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Warum vernetzen sich Therapeuten und was lässt sich damit erreichen?

Anna Zwerenz, Marleen Maier, Doris Hönig und Jan Dieckmann berichten
Verschiedene Aktionen haben in den vergangenen Jahren gezeigt, dass sich auch außerhalb der formalen Verbandsstrukturen gemeinsam etwas bewegen lässt. Die Kreide-Aktion ist ein bekanntes Beispiel, mehrere Demonstrationen haben die öffentliche Aufmerksamkeit erregt, aber auch jenseits der großen Öffentlichkeit konnten Therapeuten, die sich zusammengeschlossen haben, etwas erreichen. Hier teilen Therapeuten aus Nürnberg, Augsburg und Hannover ihre Erfahrungen.
Illustration von Menschen, die auf riesige leuchtende Glühbirne blicken
© iStock: DigtialStorm

„Mein Ziel war vor allem, den Leuten Berufspolitik schmackhafter zu machen“

Anna Zwerenz, Physiotherapeutin und Filialleitung in einem Therapiezentrum hat den Therapeutenstammtisch Augsburg gegründet:

Was hat Sie dazu bewogen, einen Stammtisch zu gründen?

ZWERENZ: Bei den verschiedenen Aktionsbündnissen, die es gab, zum Beispiel Therapeuten am Limit, Ohne meinen Physiotherapeuten, die Vereinten Therapeuten mit ihren Aktionen, war die Vernetzung eher deutschlandweit. Da habe ich viele tolle Menschen kennengelernt und gemerkt, wenn sich mehrere Menschen zusammentun, lässt sich wirklich etwas bewirken. Gleichzeitig habe ich mir gedacht, das ist ja schön und gut, es müsste aber vor Ort noch dichter verflochten sein. Aber hier bei mir in Augsburg kannte ich nicht so viele Leute, die sich berufspolitisch engagieren.

Als wir dann bei der Kreide-Aktion mitgemacht haben, habe ich versucht über Facebook und verschiedene Plattformen die Leute zu akquirieren und gemerkt, dass da Leute sind, die wirklich darauf Lust haben, die aber keinen Ansprechpartner haben, von dem sie zum Beispiel Informationen bekommen, wo sie sich beteiligen können. Also dachte ich mir, es ist eine gute Möglichkeit, einen festen Stammtisch zu gründen, sich ab und zu treffen, Informationen weiterzugeben, sich auszutauschen.

Was sind Ihre Ziele?

ZWERENZ: Mein Ziel war am Anfang vor allem den Leuten Berufspolitik schmackhafter zu machen. Ich habe dann ganz tolle Therapeuten hier vor Ort kennengelernt, die viele Ideen mitgebracht haben – nicht nur berufspolitisch, auch fachlich. Wir haben zwischenzeitlich auch mal ein fachliches Netzwerktreffen organisiert. Ich finde es super, wenn man beides schafft. Dann ist es abwechslungsreicher, denn Berufspolitik kann ja auch mal trocken sein. Viele interessieren sich für fachliche Themen und wir haben als Therapeuten ja ganz viel Fachwissen. Da wäre es schade, wenn man das nicht weitergibt.

„Ich habe durch den Stammtisch gemerkt, dass es Sinn macht, sich zu vernetzen und man so wirklich etwas erreichen kann“

Marleen Maier hat eine Praxis für Physiotherapie und Osteopathie in Hannover und hat gemeinsam mit anderen Therapeuten den Therapeutenstammtisch Niedersachsen ins Leben gerufen.

Wie kam die Idee, einen Stammtisch zu gründen?

MAIER: Mein Einstieg in die Berufspolitik war über ein Regionalverbandstreffen des IFK, meines damaligen Verbands. Das hatte schon Stammtischcharakter, man hat sich in einem Hotel oder Restaurant getroffen, es wurde etwas berichtet und dann darüber gesprochen. Aus Gruppe der Leute hat sich dann ein Förderverein zur Gründung einer Therapeutenkammer zusammengefunden und daraus hat sich dann der Therapeutenstammtisch Niedersachsen entwickelt.

Wir haben ihn auch extra Therapeutenstammtisch Niedersachsen genannt, weil wir von Anfang an die Idee hatten, Treffen nicht nur in Hannover, sondern verteilt in ganz Niedersachsen zu machen.

Wir wollen außerdem vorhandene Stammtische vernetzen, deren Termine über unsere Seite teilen, Verbindungen herstellen und uns auch mit Verbänden, Politik, therapienaher Wirtschaft, Krankenkassen etc. vernetzen.

Was sehen die Treffen aus? Wer legt die Themen fest?

MAIER: Es sieht in der Regel so aus, dass von zwei Stunden eine Stunde jemand zu einem Thema spricht und die zweite Stunde aus offenem Austausch besteht – Austausch ist ja das Ziel. Es soll keine Frontalveranstaltung sein. Wir geben ein Thema vor, aber das heißt nicht, dass dann den ganzen Abend nur darüber geredet wird.

Am Stammtisch kann jeder teilnehmen, nicht nur Therapeuten. Alle die mit uns zu tun haben, uns etwas zu erzählen haben, Politiker, Vertreter vom Verband der Privatschulen, usw. Wir hatten auch mal jemanden von der BGW, der sich über die Facebook-Seite gemeldet hat. Grundsätzlich sind wir offen für jeden, damit die Themen auch möglich vielfältig sind.

Was hat die Vernetzung gebracht?

MAIER: Ich bin durch den Stammtisch selbst politisch aktiv geworden. Es sind Kontakte entstanden, die man dann nutzen konnte, um bei verschiedenen Themen aktiv werden. Beim Thema Schulgeld zum Beispiel haben wir versucht, Vertreter der Privatschulen und Schüler mal an einen Tisch holen. Wir haben es mit den Stammtischleuten auch geschafft, Termine bei Landtagsabgeordneten zu bekommen. Da konnten wir wiederum Leute mitnehmen, die selbst Schwierigkeiten hatten, einen Termin zu bekommen.

Außerdem habe ich durch den Stammtisch persönlich gemerkt, dass es Sinn macht, sich zu vernetzen, und dass man so wirklich etwas erreichen kann. Und es macht total viel Spaß, wenn man als Gruppe aktiv ist, die Gruppendynamik nutzt, gemeinsam eine Taktik entwickelt, Argumente zusammenträgt und am Ende auch noch etwas erreicht. Das ist total gut – für einen persönlich und auch für die Therapeuten an sich. Es muss uns gelingen, noch mehr Leute zu mobilisieren, die sich mit einsetzen, die sich auch trauen, den Mund aufzumachen, etwas zu fordern, irgendwo hinzugehen und etwas einzufordern. Ich denke, das kann durch so einen Stammtisch gelingen. So kommen Leute zusammen, die die gleichen Probleme haben, mit denen man an einem Strang ziehen kann. Diese Entwicklung von unten nach oben, quasi basisdemokratisch, können Stammtische gut unterstützen.

„Ohne unsere Arbeit wäre jetzt auch viel weniger Politikern klar, dass es bei den Heilmittelerbringern auch ein Problem gibt“

Doris Hönig ist Physio- und Ergotherapeutin und arbeitet in der ambulanten Reha. Jan Dieckmann ist Masseur und Physiotherapeut mit eigener Praxis. Die beiden haben den Stammtisch „Therapeuten Nürnberg und Umgebung“ gegründet.

Wie ist der Stammtisch entstanden?

HÖNIG: Für mich hat das ganze mir der Fahrradtour von Therapeuten am Limit und der Demo in Köln für Schulgeldfreiheit vom damaligen BVT, jetzt VT begonnen. Da habe ich gemerkt, dass ganz viele Therapeuten Veränderungen wollen und Vorschläge zur Verbesserung des Systems haben! Endgültiger Anstoß war die Kreide-Aktion im August 2018, da haben sich in Nürnberg diverse Gruppen gebildet und wir sind mit etwa einem Dutzend Therapeuten durch die Stadt gezogen. Dabei haben wir festgestellt, dass es ziemlich doof ist, dass man sich untereinander gar nicht kennt und austauschen kann. Dann habe ich relativ spontan über Facebook den TNU-Stammtisch aufgemacht. Jan ist Moderator.

Im ersten Schritt haben wir die Mitglieder der Kreide-Aktion hinzugenommen. Über Facebook sind dann immer noch mehr Therapeuten dazugekommen. Dann ging es auch recht schnell mit den ersten Stammtischen los. Wir sind offen für alle Heilmittelerbringer, Logopädie, Ergotherapie, Physiotherapie und auch Diätassistenten. Wir sind ein nicht-verbandsorientierter Stammtisch, das heißt, wir sind nicht an einen Verband gebunden, es dürfen alle kommen.

DIECKMANN: Was ich ganz schön finde, ist, dass wir auch immer Leute aus der Politik einladen. Zum Beispiel aus der Lokalpolitik einen Stadtrat, oder aus der Landespolitik, da war der Landtagsabgeordnete von den Grünen, Andreas Krahl dabei, und es ist auch ein Kontakt in den Bundestag entstanden zum CSU-Abgeordneten Michael Frieser.

Was konnten Sie bisher erreichen?

DIECKMANN: Ein lokales Thema waren Ausnahmegenehmigung beim Parken für Therapeuten bei Hausbesuchen. Das haben wir mit einer Stadträtin besprochen. Und mittlerweile ist es wohl wirklich einfacher, die Ausnahmegenehmigungen zu bekommen. Ich kann natürlich nicht sagen, ob das jetzt an unserer Arbeit liegt.

Aber als größten Erfolg würde ich verbuchen, dass wir während der Corona-Pandemie vom Katastrophenschutz mit Masken und Overalls versorgt wurden. Wir haben in die Wege geleitet, dass Therapeuten sich die Schutzausrüstung auch holen konnten. Die Verbände haben uns da ziemlich allein gelassen mit der Problematik.

Kürzlich hatte ich mit einigen Kollegen eine Videokonferenz mit dem Bundestagsmitglied Michael Frieser – das war sowohl lokal, weil der aus Nürnberg kommt, als auch bundespolitisch. Er will sich für unsere Themen einsetzen und auch bei Ulrich Orlowski, dem Vorsitzenden der Schiedsstelle, nachfragen, wie es zu diesem Schiedsspruch gekommen ist, der eigentlich kein Schiedsspruch ist.

Das sind so kleine Nadelstiche, so kleine Punkte, die man auch als lokaler Therapeut setzen und damit etwas erreichen kann.

HÖNIG: Ich denke, ohne unsere Arbeit wäre jetzt auch viel weniger Politikern klar, dass es bei den Heilmittelerbringern auch ein Problem gibt.

Vielen Dank für die Gespräche.

[Alle Interviews führte Olav Gerlach]

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