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Doppelbelastung Job & Pflege

Was Praxisinhaber davon haben, pflegende Angehörige individuell zu unterstützen
2,5 Millionen Menschen pflegen ihre Angehörigen zu Hause. Jeder vierte davon reduziert seine Arbeitszeit oder gibt den Job ganz auf. Das geht aus dem Pflegereport 2018 hervor. Der Grund: Vielen ist es auf Dauer einfach nicht möglich, beides zu vereinbaren. Wie gut Betroffene diese Mammutaufgabe stemmen, hängt nicht nur vom Umfang der staatlichen Unterstützung ab, sondern auch davon, wie Sie als Chef mit der Situation umgehen. Wer hier engagiert handelt, hält wertvolle Mitarbeiter und macht sich zudem attraktiv für neue.
© Tetiana Garkusha

Mit dem Thema Pflege beschäftigten sich die meisten erst, wenn sie selbst davon betroffen sind. Daher ist vielen auch gar nicht bewusst, wie einnehmend die Aufgabe für die pflegenden Angehörigen ist und welch große Belastung sie bedeutet. Laut Pflegereport 2018 bestimmt die Pflege für 85 Prozent der Betroffenen tagtäglich das Leben. Die Hälfte von ihnen kümmert sich sogar mehr als zwölf Stunden täglich um ihren Liebsten – und das oft zusätzlich zum Job und zur Familie.

Pflegezeit- und Familienpflegezeitgesetz

Um Betroffenen die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf zu erleichtern, haben sie verschiedene gesetzliche Ansprüche. Sie sind im Pflegezeitgesetz (PflegeZG) und im Familienpflegezeitgesetz (FPfZG) geregelt. Es lohnt sich, diese zu kennen. Denn aus ihnen geht unter anderem hervor, welche Freistellungsmöglichkeiten Ihren Beschäftigten zustehen. Hier ein Überblick:

1. Kurzzeitige Arbeitsverhinderung (§ 2 PflegeZG)

Kommt es zu einem akuten Pflegefall eines nahen Angehörigen, können sich Arbeitnehmer bis zu zehn volle Arbeitstage freistellen lassen, um sich um die Akutpflege oder die Organisation der Pflege zu kümmern. Diesen Anspruch können Ihre Mitarbeiter kurzfristig ankündigen und in Anspruch nehmen, denn plötzliche Pflegefälle sind einfach nicht planbar. Wichtig ist jedoch, dass sie Sie so schnell wie möglich darüber informieren und Ihnen mitteilen, wie lange die Freistellung dauern soll, sprich ob sie die vollen zehn Tage ausschöpfen möchten oder weniger ausreichen.

Für Praxisinhaber wichtig:

  • Sie müssen unabhängig von der Praxisgröße jedem Mitarbeiter die kurzzeitige Pflegezeit gewähren ­– auch 450-Euro-Kräften.
  • Sie können von Ihren Mitarbeitern fordern, eine Bescheinigung eines Arztes vorzulegen, in der er bestätigt, dass der Angehörige pflegebedürftig ist und eine kurzfristige Arbeitsbefreiung notwendig ist.
  • Vom Tag, an dem Ihr Mitarbeiter Ihnen die Arbeitsverhinderung mitteilt, bis hin zum Ende der Auszeit besteht Kündigungsschutz.
  • Während dieser Zeit müssen Sie kein Gehalt zahlen. Betroffene können bei der Pflegekasse des Pflegebedürftigen eine Lohnersatzleistung (Pflegeunterstützungsgeld) beantragen. Dieses beträgt 90 Prozent des Nettoarbeitsentgelts

2. Pflegezeit (§ 3 PflegeZG)

Arbeitnehmer haben die Möglichkeit, sich bis zu sechs Monate voll oder teilweise freistellen zu lassen, um einen nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung zu pflegen. Voraussetzung ist, dass mindestens Pflegegrad 1 besteht. Wenn einer Ihrer Mitarbeiter die Pflegezeit in Anspruch nehmen möchten, muss er Ihnen spätestens zehn Arbeitstage vor Beginn der Auszeit dies schriftlich ankündigen und angeben, in welchem Zeitraum und wie lange die Freistellung dauern soll. Wichtig: Wenn Ihr Mitarbeiter nur die Arbeitszeit reduzieren möchte, halten Sie die Vereinbarungen vertraglich fest.

Für Praxisinhaber wichtig:
  • Nur Unternehmen mit mehr als 15 Beschäftigte sind dazu verpflichtet, die Pflegezeit zu genehmigen. Trifft das nicht zu, liegt es an Ihnen, ob Sie diese bewilligen.
  • Wie bei der kurzfristigen Arbeitsverhinderung auch, besteht während der Zeit Kündigungsschutz.
  • Das Gehalt müssen Sie nicht weiterzahlen. Betroffene haben ein Recht auf ein zinsloses Darlehen vom Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben.

3. Familienpflegezeit bis zu 24 Monate (FPfZG)

Das Gesetz besagt, dass sich Beschäftigte, die einen nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung pflegen, bis zu 24 Monate teilweise freistellen lassen können. Die Arbeitszeit muss im Jahresdurchschnitt mindestens 15 Stunden pro Woche betragen und der Angehörige muss mindestens Pflegegrad 1 haben. Laut Gesetz ist Ihr Mitarbeiter dazu verpflichtet, die Familienpflegezeit mindestens acht Wochen vor Beginn anzukündigen.

Für Praxisinhaber wichtig:
  • Nur Unternehmen, die mehr als 25 Beschäftigte haben, sind dazu verpflichtet, die Familienpflegezeit zu genehmigen. Wie bei der Pflegezeit auch, liegt es also an Ihnen, ob Sie Ihren Mitarbeitern dies ermöglichen.
  • Auch während der Familienpflegezeit besteht Kündigungsschutz.
  • Da Betroffene während der Zeit kein Anspruch auf Lohnfortzahlung haben, gewährt das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben ihnen ein zinsloses Darlehen.

Sonderfall: Kinder

Eltern haben Anspruch auf vollständige (bis zu sechs Monate) oder teilweise Freistellung (bis zu 24 Monaten), unabhängig davon, ob die Pflege des Kindes in häuslicher Umgebung oder stationär erfolgt. So steht es in § 3 Absatz 5 des Pflegezeitgesetzes und § 2 Absatz 5 des Familienpflegezeitgesetzes. Voraussetzung dafür ist, dass mindestens Pflegegrad 1 besteht.

Zu den nahen Angehörigen zählen:

  • Eltern, Großeltern, Schwiegereltern
  • Geschwister
  • Kinder, Adoptiv- oder Pflegekinder, Enkelkinder, Schwiegerkinder
  • der Ehe- bzw. Lebenspartner, Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft

Konkrete Praxistipps

1. Engagement macht sich bezahlt

Auch wenn Sie aufgrund Ihrer Mitarbeiteranzahl nicht zu den Unternehmern gehören, die Angestellten Auszeiten einräumen müssen, so lohnt es sich dennoch, Ihren Mitarbeitern bei der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf so gut es geht entgegenzukommen. Das zeugt nicht nur von Menschlichkeit, sondern lohnt sich auch aus wirtschaftlicher Sicht. Denn: Eine dauerhafte Doppelbelastung wirkt sich oft (unfreiwillig) negativ auf die Arbeitsleistung aus:

  • Punkt 1: Betroffene, die Angehörige pflegen, sind öfter krank als jene Beschäftigten, die dieser Aufgabe nicht nachgehen. Das geht aus dem Pflegereport 2018 hervor. Demnach leiden sie besonders häufig unter Rückenschmerzen und psychischen Störungen.
  • Punkt 2: Die Leistungsfähigkeit kann abnehmen. Dadurch steigt das Risiko für Fehler, worunter wiederum die Behandlungsqualität leiden kann.
  • Punkt 3: Wird der Druck auf Dauer zu hoch und ermöglicht der Arbeitgeber Betroffenen nicht, Beruf und Pflege zu vereinen, sehen Betroffene als einzigen Ausweg oft nur noch, zu kündigen.
2. Nicht erst handeln, wenn Not am Mann ist

In einem akuten Pflegefall muss für alle Beteiligten schnell eine gute Lösung her. Praktisch ist dann, wenn Sie die Grundbedingungen dafür bereits im Vorweg für alle festgelegt und Ihre Mitarbeiter darüber informiert haben. Konkret bedeutet das: Schauen Sie zunächst, welchen Verpflichtungen Sie als Arbeitgeber nachkommen müssen, um Ihren Mitarbeitern die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf so gut es geht zu ermöglichen. Machen Sie sich dann Gedanken, welche individuellen Bedingungen für Ihre Praxis darüber hinaus Sinn machen: Möchten Sie beispielsweise den Kreis der zu Pflegenden ausweiten – von nahen Angehörigen auf Familienmitglieder allgemein? Muss zwingend ein Pflegegrad die Voraussetzung für Unterstützung sein, oder reicht auch eine schwere chronische Erkrankung aus? Halten Sie die Rahmenbedingungen schriftlich fest.

3. Maßnahmen individuell zusammenstellen

Signalisieren Sie Ihren Mitarbeitern, dass es keine Nachteile mit sich bringt, wenn sie sich als pflegende Angehörige outen. Nur so schaffen Sie eine vertrauensvolle Basis, um individuell Lösungen zu finden, die für Sie und Ihren Mitarbeiter zufriedenstellend sind.

Beispiele für mögliche Maßnahmen:

  • Arbeitsmodell befristet anpassen, beispielsweise die Stundenanzahl auf Teilzeit reduzieren. Wichtig: Klären Sie vorab, ob es ein Rückkehrrecht zum alten Modell gibt.
  • Zeitlich befristete, unentgeltliche Freistellung von der Arbeit.
  • Flexiblere Arbeitszeiten, angepasst an die Pflegesituation. Beispielsweise nur Frühschichten oder an vier Tagen die Woche eine Stunde länger bleiben, um am fünften Tag früher frei machen zu können.
  • Wenn möglich, unbürokratisch auch kurzfristig Urlaub gewähren.
  • Pflegesituation bei der Urlaubsplanung im Team berücksichtigen.
  • Zeitweise bestimmte Aufgaben umverteilen bzw. Aufgaben an Kollegen abgeben.
  • Erlauben, dringende private Gespräche auch bei der Arbeit per Handy führen zu dürfen, etwa mit Behörden oder Institutionen.

 

Setzen Sie sich mit Ihrem Mitarbeiter zudem in regelmäßigen Abständen zusammen und besprechen sie die aktuelle Lage: Hat sich die gewünschte Wirkung eingestellt? Sind unerwartete Probleme aufgetreten? Ist die Maßnahme noch passend oder muss nachjustiert werden?

Wichtig: Halten Sie alle Regelungen zu Arbeitsmodellen und -zeiten schriftlich fest!

Beziehen Sie das Team mit ein

Viele arbeitsorganisatorische Maßnahmen wirken sich auf das gesamte Team aus und müssen zu einem gewissen Grad von den Kollegen mitgetragen werden. Wichtig ist daher, dass Team von Anfang an mit einzubeziehen, Bedenken ernst zu nehmen und es – sofern möglich – die Planung mitgestalten zu lassen. Je größer die Akzeptanz, desto reibungsloser lassen sich die Veränderungen etablieren.

Positionieren Sie sich als attraktiver Arbeitgeber

Der demografische Wandel sorgt dafür, dass die Anzahl jener, die im Alter pflegebedürftig werden, steigt. Ergo: Auch die Anzahl an Therapeuten, die Angehörige pflegen, wird in Zukunft weiter zunehmen. Wenn Sie diese Tatsache nicht außer Acht lassen und aktiv nach außen zeigen, dass Sie Arbeitnehmer dabei unterstützen, Pflege und Job so gut es geht zu vereinen, positionieren Sie sich für viele potenzielle neue Mitarbeiter als attraktiver Arbeitgeber.

Tipp: Der iga.Wegweiser „Beruf und Pflegeverantwortung“ liefert viele hilfreiche Tipps zu Unterstützungsmöglichkeiten.

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