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Wie drei up-Leserinnen den Fachkräftemangel erleben

Kaum ein Thema hat die Branche im vergangenen Jahr mehr beschäftigt als der Fachkräftemangel. In der Juliausgabe 2017 haben wir Sie als up-Leser deswegen gebeten, uns von Ihren Erfahrungen damit zu berichten. Eine Ergotherapeutin, eine Podologin und eine Physiotherapeuten haben uns daraufhin freundlicherweise geschrieben und uns Einblicke in ihre Praxen gegeben. Hier sind ihre Geschichten.
© iStock: Abscent84

„Wo sich früher noch zehn Bewerber vorgestellt haben, kommt jetzt keiner mehr“

Jutta Rosenau, Physiotherapie & Ergotherapie in Dresden

Wir machen jeden Tag Erfahrungen mit dem Fachkräftemangel. Wartezeiten von 14 Tagen sind für unsere Patienten der Normalfall. Frisch operierte Patienten können nur mit Überstunden meiner Mitarbeiter ihre Behandlung erhalten.

Wir finden keine neuen Mitarbeiter. Seit Monaten veröffentlichen wir Stellenausschreibungen. Wo sich vor fünf bis zehn Jahren noch zehn Bewerber vorgestellt hatten, kommt jetzt gar keiner mehr, obwohl wir einen attraktiven Arbeitsplatz mit Sonderkonditionen und überdurchschnittlichem Lohn bieten. Es gibt einfach keine Arbeitskräfte. Auch haben wir die Erfahrung gemacht, dass nur noch wenige in Vollzeit arbeiten wollen, vor allem wenige Frauen.

Kein Schulgeld und mehr Werbung und Achtung für unseren Beruf

Das Problem ist groß, eine Hilfe von staatlicher Seite nicht zu erwarten. Das Schulgeld und die angeblich schlechte Bezahlung im Beruf schrecken wohl Auszubildende ab. Hier wäre es schön, wenn die Regierung das Schulgeld entfallen lassen und vielleicht auch mehr im In- und Ausland für unseren tollen Beruf werben würde. Auch der Zustrom von Flüchtlingen könnte doch eine Chance sein, Ausbildungsplätze zu vergeben. Aber ein unbürokratisches Vermitteln von Arbeitskräften bleibt wohl Wunschdenken….


„Ich würde meine Angestellten gerne entlasten, aber es fehlt uns an Bewerbern“

Jennifer Eisbach, „Villa Habil“ Praxis für Ergotherapie in Betzdorf

Den Fachkräftemangel haben wir in den letzten Jahren schon häufiger zu spüren bekommen. Allein in den letzten beiden Jahren haben wir maximal vier Bewerbungen im Jahr bekommen und häufig offene Stellen nicht besetzen können. Meine Angestellten machen regelmäßig Überstunden und ich würde sie gerne entlasten, aber es fehlt uns an Bewerbern.

Gerade in diesem Jahr macht sich dies sehr stark bemerkbar. Wir müssten dringend drei Kollegen/innen einstellen, aber es kamen im ganzen Jahr nur zwei Bewerbungen rein, und die auch nur auf Zuruf, weil in der aktuellen Abschlussklasse der Ausbildungsschule DAA maximal zwölf Schüler die Ausbildung beenden.

Immer weniger Bewerber – die dann auch noch abspringen

Die Bewerber sind jedoch wieder abgesprungen, weil die Konditionen anderer Stellen günstiger waren. Fünf Tage Bildungsurlaub, 30 Tage Urlaub und ein gutes Bruttogehalt, das muss man den neuen Kollegen mindestens anbieten, wenn man mit den anderen Angeboten mithalten möchte. Aber da die Preise der Krankenkassen nicht so schnell ansteigen, ist das in einer Praxis gar nicht so leicht umzusetzen. Und es besteht immer das Risiko, dass die jungen Menschen nach einem Jahr wieder gehen, weil sie ein noch besseres Angebot erhalten haben, schwanger sind oder umziehen.

Gleichzeitig sind Arbeitsbereitschaft und Kompetenz der neuen Kollegen gesunken, sodass wir mehr Zeit für die Einarbeitung benötigen, die neuen Kollegen somit später anfangen, alleine zu arbeiten und selbständig zu behandeln. Wenn es dann darum geht, Überstunden zu machen, dann ist die freiwillige Bereitschaft ebenfalls wesentlich geringer.

25 Kinder auf der Warteliste

Wir hatten in diesem Jahr auch noch zwei Kollegen die gegangen sind, beziehungsweise hat eine davon die Probezeit nicht bestanden. Zu Beginn des Jahres war es uns noch gelungen, Überstunden abzubauen. Jetzt mussten die Kollegen wieder voll einspringen, was sie Gott sei Dank auch alle von sich aus getan haben.

Gleichzeitig mussten wir einigen Patienten im August mitteilen, dass wir sie nicht mehr zwei bis drei Mal die Woche behandeln können und dass das frühestens ab Oktober wieder möglich wird. Wir haben dann zwei neue Kolleginnen frisch von der Schule eingestellt, die aber erst ab Mitte Oktober beziehungsweise Anfang November starten konnten. Mittlerweile hatten wir 25 Kinder auf der Warteliste, manche davon schon seit Juni. Da ich den neuen Kolleginnen wesentlich bessere Konditionen anbieten musste, war ich gezwungen auch die Gehälter ihrer Kollegen anzupassen, denn ich kann nicht einem Anfänger mehr bezahlen als einem erfahrenen Therapeuten.

Das geschah in einer Zeit, in der wir einen zweiten Standort eröffnet und diverse Investitionen getätigt haben und unsere Rücklagen ständig von der Steuer verschlungen werden. Wir werden also im nächsten Jahr finanziell erstmal ins Minus rutschen.


„Die Zahlungsmoral der Kassen lässt mich meine Mitarbeiter nicht ordentlich bezahlen“

Manuela Heric, Fachpraxis für Podologie in Dinslaken

Mich rief im Sommer ein Herr an, der für seine Mutter einen Hausbesuch wünschte. Leider musste ich ihm absagen, da ich derzeit keinerlei Möglichkeiten hatte, noch mehr Hausbesuche anzunehmen. Der Herr beschimpfte mich am Telefon: Ich wäre bereits die 5. Praxis, die Hausbesuche ablehnte, seine Krankenkasse hätte ihm aber gesagt, dass wir Podologen verpflichtet wären Hausbesuche zu fahren!

Die Kassen zahlen erst nach sechs Monaten

Die Krankenkassen machen es sich da sehr einfach. Es ist ja nicht nur der Fachkräftemangel, der sich durch die gesamten Heilberufe zieht, sondern, und da kann ich nur für die Podologen sprechen: Die Krankenkassen lassen sich erheblich viel Zeit mit der Bezahlung der geleisteten Arbeit. Eine Dreier-Verordnung mit einer Frequenz von sechs Wochen kann ich zum Beispiel erst nach fünf Monaten abrechnen. Ist die Verordnung korrekt ausgestellt, wird sie nach 28 bis 42 Tage von den Krankenkassen beglichen. Als Podologische Praxis bekommen wir also nach circa sechs Monaten die geleistete Arbeit bezahlt. Fachkräfte warten aber nicht sechs Monate lang auf ihr Gehalt, und die Krankenkassen warten nicht auf Sozialabgaben!

Mir selber ist es passiert, dass meine gut gehende Praxis durch Lohn- und Sozialabgaben fast in die Insolvenz gelaufen ist, weil ich solange auf die Vergütungen der Krankenkasse warten musste. Ich musste die Reißleine ziehen und gutes Personal entlassen, damit ich nicht komplett in die Schieflage gerate.

Der Ärger mit Verordnungen schreckt Schüler ab

Die Zahlungsmoral und die Auflagen der Krankenkassen sollten so geändert werden, dass Praxisinhaber ihr Personal bezahlen und als Arbeitgeber auch davon leben können. Ich bin mir sicher, wenn gerade für die Leistungserbringer (Podologen, Ergotherapeuten, Physiotherapeuten etc.) höhere Vergütungen gezahlt würden, die Vergütung unverzüglich nach getaner Arbeit bezahlt wird, die Leistungserbringer nicht verantwortlich sind für richtig ausgestellte Verordnungen – erst dann werden die Berufe aller Leistungserbringer attraktiver.

Im Bereich der Podologie werden viele Podologen ausgebildet. Aber die Podologieschüler bekommen auch während ihrer Praktika mit, welchen Ärger wir immer wieder mit den Ärzten haben, wenn es um das richtige Ausstellen der Verordnungen geht, und mit den Krankenkassen, wenn Verordnungen nicht bezahlt werden.
Viele mir bekannte Podologinnen machen sich zwar selbständig, haben aber keine Kassenzulassung. Einige haben in der Zwischenzeit sogar ihre Kassenzulassung wieder abgegeben, um nicht sechs bis elf Monate auf ihre Vergütungen warten zu müssen.

Den Fachkräftemangel wird es erst dann nicht mehr geben, wenn die Politiker wach werden und alle Leistungserbringer zeitnah und fair bezahlt werden.


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Dieter Förster
23.12.2017 23:48

Besser kann man es nicht darstellen! Genau so ist es.

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