up|unternehmen praxis

ICF: Diagnostik

Als Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation (WHO) steht bei der ICF die Funktionsfähigkeit eines Menschen mit einem Gesundheitsproblem im Mittelpunkt. Die zugrundeliegende biopsychosoziale Sichtweise darauf erweitert den Fokus von der bloßen ICD-10-Diagnose und den damit verbundenen Defiziten auf die gesamte Lebenswirklichkeit des Menschen. Die ICF setzt also die Funktionsfähigkeit in Beziehung zur Biografie und Lebenswelt. Deshalb ermöglicht nur die gemeinsame Anwendung beider Klassifikationen – ICD und ICF – ein umfassendes Bild von Gesundheit und den Auswirkungen eines Gesundheitsproblems (siehe up_logo 02/2020).
© schmolzeundkühn

In der vorausgegangenen Anamnese sammelten Sie subjektive Angaben Ihres Patienten zu allen Komponenten der ICF (siehe up_logo 03/2020). Abhängig von der ärztlichen Diagnose erfragten Sie verschiedene Lebensbereiche unterschiedlich ausführlich und überprüften, ob die Informationen zu den Angaben auf der Heilmittelverordnung passen. Während der Anamnese entwickelten Sie Arbeitshypothesen über die zugrunde liegende Schädigung von Körperfunktionen und –strukturen, deren Auswirkungen auf die Aktivitäten und die Partizipation [Teilhabe] sowie den positiven bzw. negativen Einfluss von Kontextfaktoren des Patienten (siehe nachfolgende Grafik).

Anhand Ihrer Arbeitshypothesen gestalten Sie nun die Diagnostik:

  • Was ist aus Patientensicht das Hauptproblem?
  • Welche Fragen haben sich für Sie aus der Anamnese ergeben, die durch die Diagnostik beantwortet werden sollen?
  • Mit welchen standardisierten Verfahren können Sie Ihre aktuell wahrscheinlichste Hypothese überprüfen?
  • Wobei müssen Sie auf informelle Verfahren zurückgreifen?

Die Informationen aus Anamnese und Diagnostik sind für die Therapieplanung und damit für eine störungsspezifische und zielorientierte Therapie unverzichtbar (siehe nachfolgende Grafik). In der Diagnostik objektivieren Sie die subjektiven Angaben aus der Anamnese und bestätigen oder verwerfen Ihre Arbeitshypothesen. Am Ende der Diagnostik steht die Diagnose. Sie ist die Basis für eine gemeinsame Vereinbarung von Therapiezielen zwischen Patient und Therapeut. Deshalb beinhaltet sie sinnvollerweise neben der Problembeschreibung eine Therapieintervention, die sich auf die Einschränkungen in Bezug auf Funktion, Aktivität und Partizipation [Teilhabe] bezieht. Die logopädische Diagnose ist keineswegs unveränderlich. Denn sie wird durch Bewertung der Interventionen im Therapieprozess ebenso fortlaufend angepasst wie die Therapieziele. Wichtig ist, dass beide – Diagnose und Therapieziele – vorhanden sind und dokumentiert werden.

ICF in der logopädischen Diagnostik

Liegt Ihrer Diagnostik das Konzept der ICF zugrunde, so geht es vor allem um die Leistung und die Leistungsfähigkeit einer Person im Rahmen der ICF-Komponenten Aktivitäten und Partizipation [Teilhabe]. Beide Konstrukte beziehen sich auf die Durchführung von Handlungen oder Aufgaben durch eine Person. Bei der Leistung geht es darum, was ein Mensch in seiner gegenwärtigen, tatsächlichen Umwelt unter realen Lebensbedingungen tut. Hier werden die Kontextfaktoren (Förderfaktoren wie Barrieren) berücksichtigt. Die Leistungsfähigkeit hingegen beschreibt das maximale Leistungsniveau, das ein Mensch in einem bestimmten Lebensbereich zu einem bestimmten Zeitpunkt und unter Test- oder Standardbedingungen erreichen kann, z. B. im Rahmen von ärztlichen oder therapeutischen Untersuchungen. Diese Unterscheidung zwischen der Leistungsfähigkeit unter optimalen Umweltbedingungen und der Leistung im Rahmen der tatsächlichen Lebenssituation liefert Anhaltspunkte dafür, was getan werden kann, um die Leistung des Menschen zu verbessern.

Fazit

Die Komponenten der ICF erleichtern, ebenso wie in der Anamnese, die Strukturierung und Priorisierung der in der Diagnostik erhobenen Informationen, Messwerte und Arbeitshypothesen in Hinblick auf mögliche Therapieziele. Die Komplexität der Folgen des Gesundheitsproblems auf die Lebenssituation des Menschen können so systematisch erfasst werden. Bei Entscheidungen innerhalb der Diagnostik dienen die Teilhabe und die Lebensqualität des Patienten als Leitfaden. 

ICF in Ihrer Praxis

Orientiert sich Ihr Therapieprozess im Allgemeinen und die Diagnostik im Besonderen an dem Konzept der ICF, dann werden die Informationen zur Funktionsfähigkeit eines Patienten einheitlich erfasst und sortiert. Dies erleichtert den roten Faden in Ihrer Planung, Therapie, Evaluation und Dokumentation. Die Frage, wie der Patient mit Ihrer Hilfe sein bisheriges Leben auch unter veränderten Bedingungen wieder führen kann, ist die Grundlage für die individuelle Therapieplanung mit Fokus auf seine Teilhabe. 

Tipp: Um für die Diagnostik eine sachgerechte und zeitsparende Auswahl treffen zu können, ist ein praxisinterner Überblick über die verfügbaren Diagnostikverfahren unerlässlich. Als Leitfaden kann die folgende Frage dienen:

  • Welches Verfahren verwenden Sie wann bei welcher Indikation mit welcher Zielsetzung und welche Information gewinnen Sie dadurch?

Anhand dieses (am besten schriftlichen) Überblicks können Therapeuten zeitsparend darüber entscheiden, welche standardisierten Screening- und Testverfahren für ihren Patienten zielführend sind und welche Aspekte zusätzlich informell erfasst werden müssen. Erfolgt die abschließende Dokumentation der Informationen und Messwerte innerhalb der Praxis einheitlich, verringert dies den Arbeitsaufwand bei Re- und Abschlussbefunden, in Vertretungssituationen und für den Therapiebericht.

Aus der Rahmenempfehlung Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie

Laut Leistungsbeschreibung Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie (Anlage 1 zur Rahmenempfehlung über die einheitliche Versorgung mit Heilmitteln gemäß § 125 Abs. 1 SGB V für den Bereich Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie) erfolgt die Durchführung und Auswertung der stimm-, sprech- bzw. sprachtherapeutischen Befunderhebung (einschließlich Anamnese) zunächst im Rahmen der sprachtherapeutischen Erstbefundung und bildet auf der Grundlage der ärztlichen Verordnung und den Ergebnissen der störungsbildabhängigen ärztlichen Eingangsdiagnostik die Voraussetzung, die Behandlungsziele zu definieren und einen Behandlungsplan zu erstellen. Dabei werden störungsspezifische Screening- und ggf. standardisierte Testverfahren entsprechend den Erfordernissen des Einzelfalls eingesetzt.

Zeitpunkt der Diagnostik

Soweit nach der stimm-, sprech- und sprachtherapeutischen Erstbefundung oder im Verlauf der Behandlung weitere Befundungen (z. B. zur Überprüfung der stimm-, sprech- bzw. sprachtherapeutischen Ziele und/oder zur Anpassung des Therapieplanes) notwendig sind, erfolgen diese unter Anwendung der erforderlichen Screening bzw. standardisierten Testverfahren im Rahmen der Therapie.

Prozessqualität und Wirtschaftlichkeit

Zur Sicherung der Prozessqualität hat der Heilmittelerbringer u. a. eine stimm-, sprech- und sprachtherapeutische Erstbefundung zu gewährleisten (§ 15 der Rahmenempfehlung für den Bereich Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie). Der Heilmittelerbringer muss den verordnenden Arzt unverzüglich darüber informieren, wenn die Befunderhebung durch den Heilmittelerbringer ergibt, dass das vom verordnenden Vertragsarzt benannte Therapieziel durch ein anderes Heilmittel besser erreicht werden kann. Dann kann eine Änderung oder Ergänzung des Therapieplans abgestimmt und ggf. eine neue Verordnung ausgestellt werden (§ 18). Zu den Kriterien einer wirtschaftlichen Leistungserbringung gehört u. a. der Abgleich der Ergebnisse der therapeutischen Befunderhebung mit der ärztlichen Diagnose, Indikationsstellung und Therapiezieldefinition unter Berücksichtigung des verordneten Heilmittels (§ 20).

Außerdem interessant:

ICF: Grundlagen

ICF: Anamnese

ICF: Planung

0 Kommentare
Inline Feedbacks
View all Kommentare
0
Wir würden gerne erfahren, was Sie meinen. Schreiben Sie einen Kommentar.x