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Präventionskurse: Die Crux mit der Zertifizierung

Zwei Physiotherapeutinnen berichten über ihre Erfahrungen und geben Tipps
Die Physiotherapeutin Lena Winter* bietet seit 20 Jahren Präventionskurse an. Doch in den vergangenen Jahren wurde die Zertifizierung der Kurse immer undurchsichtiger, kein Kurs wird mehr auf Anhieb rezertifiziert. Ähnliche Erfahrungen machte auch die Physiotherapeutin Beate Tunnel*. Wir haben mit beiden über ihre Probleme gesprochen und wollten erfahren: Was können Therapeuten selbst tun? Und wo gibt es vielleicht auch Verbesserungspotenzial seitens der Team Gesundheit GmbH, die für die Prüfung und Zertifizierung der Präventionskurse zuständig ist?
© fizkes

Drei Monate wartete Lena Winter auf eine Rezertifizierung ihrer drei Kurse im Bereich Bewegungsgewohnheiten. Sie ist Diplomsportlehrerin und Physiotherapeutin. Seit 2012 bietet sie mit einem kleinen Team Rückenschule, Funktionelles Outdoortraining und Aquakurse an zwei Standorten an. Gestartet ist sie 1995 mit einer eigenen Rückenschule. Damals reichten als Qualifizierung das Studium zur Dipl.-Sportlehrerin und eine Rückenschul-Fortbildung aus. „Große Veränderungen kamen 2000 mit dem Leitfaden Prävention“, berichtet die Physiotherapeutin. Dieser wurde vom GKV-Spitzenverband in Zusammenarbeit mit den Verbänden der Krankenkassen erstellt. Er dient der Sicherung einheitlicher Qualitätsstandards von Präventionsangeboten und wird regelmäßig aktualisiert – zuletzt 2020.

Zertifizierungsprozess in Kurzform

Seit Oktober 2020 müssen Therapeuten als Anbieterqualifikation einen staatlich anerkannten Berufs- oder Studienabschluss mit Nachweis bestimmter Mindeststandards vorweisen. Der Ablauf der Zertifizierung des Kurses ist dann für alle gleich. „Man muss eine sehr detaillierte Beschreibung des Kurses einreichen und einen Stundenverlaufsplan erstellen, inklusive minutengenauem Zeitplan“, berichtet Frau Winter. Die Prüfung der Qualifikationen und die Zertifizierung der Präventionskurse übernimmt die Team Gesundheit GmbH. Sie ist der Betreiber der Zentralen Prüfstelle Prävention (ZPP). „Ich finde es äußerst intrasparent, wie sich die Team Gesundheit GmbH finanziert und wie viel Geld jährlich für die Zertifizierung ausgegeben wird“, so Frau Winter.

Keine sofortigen Re-Zertifizierungen mehr

Alle drei Jahre muss ein Kurs rezertifiziert werden. So steht es im Leitfaden Prävention. „Jedes Mal werden die Hürden höher. Eine direkte Zertifizierung gab es in den letzten sechs Jahren nie“, berichtet die Physiotherapeutin. Zudem würden die Gründe für die Ablehnung immer abstruser: „Ich musste einmal alle Muskeln, die ich trainiere, mit lateinischen Namen benennen.“ Die Neuinstallierung der Plattform der ZPP habe dann diesen Sommer das Fass zum Überlaufen gebracht. „Meine Zertifikate der Fortbildungen und die Berufsabschlüsse wurden im System nicht übernommen“, erklärt die Physiotherapeutin. „Dadurch habe ich keine Rezertifizierung für meine Kurse bekommen.“ Das habe sie aber erst nach drei Monaten nach mehrmaligem Nachfragen erfahren.

Auch Beate Tunnel hatte Probleme mit der Rezertifizierung. Sie ist Physiotherapeutin und bietet seit 19 Jahren Präventionskurse an. „Bei mir ging es zwei, teilweise drei Mal hin und her, bis meine selbst erstellten Kurskonzepte zertifiziert wurden“, so die Physiotherapeutin. „Jedes Mal, wenn das Konzept abgelehnt wird, erhält man ein Schreiben, in dem angemerkt ist, dass Verbesserungen vorgenommen werden müssen, aber nicht, wie genau diese auszusehen haben.“ Anders sehe das bei standardisierten Kurskonzepten aus, die würden direkt (re-)zertifiziert. Die Fortbildung koste allerdings auch 400 bis 500 Euro. Fortbildungskosten, die für kleinere Praxen kaum zu stemmen sind.

Prüfer helfen kompetent weiter

Als das erste Schreiben kam, hat sich Frau Tunnel direkt per Telefon an die Team Gesundheit GmbH gewendet. „Die Servicekräfte dort können einem aber nur bedingt weiterhelfen.“ Das kann auch Frau Winter bestätigen und berichtet von ihren Problemen, dort überhaupt jemanden zu erreichen – sowohl per E-Mail als auch per Telefon. „Anbieter haben aber die Möglichkeit, einen Termin mit einem Prüfer zu vereinbaren“, weiß Frau Tunnel (mehr dazu im Kasten). „Die Prüferin, mit der ich in Kontakt stand, war sehr kompetent und hat mir direkt gesagt, welche Änderungen vorgenommen werden müssen.“ Sie zeigte zudem großes Verständnis für den Unmut vieler Therapeuten. Sie prüfe entsprechend der von der GKV gesetzlich festgelegten Rahmenbedingungen, wurde dafür extra geschult. Die Mitarbeiterin von der Team Gesundheit GmbH vermute, dass die GKV hier regulierend eingreift, damit die Ausgaben nicht in die Höhe schnellen. Ähnliche Vermutungen hat auch Frau Winter.

ZPP-Portal nicht für alle gleich benutzerfreundlich

Die beiden unterschiedlichen Portale, eins für Anbieter und eins für Anleiter, also Kursleiter, machten den gesamten Prozess unnötig kompliziert und provozieren viel Ärger, findet Frau Winter. „Ist man Trainer und Anbieter zugleich, muss man ständig zwischen zwei Accounts hin und her switchen und sehr aufpassen, dass man alles richtig hinterlegt.“

Auch Frau Tunnel musste sich zu Beginn erst in das neue System reinfuchsen. Insbesondere für größere Praxen, die mehrere Kursleiter haben, sieht sie in den unterschiedlichen Accounts jedoch auch einen Vorteil: Nur eine Person, der Anbieter, müsse sich mit den gesamten Verwaltungsarbeiten im Detail auseinandersetzen und könne dann beide Accounts parallel verwalten. Ein Kursleiter könne über seinen Account eine Fremdverwaltung für den Anbieter freischalten.

Der Verwaltungsaufwand muss weniger werden

Dass der Verwaltungsaufwand für Anbieter unnötig hoch ist, da sind sich beide Physiotherapeutinnen einig. „Wir sind alle gelernte Therapeuten, haben bereits viele Fortbildungen absolviert und sind im Berufsgeschehen“, sagt sie. „Warum fordert man nicht einfach einmalig die beruflichen Qualifikationen und eine Art Selbsterklärung, dass die Kursleiter gemäß den Prinzipien des Leitfadens oder eines vorgegebenen Curriculums unterrichten?“, fragt sie sich. „Das reduziert auf allen Seiten den Verwaltungsaufwand und spart Kosten, die in die Zuschüsse für die Versicherten gut investiert wären.“

Viel Verwaltungsaufwand könne man auch sparen, wenn in den Schreiben der Team Gesundheit GmbH ganz konkret stehen würde, welche Änderungen vorgenommen werden müssen, ergänzt Frau Tunnel. „Dann muss man nicht ständig nachfragen, wodurch das ganze Prozedere schneller vonstattengehen würde.“

„Das gesamte System der Zertifizierung halte ich für sehr fragwürdig und keinesfalls nutzbringend für den Endverbraucher“, sagt Frau Winter abschließend. „Betroffen sind qualifizierte Physiotherapeuten und Sportlehrer, die seit vielen Jahren Versicherte in Bewegung bringen und die GKV dadurch letztendlich auch finanziell entlasten, da die Versicherten in diesen Kursen Gesundheitsförderung erfahren.

*Wir haben den Namen auf Wunsch der Interviewpartnerin geändert.

Wie Sie selbst aktiv werden können – Tipps von Frau Tunnel:

  • Vereinbaren Sie bei Problemen direkt einen Termin mit einem Prüfer der Team Gesundheit GmbH. Dafür schreiben Sie eine E-Mail an die Team Gesundheit GmbH und bitten um einen zeitnahen Termin.
  • Bei größeren Praxen kann es sich zudem lohnen, einen Mitarbeiter abzustellen, der sich um alle Verwaltungsarbeiten kümmert. Die aufwendige Einarbeitungszeit fällt dann nur einmal an.

Bei Beschwerden…

Zum Thema Beschwerde schreibt die Zentrale Prüfstelle Prävention in ihrem FAQ: „Anbieter können ihre Beschwerden über das Kontaktformular an die Zentrale Prüfstelle Prävention adressieren. Die Bearbeitung erfolgt durch die Zentrale Prüfstelle Prävention in Zusammenarbeit mit dem vdek als geschäftsführender Verband der Kooperationsgemeinschaft gesetzlicher Krankenkassen (…).“

Hinweis: Wir haben natürlich auch die Team Gesundheit GmbH kontaktiert und um Stellungnahme gebeten – u. a. zu den Themen Erreichbarkeit, Zertifizierungsprozess und Finanzierung. Bis Redaktionsschluss haben wir keine Antworten erhalten.

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Elvira Jakubzyk
14.12.2021 22:07

Ich bin ebenfalls Physiotherapeutin uns Kursanbieter. Prinzipiell kann auch ich… Weiterlesen »

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