Frau Loffing, warum ist es überhaupt wichtig, Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden? Welche Vorteile ergeben sich für Arbeitgeber, aber auch die Mitarbeiter daraus?

Aus meiner Perspektive gibt es ganz viele Vorteile – sowohl für die Arbeitgeber als auch für die Mitarbeiter. Das Gegenteil der langfristigen Bindung ist ja eine hohe Fluktuation. Wenn Mitarbeiter die Praxis nach kurzer Zeit wieder verlassen, hat dies immer eine negative Wirkungen – nach außen für die Patienten sowie potenzielle zukünftige Mitarbeiter, aber auch nach innen für das Team. Es macht ganz viel mit dem Team, wenn es merkt, dass Kollegen es nur wenige Monate in der Praxis aushalten und dann wieder weg sind.

Warum ist besonders im Gesundheitsbereich die Mitarbeiterbindung von zentraler Bedeutung für den Unternehmenserfolg?

Gerade in einem sensiblen Bereich wie dem Gesundheitswesen haben die Kunden, sprich die Patienten, nochmal einen höheren Anspruch als beispielsweise in der Automobilbranche. Da kann ich eher damit leben, dass mein Ansprechpartner wechselt, wenn ich ein neues Auto kaufe, als im Gesundheitsbereich, wo es doch auch um vertrauliche Themen geht. Darum spielen vertraute Ansprechpartner für Arbeitgeber im Gesundheitsbereich nochmal eine bedeutendere Rolle was die Kundenzufriedenheit und damit auch letztendlich den Unternehmenserfolg betrifft.
In der Gesundheitsbranche bauen die Mitarbeiter eine ganz andere Vertrauensebene zu den Kunden auf. Da ist es ein echter Vorteil, langfristig loyale, zuverlässige Mitarbeiter zu haben, bei denen meine Kunden wissen, dass sie auch in zwei Jahren noch ihr Ansprechpartner sind. Natürlich ist auch das Fachliche wichtig. Aber aus meiner Sicht als Psychologin spielt gerade das Vertrauensverhältnis im Gesundheitsbereich eine wesentliche Rolle. Und das lässt sich nicht mal eben auf einen Kollegen übertragen – auch wenn dessen fachliche Qualifikation gleichwertig ist.

Was sind Ihrer Erfahrung nach die häufigsten Gründe, warum Mitarbeiter ein Unternehmen verlassen?

Es gibt verschiedene Studien, die versucht haben, das zu erforschen. Die meisten sagen, dass das Team und das ganze soziale Gefüge der erste ausschlaggebende Faktor sind. Wenn ich mich im Team nicht wohlfühle und Misstrauen da ist, schlechte Stimmung herrscht und sozialer Druck vorhanden ist, sind das mit die häufigsten Gründe dafür, ein Unternehmen zu verlassen.

Ebenso im sozialen Kontext zu finden, ist das Thema Führung. Wenn ich mit meiner Führungskraft nicht glücklich bin, wenn ich das Gefühl habe, ich kann ihr nicht vertrauen, sie ist mir gegenüber nicht klar, nicht fair, dann ist auch das ein häufiger Grund für Mitarbeiter, ein Unternehmen zu verlassen. Unzufriedenheit in Bezug auf Organisation, Aufgaben und Gehalt sind eher ein dritter Faktor. Diese Punkte sind natürlich auch wichtig, aber die sozialen Gründe, gerade in Bezug auf Team und Führungskraft, spielen doch die größte Rolle.

Welche Maßnahmen eignen sich besonders in kleineren Unternehmen wie Therapiepraxen zur Mitarbeiterbindung?

Gerade in kleinen Unternehmen würde ich in diesem Zusammenhang besonders die Bereiche Führung, Personalentwicklung und Personalbetreuung herausstellen. Beim Thema Führung muss ich immer damit anfangen, mich selbst zu reflektieren: Wie wirkte ich eigentlich als Führungskraft? Welches Verhalten löse ich aus, wenn ich mich so und so verhalte? Manchen Praxisinhabern, gerade in kleinen Praxen, ist gar nicht so bewusst, dass sie eine Führungskraft sind. Ihnen ist manchmal nicht so klar, wie intensiv das eigene Verhalten und beiläufig gesagte Dinge auf die Mitarbeiter wirken.

Personalentwicklung ist ebenfalls ein wichtiges Thema. Welche Möglichkeiten gibt es für die Mitarbeiter, die sich weiterentwickeln wollen? Welche Verantwortungsbereiche kann ich ihnen übertragen? Dabei geht es darum, konkrete und individuelle Karriereoptionen aufzuzeigen. Das muss nicht immer hierarchisch nach oben gehen. Das ist in der kleinen Praxis natürlich nur begrenzt möglich. Aber man kann dennoch Verantwortungsbereiche sinnvoll anreichern, sodass sich jeder sinnvoll und gebraucht fühlt.

Bei der Personalbetreuung geht es darum, sich die Mitarbeiter auch ganzheitlich anzuschauen – nicht nur in der Rolle als Arbeitsnehmer, sondern auch im sozialen Kontext, etwa der Familie. Sind beispielsweise die Eltern schon pflegebedürftig? Welche Unterstützung ist hier möglich? Aber auch die Themen Kinderbetreuung, flexible Arbeitszeiten und betriebliches Gesundheitsmanagement können Praxisinhaber in diesem Zusammenhang fokussieren.

Wenn Sie Praxisinhabern jetzt einen konkreten Tipp geben könnten, wie Sie noch heute etwas für die Mitarbeiterbindung tun können, welcher wäre das?

Sprechen Sie mit den Mitarbeitern. In Sachen Mitarbeiterbindung ist ganz viel möglich, aber es fruchtet natürlich nur dann, wenn ich die wirklichen, konkreten, individuellen Bedürfnisse meiner Mitarbeiter auch treffe. Wichtig sind dabei die Fragen: Was braucht ihr? Was wünscht ihr euch? Wie geht es euch mit mir als eurem Arbeitgeber insgesamt? Was könntet ihr euch noch vorstellen? Und auch die wirklich ernstgemeinte Frage: Wie geht es dir eigentlich? Über diese Fragen ins Gespräch zu kommen, ist der erste Schritt, mit dem man direkt heute anfangen könnte. Dann muss man sich aber auch Zeit nehmen für die Antworten, die kommen.

Vorteile der langfristigen Bindung von Mitarbeitern