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Therapido – Lerne, wann und wo immer Du willst

Logopädin entwickelt Online-Fortbildungskurse für Therapeuten
Fast jeder Therapeut kennt das: Ein Patient mit einem seltenen Störungsbild kommt in die Praxis. Vage sind noch die Erinnerungen an die Ausbildung, eine Fortbildung müsste her, um das Wissen aufzufrischen. Doch ein entsprechender Kurs wird erst Monate später angeboten - und dann auch noch weit entfernt vom eigenen Wohnort. Das muss nicht sein, dachte sich die Logopädin Indra Hempen und gründete im Juli 2018 die Onlineakademie Therapido.
© iStock: BrianAJackson

Als Mutter von zwei Kindern und Chefin von einer Teilzeit- und vier Vollzeit-Mitarbeiterinnen waren Fortbildungen für die Praxisinhaberin aus dem niedersächsischen Bad Bentheim schon immer ein Problem. „Es ist einfach schwierig, die Kurse Monate im voraus zu buchen, es könnte ja sein, dass gerade zum Kursbeginn eines meiner Kinder krank ist.“ So wie ihr müsse es vielen ihrer Kolleginnen gehen, dachte sich die Logopädin – schließlich sind laut Deutschem Bundesverband für Logopädie (dbl) 93 Prozent der Logopäden in Deutschland weiblich.

Gründung im Juli 2018

Indra Hempen hat es schon immer geärgert, dass sich Anwälte und Ärzte problemlos  – und im Vergleich zu Präsenzveranstaltungen günstig – online fortbilden können, während Therapeuten viel Zeit und Geld investieren müssen. So tüftelte die 39-Jährige ein Jahr lang, scheute keine Mühen und Kosten und fand schließlich die Lösung: Im Juli 2018 gründete sie Therapido, die Onlineakademie für Logopäden.

Schon im Oktober 2018 ging der erste Kurs „Mundmotorik bei Aussprachestörungen“ online. „Dieses Thema brannte mir auf der Seele“, erinnert sich die Logopädin. „Rund 42 Prozent aller Sprachtherapeuten setzen mundmotorische Übungen ein, um die Aussprache von Kindern zu verbessern, obwohl es nur wenig bringt.“ Ein Cochrane-Review habe nämlich gezeigt, dass in verschiedenen Studien der letzten Jahrzehnte kein Effekt von mundmotorischen Übungen bei der Behandlung von Aussprachestörungen gefunden werden konnte.

Professionelle Unterstützung durch Digital Hub münsterLAND

Finanziert hat die Praxisinhaberin Therapido nur aus eigenen Mitteln, auch als „Bootstrapping“ bekannt. Denn Fördermittel gibt es in der Regel nur für Existenzgründer, aber nicht mehr für etablierte Praxisinhaber. „Ich hätte einen Kredit aufnehmen oder einen Investor mit ins Boot holen können“, erklärt sie, „aber beides waren eigentlich keine Alternativen!“

Letztlich hatte sie Glück: Sie erhielt einen der begehrten Plätze im Fellowship – Programm des Digital Hub münsterLAND, das Teams und Einzelpersonen mit digitalen Geschäftsmodellen im Münsterland unterstützt. Von August 2018 bis Ende Oktober 2019 entwickelte sie ihr Projekt am Münsteraner Hafen weiter – mit anderen Start-Ups aus den verschiedensten Branchen. Gerade der Austausch mit den meist jüngeren Unternehmensgründern habe sehr geholfen, vor allem bei technischen Problemen wie beispielsweise der Automatisierung des Mailversands. „Ich neige zur Perfektion“, gibt Indra Hempen zu, „doch die jüngeren Kollegen haben mich ermutigt, manches einfach auszuprobieren. Verbessern könnte ich es dann ja immer noch.“

Viele Störungsbilder – viele Wissenslücken

In der Sprachtherapie gebe es so viele Störungsbilder, die in der Ausbildung nicht alle tiefgreifend behandelt werden könnten, so die Therapeutin. Daher gibt es im Praxisalltag auch durch neue Erkenntnisse immer wieder Wissenslücken, die durch Fortbildungen gestopft werden müssen. Therapido hilft dabei – nach dem Motto: „Lerne. Wann und wo immer Du willst“. So nutzt auch Indra Hempen beispielsweise die Zeit zum Lernen, wenn ein Patient kurzfristig abgesagt hat.

Größte Fortbildung „Kasus“

Inzwischen sind auf der Website von Therapido vier Online-Kurse verfügbar. Die größte Fortbildung ist der Kurs „Kasus: Wieso, weshalb, warum – wer nicht fragt bleibt dumm! Des, dem, den – wann therapier‘ ich wen?!“. Er wurde von der Lehr- und Forschungslogopädin Katharina Barth erstellt, die sich auf den Bereich Kindersprache spezialisiert hat. Der Kurs beschäftigt sich mit der Diagnostik und Therapie des Kasus und ist in sechs Module unterteilt: Basiswissen, Physiologie, Pathologie, Therapiezielsetzung, Diagnostik und Therapie, die wiederum aus über 50 Lektionen bestehen. Wer den Kurs bucht, kann die Inhalte drei Monate lang nutzen. In der Regel, so das Feedback bisheriger Teilnehmer, benötigt man rund 25 Stunden für diese Fortbildung.

Per Zugangscode den Kurs starten

Die Dozenten der Onlinekurse sind zumeist Akademiker, die über ihr Konzept häufig  schon eine Studie herausgebracht haben und auch als Präsenzanbieter für Fortbildungen tätig sind – wie die Akademische Sprachtherapeutin und Therapiewissenschaftlerin Patricia Pomnitz, die die Fortbildungen „Late Talker – Diagnostik und therapeutische Entscheidungsfindung“ und „Elternberatung in der sprachtherapeutischen Praxis“ entwickelt hat. Alle Kursinhalte werden über Videos dargestellt, entweder als Video, in dem der Dozent selbst erklärt, oder über besprochene Powerpoint-Präsentationen.

Die Buchung eines Kurses ist einfach: Nachdem sich der Interessent für eine Bezahlmethode entschieden und seine Daten eingegeben hat, erhält er automatisch seinen Zugangscode per Mail und kann innerhalb von einer Minute mit dem Kurs starten. Ab diesem Zeitpunkt können je nach Kurs einen bis drei Monate lang die Inhalte bearbeitet, Skripte gespeichert und Arbeitsaufträge erledigt werden – wann auch immer man die Zeit dafür findet. Zum Abschluss eines Kurses erhält jeder eine personalisierte Teilnahmebescheinigung per Mail oder kann sich diese am Ende des Kurses selbst ausdrucken. Fortbildungspunkte gebe es bisher für Online-Fortbildungen noch nicht, aber der dbl kümmere sich darum, dass sich das ändert, so Indra Hempen.

Ergänzung zu Präsenzseminaren

Die Logopädin sieht die Onlinekurse als Ergänzung zu Präsenzseminaren. Neben der Einsparung von Kosten sei der größte Vorteil, dass jeder in seinem eigenen Tempo lernen kann. „Wenn ich etwas nicht auf Anhieb verstanden habe, dann sehe ich mir das Video noch einmal an. Wenn ich es immer noch nicht verstanden habe, kann ich auch die Kommentarfunktion nutzen und Fragen stellen“, so die Therapeutin. „Und wenn ich zu denjenigen gehöre, die sehr schnell lernen, dann fühle ich mich nicht durch die Fragen der anderen Teilnehmer gestört.“

Kostenlose Online-Workshops

Neben den Onlinekursen, die zwischen 14,95 und 249 Euro kosten, bietet die Therapido-Gründerin auch kostenlose Online-Schulungen an, die sehr gefragt sind. Beim Workshop zum Kasus beispielsweise nahmen immerhin bislang schon 955 Logopäden teil. Nach Erfahrungen von Marketing-Experten buchen etwa fünf Prozent der Teilnehmer nach einem kostenlosen das kostenpflichtige Angebot.

Fortbildungsangebot auf andere Therapiebereiche ausdehnen

Die Logopädin würde sich wünschen, die Fortbildungen günstiger anbieten zu können: „Ein zweitägiger Kurs sollte bei unter 100 Euro liegen.“ Doch mit rund 28.000 logopädisch arbeitenden Therapeuten in Deutschland sei die Zielgruppe relativ klein. Auch wenn Therapido schon angenommen werde, blieben viele Logopäden noch skeptisch. „Unsere Berufsgruppe gehört nicht gerade zu den digitalen Vorreitern. Ich kenne durchaus Kollegen, die keine Mailadresse besitzen und Praxisinhaber, die auf eine Homepage verzichten. Diese Kollegen werden wir sicherlich nicht durch digitale Fortbildungen abholen können.“ Daher möchte sie das Fortbildungsangebot auch auf andere Therapiebereiche ausdehnen. „Derzeit arbeiten wir mit einem Physiotherapeuten für einen ersten Onlinekurs zusammen.“

Seid mutig, wenn ihr jung seid!

Indra Hempen hat ihren Schritt nicht bereut und ist weiterhin bereit, viel Zeit in ihr Therapido-Projekt zu investieren. Sie ist immer noch überzeugt, dass man bei auftretenden Problemen alles versuchen sollte, sie zu lösen. „Die Gründung eines Start-Ups gelingt aber leichter, wenn man nicht gleichzeitig noch eine Familie ernährt oder wenn man Fördergelder erhalten kann“, so ihr Fazit. Daher kann sie nur allen raten: „Seid mutig wenn ihr jung seid!“

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