesicht verdeckt, können wir nicht mehr eindeutig erkennen, ob der Patient lächelt, die Lippen angespannt aufeinanderpresst oder ein trauriges Gesicht macht. Die Mimik wird auf die Ausdrucksform der Augen reduziert, die Gesten des Körpers werden stärker wahrgenommen. Spiegeln, was für die Behandlung ein wichtiges Instrument ist, wird fast unmöglich, wodurch wir Emotionen des Gegenübers nicht mehr oder nur bedingt deuten können.

Auch die verbale Kommunikation hat sich durch den MNS verändert. Vielen Patienten fällt das Atmen schwer und somit wird automatisch die Redemenge gedrosselt. Zudem sind die Lautstärke, Klangfarbe und deutliche Aussprache verzerrt. Auch das Lippenlesen ist nicht mehr möglich. Besonders bei schwerhörigen Patienten erschwert dieser Verlust der optischen Kontrolle das miteinander Reden noch viel mehr.

Nur solange wie wirklich nötig

Doch nicht nur die Kommunikation leidet unter dem MNS, sondern auch das Wohlbefinden der Patienten. Viele empfinden das Tragen als sehr unangenehm. Das Atmen fällt schwer, es wird sehr schnell stickig und warm unter der Maske und bei Brillenträgern beschlagen oft die Gläser. Diese negativen Empfindungen sorgen dafür, dass viele Patienten die Zeit in der Praxis auf ein absolutes Minimum reduzieren. „Ich bin froh, wenn ich hier raus bin und dieses Ding wieder vom Gesicht nehmen kann“, ist kein seltener Satz im Praxisalltag.

Denken Sie um

So wenig wie möglich, so viel nötig – da das Coronavirus auch über das Sprechen übertragen werden kann, sollte aktuell das Gesprächspensum auf ein Minimum reduziert werden. Wir benötigen also eine direkte und schnelle Analyse unseres Patienten, um genau und adäquat screenen, befunden und eine Anamnese erstellen zu können.

  • Bitten Sie die Patienten, den Anamnesebogen vor dem Praxisbesuch auszufüllen und Ihnen diesen vor dem Termin wieder zukommen zu lassen – ob per E-Mail, Post oder persönlichen Einwurf. Gestalten Sie den Bogen einfach und dennoch aussagekräftig. Lassen Sie die Patienten etwa ein Körperbild ausmalen und die Schmerzart bestimmen (stechend, ziehend, intervall, konstant, …) und bitten Sie sie auch, Angaben dazu zu machen, was sie bisher dagegen getan haben, ob es ein bekanntes Problem ist und was bisher geholfen oder auch nicht geholfen hat.
  • Da durch die veränderte Kommunikation – verbal und nonverbal – ein wichtiges Instrument zur Einschätzung des Wohlbefindens wegfällt, ist es wichtig, den Patienten zu Beginn der Therapie bewusst zu fragen, wie es ihm heute geht.
  • Fertigen Sie zudem einen Katalog mit kurzen, direkten Screening-Fragen an, anhand dessen jeder Therapeut zügig den Ist-Zustand erfragen kann.

 

Passen Sie auch Ihre eigene Kommunikation an: Unterstützen Sie das Gesprochene nonverbal mehr mit den Armen und Händen, sprechen Sie deutlicher und lauter und lachen Sie hörbar – aber wirklich nur dann, wenn es echt ist. Versuchen Sie zudem, den Patienten den Besuch bei Ihnen trotz der Unannehmlichkeiten, der MNS mit sich bringt, so angenehm wie möglich zu machen. Achten Sie noch stärker als zuvor auf eine freundliche, einladende und informative Gestaltung der gesamten Praxisräume und sorgen Sie für eine angenehme und persönliche Atmosphäre während der Behandlung – etwa durch lustige Sprüche an der Wand oder einem angemalten Mundschutz, je nach Zielgruppe.

Positive Aspekte wahrnehmen

Die Krise ist ein Sprung ins kalte Wasser, mit vielen Unsicherheiten und neuen Barrieren. Gleichzeitig bietet sie aber auch die Chance, die bisherigen Vorgehensweisen zu überdenken, kreativ zu werden und bis dato geringer genutzte Fähigkeiten zu entdecken oder zu verbessern. Durch die aktuellen Gegebenheiten etwa lernen wir, schnell und effektiv die Patientenproblematik zu analysieren. Effektiver gestaltet sich oft auch die Behandlung von sehr kommunikativen Patienten – der Redefluss wird durch den MNS und auch die Vorgaben, dass so wenig wie möglich geredet werden sollte, gedrosselt. Bei sehr gesichtsnahen Therapien hat der MNS noch einen weiteren Vorteil: Gerüche werden etwas gefiltert. Denken wir nur mal an all jene Patienten, die die Mundhygiene vernachlässigen, ein knoblauchreiches Essen zu sich genommen haben oder vor der Behandlung noch eine Zigarette geraucht haben.

Ganz speziell für alle Sportler unter Ihnen hat das ständige Tragen des MNS einen noch ganz anderen positiven Effekt: Es wirkt sich auf die Ausdauer aus, da durch die häufig vermehrte CO2-Produktion ein Zustand nahe dem Höhentraining hergestellt wird.

Hinter die Fassade blicken

Die Krise ist bei vielen Menschen mit großen Veränderungen einhergegangen. Kurzarbeit, fehlende Kinderbetreuung, der Partner, der viel Zuhause und unzufrieden mit der allgemeinen Situation ist, Homeoffice oder vielleicht sogar Arbeitslosigkeit – all diese Faktoren können Stresssituationen für den Patienten darstellen. Dieser Stress kann zum Beispiel dazu führen, dass Schmerzen anders wahrgenommen werden und Heilungsphasen anders als gewohnt verlaufen. Bedenken Sie diesen Aspekt bei der Kommunikation und passen Sie ggf. die Behandlung entsprechend an.

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