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„Ich kann nicht nur jammern, ich muss auch was tun“

Eine Praxisinhaberin kämpft für die Zukunft ihres Berufs
Ines Leibold ist Physiotherapeutin und Praxisinhaberin – und sie ist wütend. Sie ist wütend über die Rahmenbedingungen unter denen sie und ihre Mitarbeiter arbeiten müssen, darüber, dass sie ihren Mitarbeitern nicht das bezahlen kann, was ihnen als Fachkräfte eigentlich zustehen würde, und darüber, dass niemand etwas gegen die Missstände unternimmt. Also hat sie sich selbst an die Arbeit gemacht und eine Petition auf den Weg gebracht, um Politiker und Patienten aufzuklären.
© Ines Leibold

„Wir haben liebe, dankbare Patienten und auch meine Mitarbeiter sind toll, gar keine Frage. Aber so kann es doch nicht weitergehen,“ berichtet die Praxisinhaberin aus Sachsen. „Deshalb habe ich mich hingesetzt – viele Stunden – und die Unterlagen für die Petition und Informationsmaterial für die Patienten zusammengestellt.“ Das Ergebnis ihrer Arbeit sieht man, wenn man sich in ihrer Praxis umschaut: Dort zieren die Informationen mittlerweile als Dekoration die ein oder andere Wand.

Wussten Sie schon…

„Wussten Sie schon, dass Ihre gesetzliche Krankenkasse Ihnen und uns keine Zeit gibt, um eine Befundaufnahme zu Beginn Ihrer Therapie durchzuführen?“ ist dort zum Beispiel zu lesen. Oder: „Wussten Sie schon, dass uns nach Entscheidung der gesetzlichen Krankenkassen für Ihre 20-minütige Behandlung noch 12,5 min Behandlungszeit übrigbleiben?“ Nein, das wussten die Patienten natürlich nicht. „Von den Missständen hören die Patienten bei uns zum ersten Mal. Ist ja logisch, weil wir schließlich keine Lobby haben“, so die Physiotherapeutin. Und selbst wenn die Verbände etwas veröffentlichen, z. B. bei Facebook, komme das bei den Patienten nicht unbedingt an. „Das Durchschnittsalter unserer Patienten liegt bei über 60. Aber auch die jungen Patienten schauen mich an und sagen: Wie soll das funktionieren?“

Schlechte Rahmenbedingungen führen zu schlechter Versorgung

„Ich sage den Patienten immer: Ihr seid die Geldgeber für die Krankenkassen, wir sind die Dienstleister, wir sind die Leistungserbringer. Uns haben sie jetzt abgewatscht und wir treten es nach unten durch“, berichtet Ines Leibold. „Wir treten es schon lange nach unten durch, wir Praxisinhaber. Wir treten nach unseren Mitarbeitern, indem wir nicht gerechte Löhne zahlen – und dann treten wir jetzt auch noch nach den Patienten, weil wir sagen, wir können die Leistung so wirtschaftlich nicht mehr erbringen. Und das tut mir so weh.“

In der Praxis von Ines Leibold wird – mit Ausnahme von Massagen – im 30-Minuten-Rhythmus behandelt. Das ist nicht wirtschaftlich. „Aber es geht mir darum, dass meine Mitarbeiter nicht mit zitternden Händen nach Hause gehen und auch noch sagen können, dass sie ein bisschen was mit ihrer Arbeit bewegt haben“, erklärt die Praxisinhaberin. „Ich zahle meine Mitarbeiter auch nach TVÖD, trotz des 30-Minuten-Rhythmus – aber was dann übrigbleibt, darf man nicht fragen. Ich will nicht jammern, mir geht es nicht schlecht, weil auch mein Mann Geld verdient. Aber so wie es jetzt läuft, machen wir den Beruf nieder.“

80 Prozent der Patienten unterschreiben die Petition

„Ich habe im Aufenthaltsraum Informationen an die Wände gehängt und auch in den Kabinen. Die Resonanz der Patienten darauf ist wirklich gut.“ Um nicht nur die Patienten zu informieren, sondern auch politisch etwas zu bewegen, sammelt Ines Leibold Unterschriften für eine Petition. Ihre Forderung: Lasst uns weiterhin als „Therapeuten mit Herz, Hand und Verstand“ unsere Patienten behandeln. (Links zum Material der Petition finden Sie am Ende des Artikels.)

„Von den Patienten, die wir aktuell behandeln, haben circa 80 Prozent die Petition unterschrieben“, fasst die Praxisinhaberin den Erfolg nach den ersten Wochen zusammen. „Ob eine Petition in dieser Form wirklich etwas nützt, bleibt dahingestellt. Wenn man sich den Petitionsausschuss des Bundestags einmal anschaut, sind da noch mehr als 1.300 Petitionen in der Prüfung. Und selbst wenn es etwas bringt, sind viele Chancen schon vertan, bis auf diesem Weg also endlich etwas ins Rollen kommt.“ Auch darum hat sich Ines Leibold mit ihrer Aktion an up gewandt. Sie möchte andere Therapeuten dazu inspirieren, nicht den Kopf in den Sand zu stecken oder dem Beruf den Rücken zu kehren, sondern sich auch dafür einzusetzen, dass sich etwas an der Situation ändert.

Gegen die Resignation angehen

„Bei Gesprächen mit meinen Mitarbeitern habe ich gemerkt, dass sie mit der aktuellen Situation natürlich nicht glücklich sind, aber sie nehmen es so hin“, erzählt Ines Leibold. Bei der Petition stehen ihre Mitarbeiter hinter ihr. Bei den Arbeitsbedingungen herrsche aber auch ein Stück weit Resignation. „Wenn die Rahmenbedingung so festgelegt sind, wie es die neuen Verträge vorgeben, behandeln wir eben nur noch 20 Minuten, machen Dienst nach Vorschrift und gehen dann nach Hause“, hört sie dann von ihren Mitarbeitern. Diese Haltung habe sicher auch mit den vielen anderen Belastungen aufgrund des Corona-Pandemie zu tun. „Ich denke mir aber, Ihr wollt doch, dass wir mehr werden, dass wir mehr Nachwuchs bekommen, dass es sich wieder lohnt, als Physiotherapeut zu arbeiten – ohne selber nur immer etwas dazuzugeben und nichts zurückzubekommen‘. Krass formuliert: Wenn es so weitergeht, muss man sich bald überlegen, welche Umschulung man macht, damit man irgendwo Geld verdient.“

4.446 Euro für eine Fachkraft mit Zusatzqualifikationen

Was Therapeuten verdienen sollten, hat Ines Leibold bei den Gehaltsangaben der Agentur für Arbeit nachgeschaut – und auch in ihre Petition geschrieben. Denn da ist der Beruf des Physiotherapeuten als Fachkraft eingestuft mit einem Bruttogehalt von 3.166 Euro. „Das ist auch richtig so, ich kann mir ja keinen von der Straße fangen und als Therapeuten arbeiten lassen“, beschreibt die Praxisinhaberin. Ein Spezialist, also eine Fachkraft mit Zusatzqualifikation, sollte laut Agentur für Arbeit bei einem Bruttogehalt von 4.446 Euro liegen, ein Experte (hat alle Zusatzqualifikationen, Berufserfahrung, bildet sich ständig weiter) bei 5.605 Euro.

„Tatsächlich liegt der Median in Deutschland bei 2.619 Euro als Fachkraft in der Physiotherapie, bei 2.648 Euro als Spezialist und als Experte bei 2.877 Euro – und bei uns in Sachsen noch darunter.“ Das findet die Praxisinhaberin nicht richtig: „Therapeuten sollten, so wie es da steht, eben auch ihre 4.446 Euro bekommen. Ich habe hochqualifizierte Leute, die sich engagieren. Wir haben alle Zertifikatspositionen und die Weiterbildungen sind auch für unsere Arbeit wichtig. Aber das kann ich natürlich nicht zahlen.“

Alle Leistungen einpreisen

Nun sind die Probleme hinlänglich bekannt, die Frage ist, wie sie sich lösen lassen. Da hat Ines Leibold auch kein Patentrezept, aber doch einige Ideen. „Ich würde mir wünschen, dass sich die Verbände mehr einsetzen“, so die Therapeutin. Vielleicht hätte man mal mit der Stoppuhr einen Patientenbesuch in der Praxis begleiten müssen, um festzuhalten, wie viel Zeit die einzelnen Schritte kosten, die zur eigentlichen Behandlung noch dazukommen – von der Terminvergabe über das Zuzahlungsmanagement bis zur Rezeptkontrolle. „Das alles ist zusätzlicher Aufwand, der kostet Zeit und Zeit ist Geld. Geld bekommen wir für den Aufwand aber nicht.“

Darum wäre ihr Wunsch für die Zukunft, dass alles das, was in der Praxis gemacht wird, auch bezahlt wird. Und zwar über einen Minutenpreis, in den auch die Rezeptionsfachkraft und die Verwaltungstätigkeiten mit eingepreist sind. „Ohne einen ordentlichen Minutenpreis, können wir nie anständige Gehälter zahlen. Und dann laufen uns die jetzt noch tätigen Therapeuten weg.“

„Ich möchte, dass der Beruf die Leute glücklich macht“

Ines Leibold steht fast am Ende ihres Berufslebens und wird in ein paar Jahren in Rente gehen. Dennoch oder gerade deshalb liegt ihr die Zukunft ihres Berufs am Herzen: „Ein Physiotherapeut sollte sich von seinem Beruf ernähren können. Es sollte so sein, dass die Patienten gut versorgt werden, dass sie anständig behandelt werden, und ihnen auch jemand dabei hilft, die Jacke auszuziehen, wenn sie dabei Hilfe benötigen. Sie sollen für voll genommen und ihre Schmerzen gelindert werden. Und das sehe ich aktuell in Gefahr. Ich möchte den Berufstand erhalten und ich möchte, dass der Beruf die Leute glücklich macht, auch die, die darin arbeiten. Und ich möchte Patienten haben, die sagen ‚Danke, du hast mir geholfen.‘“

Die Dokumente von Frau Leibold können Sie sich hier anschauen:

Leistungsbeschreibung alle Maßnahmen

Beschreibung der einzelnen Maßnahmen in der LB

Petit.Forderung zur aktuellen Lage .01.22

Petit Wussten Sie…. 01.22

Petition Sehr geehrte Patienten

Petitionsliste 01.22

 

Steckbrief:

Ines Leibold arbeitet seit 1997 als Physiotherapeutin. 2005 hat sie in Moritzburg/Boxdorf am nördlichen Rand von Dresden ihre eigene Praxis eröffnet. Zum Praxisteam gehören neben ihr derzeit vier weitere Therapeuten, eine Rezeptionsfachkraft und das Team „SOS“ (Reinigung und Computersicherheit – Sauberkeit, Ordnung und Sicherheit), das im Minijob mit der Praxis arbeitet.

Physiotherapie „Ines Leibold“

Dresdner Straße 24

01468 Moritzburg

E-Mail: physiotherapie-leibold@t-online.de

www.physiotherapie-leibold.de

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