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Freie Therapeuten in der Praxis

Zusammenarbeit von Freelancern und Praxisinhabern im Alltag
Wenn Mitarbeiter erkranken, in Elternzeit gehen oder längere Zeit in den Urlaub fahren möchten, braucht es oft eine schnelle Lösung, um die Patienten in der Praxis weiter versorgen zu können. Oliver Spiwokz, Physiotherapeut und Praxisinhaber aus Rutesheim bei Stuttgart und Alexandra Walz, freie Physiotherapeutin und Inhaberin von „mobile Physios“ (siehe Kasten) berichten, wie die Zusammenarbeit zwischen Freelancern und Praxisinhabern funktioniert.
© AnnettVauteck,skynesher,Stígur Már Karlsson /Heimsmyndir

„Einer unserer Mitarbeiter hatte eine geplante Operation und wir wussten, dass er etwa sechs Monate ausfallen würde“, berichtet Oliver Spiwokz. „Für diese Zeit einen Mitarbeiter zu finden, wäre kaum gegangen. Den letzten Therapeuten, den ich eingestellt habe, habe ich ein dreiviertel Jahr gesucht – mit der Unterstützung des Arbeitsamts.“ Oliver Spiwokz suchte nach neuen Möglichkeiten und wendete sich an die „mobilen physios“.

Freie Therapeuten als Vertretung oder als Ersatz für feste Mitarbeiter

Die mobilen physios sind ein Zusammenschluss freier Therapeuten. Jeder dieser Therapeuten arbeitet selbstständig, kann aber über die gemeinsame Website der mobilen physios angefragt werden. Die Inhaberin ist Alexandra Walz. Sie selbst arbeitet ebenfalls als freie Physiotherapeutin. „Ich mache zweimal die Woche betriebliches Gesundheitsmanagement in Unternehmen und zusätzlich vor allem Hausbesuche für verschiedene Praxen in der Umgebung, aber auch Privatpatienten in meiner kleinen Privatpraxis“, erklärt sie. „Die Arbeitsbereiche der freien Therapeuten sind aber ganz unterschiedlich. Einige arbeiten nur kurzfristig als Urlaubsvertretung, die Meisten langfristiger, weil eine Praxis keine festen Mitarbeiter findet.“

Walz berichtet weiter: „Ganz zu Anfang meiner selbstständigen Tätigkeit war es wirklich so, dass es oft hieß: ‚Oh, mein Mitarbeiter hat sich krankgemeldet und ich brauche ab morgen dringend einen Ersatz.‘“ Das war auch die Grundidee der mobilen physios: Praxisinhaber, die in Personalnot geraten, zu unterstützen, sodass bei Urlaub, Krankheit usw. keine großen Lücken in der Versorgung der Patienten entstehen. „In der Regel sprangen wir dann für mindestens zwei Wochen ein“, sagt die freie Physiotherapeutin.

„Mittlerweile hat sich das alles ein wenig geändert. Heute hören wir eher: ‚Wir haben gerade einfach zu wenig Personal und können unsere Patienten nicht mehr vollständig behandeln. Wir brauchen also dringend Unterstützung, am besten für immer‘“, berichtet Walz. „Der Fachkräftemangel macht sich bei uns also auch ganz deutlich bemerkbar. Viele Praxisinhaber sagen: ‚Eine Kollegin hat gekündigt oder ist schwanger. Wir finden einfach keinen neuen Mitarbeiter, wir brauchen aber dringend einen.‘ Dann haben die Praxisinhaber im schlimmsten Fall wenige Wochen Zeit, jemand Neues zu finden und das ist aktuell schlichtweg nicht möglich.“

Berufserfahrung der freien Therapeuten ist von Vorteil

Oliver Spiwokz arbeitete schließlich mit Ulrich Walz, Alexandras Vater, zusammen. „Ich habe mich für einen freien Therapeuten entschieden, weil diese einfach die notwendige Erfahrung mitbringen, um direkt mit der Arbeit an den Patienten zu beginnen“, sagt der Praxisinhaber. „Ich muss nicht, wie bei Kräften frisch von der Schule, noch Händchen halten und begleiten. Ulrich Walz kam und hat direkt angefangen.“

Vertrag sollte von Therapeuten erstellt werden

Bevor ein freier Therapeut in der Praxis die Arbeit aufnimmt, wird natürlich ein Vertrag geschlossen. Darin sind alle wichtigen Details der Zusammenarbeit enthalten. „Wir haben fertige Verträge, die wir individuell anpassen können“, erklärt Alexandra Walz. „Wichtig ist, dass nicht die Praxis uns einen Vertrag vorlegt, sonders andersherum. Denn wir entscheiden, zu welchen Konditionen wir arbeiten.“

In den Verträgen ist unter anderem festgehalten, wie viele Stunden pro Woche ein Therapeut in der Praxis ist und über welchen Zeitraum. Auch die Vergütung ist dort erfasst. „Das fand ich sehr angenehm“, erklärt Spiwokz. „Ich musste nicht lange verhandeln und es konnte nicht zu Missverständnissen kommen, weil von Anfang an klar war, wie die Konditionen aussehen.“

Vergütung vorab vereinbaren

In der Regel erhalten die freien Therapeuten von den mobilen physios umgerechnet ca. 70 Prozent des Rezeptwerts. Etwa 30 Prozent bleiben als Raummiete (wird im Voraus an die Praxis entrichtet und richtet sich nach den Arbeitsstunden des jeweiligen Monats), sowie für Wasser, Strom, Rezeptabrechnung, Reinigung etc., in der Praxis. Bei Hausbesuchen gehen 80 Prozent an den Therapeuten und 20 Prozent an die Praxis. „Wir geben die Verordnungen der Patienten dann in der Praxis ab, die wiederum mit den Krankenkassen abrechnen. Wir schreiben selbst eine Rechnung über die erbrachten Leistungen an die Praxis“; sagt Walz. „Die Praxis rechnet schließlich ganz normal mit den Krankenversicherungen ab und überweist uns unsere Rechnung.“ Dabei tragen die freien Therapeuten das unternehmerische Risiko. „Sagt ein Patient ab, verdiene ich nichts. Die Kosten für die Raummiete fallen aber trotzdem an“, erklärt sie.

In dem Interview mit Alexandra Walz lesen Sie, wie viel sie als freie Physiotherapeutin im Vergleich zu ihren angestellten Kollegen verdient. Außerdem lesen Sie hier, ob sich die Zusammenarbeit für Praxisinhaber Oliver Spiwokz lohnt.

Fachkräfteengpassanalyse zeigt: Mitarbeitersuche wird immer schwieriger

Oliver Spiwokz ist nicht der einzige Praxisinhaber, der Schwierigkeiten hat, neue Mitarbeiter zu finden – ganz im Gegenteil. Die aktuelle Fachkräfteengpassanalyse aus dem ersten Halbjahr 2019 der Bundesagentur für Arbeit macht dies deutlich. So dauerte es im Bereich der Physiotherapie im Juni 2019 im Schnitt 185 Tage, um eine Stelle neu zu besetzen – 14 Tage länger als im Vorjahresmonat. Im weiteren Vergleich: 2017 betrug die Vakanzzeit noch 144 Tage und 2016 123 Tage. Außerdem sank die Zahl der arbeitslosen Physiotherapeuten im Juni 2019 um 6,2 Prozent, während die offenen gemeldeten Stellen sich um 6,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat erhöhten.

Aber nicht nur die Physiotherapie ist vom Fachkräftemange betroffen. Auch in der Sprachtherapie sanken die Arbeitslosenzahlen – und zwar um 9,7 Prozent. Die Zahl der offenen Stellen hingegen stieg um 8,3 Prozent. Bei den Podologen macht sich eine besonders lange Vakanzzeit bei offenen Stellen bemerkbar. Diese lag im April 2019 bei 194 Tagen, also 26 Tage mehr als im Vorjahresmonat.

Bei diesen ohnehin schon erschreckenden Zahlen kommt noch hinzu, dass viele Praxisinhaber ihre offenen Stellen der Arbeitsagentur gar nicht erst melden. Denn die Chancen auf diesem Weg neue Mitarbeiter zu finden, sind erfahrungsgemäß gering. Doch auch wenn sie die freie Stelle so vielleicht nicht besetzen können, ist es wichtig, sie der Bundesagentur für Arbeit zu melden. Denn nur so spiegeln offizielle Statistiken wie die Fachkräfteengpassanalyse auch die tatsächliche Situation wider. Um Forderungen gegenüber der Politik mit harten Fakten zu untermauern, sind solche Zahlen unbedingt nötig.

Die aktuellen Zahlen der Fachkräfteengpassanalyse finden Sie unter: https://tinyurl.com/zpthx4w

mobile Physios: Zusammenschluss freier Therapeuten in ganz Deutschland

Im Jahr 2003 gründetet der Vater von Alexandra Walz die mobilen physios. Damals hat es mit ein bis zwei freien Therapeuten angefangen. 2009 waren es dann laut Walz bundesweit über 30. „2015 bis 2016 kam dann der Einbruch auf fünf bis sieben freien Physiotherapeuten, bedingt durch den Gerichtsbeschluss in Bayern“, erklärt sie. „Im Jahr 2019 sind wir aktuell elf mobile Physios. Etwa 50 Prozent der Therapeuten arbeiten in Vollzeit, die anderen 50 Prozent in Teilzeit, weil sie Mütter sind oder zusätzlich als Heilpraktiker, Osteopathen, Coaches usw. arbeiten.“

Wer als freier Physiotherapeut ohne eigene Praxis arbeiten möchte, kann sich den mobilen physios anschließen. „Wir führen dann Gespräche und schauen, ob die Erwartungen zueinander passen“, erklärt Walz. „Die Therapeuten, die sich uns anschließen zahlen dann einen Monatsbeitrag und können dafür Verträge, Informationsmappen usw. nutzen, bekommen aber auch Hilfestellungen bei Behördengängen und Tipps zum Umgang mit der Deutschen Rentenversicherung.“ Außerdem erscheinen ihre Kontaktdaten auf der gemeinsamen Website. Die freien Therapeuten entscheiden immer selbst, wann, wie viel und wo sie arbeiten möchten. „Die meisten unserer Mitglieder sind in Baden-Württemberg, aber auch bundesweit. Eine Kollegin hingegen hat ein Wohnmobil und arbeitet mal in Köln, mal in Hamburg oder ganz woanders“, berichtet Walz. „Das ist ein sehr modernes Konzept, durch die freie Zeiteinteilung, Ortswahl, Urlaubsplanung und Zeit für Familie und Freizeit. Stichwort: ‚Work-life-Balance‘!“

Das Konzept ist auf das gesamte Bundesland ausgelegt. Es kann jeder in seiner Wohnnähe mobile physios machen und Teil einer starken Gemeinschaft sein, die sich gegenseitig unterstützt.

Wichtig ist, dass die freien Therapeuten nicht dauerhaft in einer Praxis arbeiten. „Um selbstständig zu sein, benötigen wir einfach verschiedene Auftraggeber. Ansonsten ist man scheinselbstständig“, erklärt die Physiotherapeutin. „Wenn wir in Praxen arbeiten, mieten wir uns für den Zeitraum in die Praxisräume ein. Wir haben zudem eigene Werbemittel und die Terminkoordinierung mit den Patienten läuft direkt über uns, sodass wir kein Personal der Praxis nutzen. Wir tragen auch eigene Berufskleidung mit Namensschild, um uns von den festangestellten Kollegen abzugrenzen.“ So sieht jeder Patient direkt: Aha, dieser Therapeut ist von den mobilen physios und gehört nicht zum Praxisteam.“

Praxisinhaber, die auf der Suche nach Unterstützung sind, sollten möglichst frühzeitig anfragen. „Leider sind unsere Kapazitäten auch begrenzt. Aber es gibt immer Kollegen, die als sogenannte Springer arbeiten und auch kurzfristig aushelfen können“, sagt die Inhaberin. Wer Interesse hat, kann aus verschiedenen Modulen auswählen. Es ist beispielsweise möglich, über einen Zeitraum von zwei Wochen einen freien Therapeuten für Dienstag- und Freitagvormittag zu buchen, an ganzen Tagen, für eine Woche oder auch länger. Was möglich ist, kommt auch auf die freien Kapazitäten der Mitglieder an.

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